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Oppositionschef Zoran Zaev legte angebliche Abhörprotokolle vor, die die Regierung in schwere Bedrängnis bringen.

Foto: EPA / Georgi Licovski

Skopje/Sarajevo – Es sind zwei Stimmen zu hören: Eine wird der Polizeiministerin zugeordnet, eine dem Finanzminister. Glaubt man dem, dann erzählt Gordana Jankuloska Zoran Stavrevski am Telefon, dass sie sich bei dem Staatsanwalt Marko Zrlevski dafür eingesetzt habe, dass bestimmte Klagen gegen den Finanzminister fallengelassen werden. "Ich habe ihm nicht direkt gesagt, dass er die Klagen zurückweisen soll, aber ich habe ihm gesagt, dass er sie genau untersuchen und sich darum kümmern soll. Er weiß, was das heißt", so Jankuloska zu Stavrevski. Dann ist die Stimme, die Stavrevski zugeordnet wird, zu hören. Dieser bedankt sich. Das Gespräch soll 2011 stattgefunden haben. 2013 wurde Zvrlevski zum Oberstaatsanwalt berufen.

Seit einigen Tagen veröffentlicht die mazedonische Opposition unter dem Sozialdemokraten Zoran Zaev Stück für Stück neue Abhörprotokolle, die ein enges Netzwerk zwischen Medien, Justiz, Polizei, Regierung und Geheimdienst abbilden wollen, die die Gesellschaft kontrollierten. Die lokalen Medien, die zum Großteil unter der Kontrolle der Regierung stehen, berichten nicht über die Inhalte. Nur auf Youtube, wo die Protokolle zu hören sind, steigen die Klicks. Sollten die Abhörprotokolle aus Mazedonien tatsächlich echt sein, so offenbaren sie eine autoritäre Vorgangsweise der Regierung, eine umfassende Kontrolle, die die Regierungspartei VMRO-DPMNE über Polizei, Justiz, Verwaltung und Medien hat, und dass der Rechtsstaat unterlaufen ist, die demokratische Kontrolle nicht greift.

Schwere Vorwürfe: 20.000 Personen überwacht

Der Opposition zufolge haben Premierminister Nikola Gruevski und Geheimdienstchef Sašo Mijalkov seit 2006 nicht nur 100 Journalisten, dutzende Mitglieder der eigenen Partei und Oppositionelle abhören lassen, sondern auch ausländische Diplomaten, darunter sechs Botschafter in Mazedonien. Die Abhöraktion umfasse nicht nur Telefone, sondern auch Kommunikation über das Internet. Insgesamt sollen 20.000 Personen überwacht worden sein. Abgesehen von der Illegalität des Abhörens ist vor allem der Inhalt der Protokolle, die der Opposition zugespielt wurden, brisant. In anderen halbwegs demokratischen Ländern hätten sie wohl längst zum Sturz der Regierung geführt.

Bei einem angeblichen Gespräch zwischen der bereits genannten Polizeiministerin und dem ehemaligen Justizminister Mihajlo Manevski geht es darum, einem Mitglied des Verfassungsgerichts einen Gefallen zu erweisen. Bei einer anderen in den Protokollen aufgeführten Konversation geht es um die Verhaftung des früheren Innenministers Ljube Boskoski, der 2011 festgenommen wurde und mittlerweile eine Haftstrafe wegen illegaler Parteienfinanzierung verbüßt.

Eine Stimme wird Geheimdienstchef Mijalkov zugeordnet, wie er mit einem der wichtigsten Journalisten des Landes, dem Chefredakteur von Sitel TV, Dragan Pavlović Latas, redet. Am Tag der Verhaftung Boskoskis prognostiziert der Geheimdienstchef und Cousin des Premiers dabei nicht nur das Strafausmaß ("Boskoski wird dafür acht Jahre bekommen") gegen den Oppositionellen, sondern fordert den Chefredakteur auch auf, die Berichterstattung zu korrigieren. "Channel 5 hat es dreimal besser gemacht als du, was ist das Problem?", sagt Mijalkov zum Chefredakteur des regierungsfreundlichen Senders.

"Wir sollten alles reinigen"

In einem anderen veröffentlichten Telefonat sprechen offenbar Polizeiministerin Jankuloska und Martin Protoger, der Stabschef von Gruevski, miteinander. Es geht darum, dass die beiden vereinbaren, dass all jene, die für die Sozialdemokraten gearbeitet haben, aus der öffentlichen Verwaltung entfernt werden sollen. Die Stimme, die Jankuloska zugeordnet wird, ist zu hören: "Die werden nirgendwo mehr arbeiten. Wir sollten alles reinigen."

Gruevski und andere Akteure, die in den Skandal involviert sind, verweigerten gegenüber lokalen Medien jeden Kommentar. Die Regierung behauptet, Oppositionschef Zaev habe einen Staatsstreich geplant und würde Spionage betreiben, die ganze Affäre sei von einem ausländischen Geheimdienst gelenkt. Der Oppositionsführer musste bereits vor einigen Wochen seinen Pass abgeben, fünf weitere Personen wurden von den Behörden verhaftet, weil sie angeblich an dem versuchten Staatsstreich beteiligt gewesen sein sollen. Zaev selbst sagt hingegen, dass die Protokolle klar "einen direkten Gesetzesbruch der exekutiven Macht in der Justiz" zeigten.

Kritik aus Brüssel – und an Hahn

Die EU und andere relevante internationale Akteure forderten Untersuchungen in der Causa. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte jüngst ein geplantes Treffen mit Gruevski ab. Kritik gab es seitens der Zivilgesellschaft an EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn, weil er Mitte Februar bei einem Treffen mit Gruevski zwar sagte, dass die Vorwürfe der Opposition verfolgt werden müssten, aber keine vehemente Kritik äußerte.

Anders reagierte der frühere langjährige EU-Sonderbeauftragte in Mazedonien (2005–2010), Erwan Fouéré. Er schrieb auf der Plattform Balkaninsight, dass Gruevski aus Mazedonien "einen Albtraum" gemacht habe. Die Korruption sei "auf jeder Ebene der Regierung". Und es brauche nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, dass Gruevski und Cousin Mijalkov die Drathzieher hinter der Abhöraktion seien. Er kritisierte auch die ethno-nationalistische und populistische Politik des Premiers als einen Rückschlag in die Ära von Slobodan Milošević. "Eine Regierung, die eine Spionageaktion auf so einem industriellen Niveau gegen die eigenen Leute durchführt, und sogar gegen die eigenen Parteimitglieder, hat jegliche Glaubwürdigkeit und Legitimität verloren, als Regierung zu verbleiben", so Fouéré. Es sei hoch an der Zeit, dass vor allem die EU reagiere.

Laut dem jüngsten Ranking von Reporter ohne Grenzen liegt Mazedonien auf Platz 123, neben Angola. Dies ist bei weitem der schlechteste Wert im Vergleich zu den anderen Staaten Südosteuropas. (Adelheid Wölfl, derStandard.at, 1.3.2015)