Außerordentliches Bewegungsmaterial, unvergleichliche Präsenz, ironische Performance: der Tänzer und Choreograph Michael Turinsky.

Foto: Lucas Zavalia

Wien – Wenn Jugendliche abschätzig "Du bist ja behindert" sagen und damit eigentlich "deppert" meinen, ist das – sozial – obszön, aber auch Teil einer nicht nur den Nachwuchs umfassenden Normalität, in der das Wort obszön im Sinn von "unanständig" als uncool gilt. An den Stellschrauben dieser "Normalität" wird derzeit im Tanzquartier Wien gedreht. Noch bis Samstag kann dort "Swaying" besucht werden, eine dreitägige Reihe von Performances und Diskursivem über "nichtangepasste Körper und zeitgenössische Performance".

Auftakt war am Donnerstag mit den Solotanzstücken Goldberg Variations (2010) des Slowenen Jurij Konjar, und heteronomous male (2013) von dem österreichischen Tänzer und Choreografen Michael Turinsky. Beide Stücke sind nicht neu, aber dafür wirklich ausgereift, was sie umso sehenswerter macht. Beide Künstler zeigten sich als hervorragende Tänzer. Turinskys außerordentliches Bewegungsmaterial, seine unvergleichliche Präsenz und ironische Performance bilden ein Stück, das den Blick erst unruhig werden lässt, ihn dann aber sukzessive neu fokussiert. Denn Turinsky ist ein "nichtangepasster" Körper.

Beide Arbeiten zusammen ergeben ein Statement. Konjar hat das, was man einen "normalen" (Tänzer-)Körper nennen könnte. Entspannt und geschmeidig spielt er sich mit den Klängen von Glenn Goulds Interpretation der Bach’schen Goldberg-Variationen. Schön. Aber erst heteronomous male geleitet Konjar aus der Selbstverständlichkeit seines Körperklischees – weil es ein wirklich gutes Stück ist.

Turinsky kann als Choreograf jedoch auch scheitern, wie im Vorjahr mit seinem Gruppenstück my body, your pleasure. Das Solo allerdings weist ihn als Künstler aus, der große Arbeiten schaffen kann – vor allem dann solche, die nicht mehr extra dem Thema Behinderung gewidmet sind.

Überzeugende künstlerische Statements unangepasster Körper gewinnen an Gewicht in einer spaß- und anpassungsversessenen Gesellschaft, die immer aggressiver auf Abweichungen vom Durchschnitt (Körperfülle, Rauchen, Altsein) oder vermeintlich Unnützes (Lyrik, Denken, Bildung) reagiert und zugleich neue Formen von Antisemitismus und Xenophobie forciert. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 28.2./1.3.2015)