Die Ermordung von Kreml-Kritiker Boris Nemzow macht wieder einmal deutlich, dass Internetdienste wie Twitter zwar Nachrichten so schnell wie kaum ein anderes Medium verbreiten können; gleichzeitig wird aber auch klar, dass der Anteil an ungesicherten Informationen - oder von gezielter Desinformation - sehr groß und sogar dominant sein kann.
Wie Der Spiegel in seiner Onlineausgabe am Wochenende berichtete, nützten offenbar Kreml-nahe PR-Strategen soziale Netzwerke gezielt für ihre Zwecke. Neben zahlreichen Putin-freundlichen Nutzern und Kommentatoren wurden schon am Samstag in den frühen Morgenstunden - also nur wenige Stunden nach der Ermordung des Politikers - auf Twitter hunderte sogenannte Bots aktiv. Dabei handelt es sich um kleine Computerprogramme, die weitgehend automatisch in fast endloser Folge Aufgaben erledigen - zum Beispiel das wiederholte Versenden von Tweets. Für diese Vorgänge ist in der Regel keine Interaktion mit einem menschlichen User notwendig; die Bots - der Begriff ist von "Roboter" abgeleitet - agieren automatisiert.
Am Wochenende verbreiteten dutzende Bots den gleichen Satz, dem zufolge Nemzow auf obskure Weise "von den Ukrainern" umgebracht worden sei - und zwar, weil er jemandem "die Freundin ausgespannt" habe. Ungefähr zur gleichen Zeit verbreitete das Kreml-Portal Lifenews die Meldung über eine angebliche Abtreibung bei Nemzows Begleiterin.
Offener Hass
Später wurde via Bots ein weiterer Tweet verbreitet: "An alle Verräter des Vaterlands: Euer Leben ist euren Herren nichts wert." Auch hier vermutete der Spiegel eine konzertierte Aktion, um ein "trending topic" zu produzieren, also einen Twitter-Trend, auf den User automatisiert hingewiesen werden, auch wenn sie nicht gezielt danach suchen.
Auch offener Hass wurde formuliert: Als am Tatort der liberale Politiker Anatolij Tschubais auf Knien um seinen ermordeten Freund trauerte, twitterten viele, man hätte auch ihn erschießen sollen. (red, DER STANDARD, 2.3.2015)