Anfang Dezember 2009: Während die Eigentümergespräche und die Verhandlungen mit der Republik also feststecken, verschärft sich die Lage der Hypo Alpe Adria. Zu den Geldabflüssen in Österreich kommt die steigende Nervosität: "Wenn bis zum Wochenende keine Lösung kommt, dann ist nächste Woche eine Schlange zu erwarten", wird im Vorstandsprotokoll der Hypo ein drohender Run der Kunden auf die Bank angesprochen. Zudem streicht die Österreichische Clearingbank, die nach Ausbruch der Krise im Auftrag des Staates bei der Refinanzierung hilft, ein Limit in Höhe von 400 Millionen Euro. Der ErsteCardClub in Kroatien, der Diners- und Mastercard abwickelt, zieht 68 Millionen Euro ab. Und in Wolfsberg verweigert die Filiale einer Postsparkasse die Einlösung eines Hypo-Schecks.

Der Hypo-Skandal in fünf Minuten: Renate Graber und Andreas Schnauder erklären das Milliardendebakel.
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Noch härter trifft die Bank freilich die Aktivität ihres eigenen Hauptaktionärs: Die Bayern schaffen Fakten und kündigen drei der HBInt gewährte Darlehen im Volumen von 650 Millionen Euro, die aus dem "Master Loan Agreement" genannten Kreditrahmenvertrag von 2008 stammen. München informiert Klagenfurt in einer E-Mail über die außerordentliche Kündigung und begründet sie unter anderem mit "falschen Angaben beim Abschluss". Nähere Angaben dazu: keine. In der nachfolgenden, per Fax versandten Ausfertigung droht die BayernLB der eigenen Tochter mit Zusatzsanktionen: "Das Recht zur Kündigung der weiteren unter dem Master Loan Agreement vom 30. 1. 2008 ausgereichten Einzeldarlehen behalten wir uns vor." Hypo und Republik deuten die Maßnahme richtig: Die BayernLB zieht alle Register, um Österreich unter Druck zu setzen. Einspruch wird dagegen dennoch nicht erhoben.

Festgefahrene Fronten

(...) Morgendämmerung des 14. Dezember 2009. Die Fronten zwischen BayernLB und Republik Österreich in der Verstaatlichungsnacht sind völlig festgefahren. Finanzminister Josef Pröll besteht darauf, dass die Bayern zwei Drittel der Kapitallücke von 1,5 Milliarden füllen - und beißt damit auf Granit. Genießbares bekommen die Verhandler aber auch serviert: Es gibt Würstel und Getränke. Pröll soll seinen bayerischen Amtskollegen und Parteifreund Georg Fahrenschon, mit Debreziner in der Hand, regelrecht angefleht haben: "Schorsch, politisch brauch ich eine Milliarde." Sein bayerischer Amtskollege habe sich vor Verwunderung verschluckt, Geld spie er aber keines aus. Erst ein Entgegenkommen des Bundes an vermeintlichen Nebenfronten führt zu Fortschritten.

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"Schorsch, politisch brauch ich eine Milliarde": Der damalige ÖVP-Finanzminister Josef Pröll (re.) und sein bayerischer Kollege und Parteifreund Georg Fahrenschon bei den Hypo-Verhandlungen 2009.
APA/HERBERT NEUBAUER

Das soll Finanzprokuratur-Chef Wolfgang Peschorn gar nicht gefallen haben. In einer der vielen Unterbrechungen schaut er im Backoffice der Österreicher vorbei und beklagt die Verhandlungsführung der Chefs. Auch das Wort "Weicheier" fällt in diesem Zusammenhang, wie ein Anwesender in einer Notiz festhält. Grund für die Unzufriedenheit ist das Nachgeben der österreichischen Regierungsvertreter in wichtigen Fragen. Erst fällt die von Peschorn geforderte Übernahme der nicht zu den Kernländern zählenden Hypo-Märkte durch die BayernLB unter den Tisch, außerdem ist von einer geforderten Garantie für die Verluste in Staaten wie Bulgarien oder der Ukraine mit ihren betrugsanfälligen Leasingportfolios keine Rede mehr.

Allerdings: Durch das Nachgeben der Österreicher steigen auch die Beträge, mit denen sich München aus dem Hypo-Debakel freikauft. Als Fahrenschon bei 800 Millionen Euro angelangt ist, drängt Pröll eindringlich auf mehr, worauf der CSU-Mann seinen Chef, Horst Seehofer anruft. Die Antwort des Ministerpräsidenten, so erzählt ein Augenzeuge: "Gib ihm halt noch ein bisschen was." Fahrenschon erhöht auf 825 Millionen Euro, und Pröll schlägt ein.

Von Gewährleistung ist keine Rede mehr. Dabei hat die Finanzprokuratur auf eine Tier-1-Garantie (für hartes Kernkapital) in Höhe von 1,254 Milliarden Euro gepocht: Würde dieser Betrag unterschritten, träfe die Bayern eine Nachschussverpflichtung. Doch die Regierungsvertreter wollen sich nicht mit Details aufhalten, Hauptsache der größte Brocken ist geschafft: die 825 Millionen Euro der Bayern.

Vernichtende Zeugnisse

Und die Aufsicht schaut zu.

Die Hypo Alpe Adria kann getrost als eine der am häufigsten geprüften österreichischen Banken betrachtet werden. Die Bankenaufseher von Nationalbank und FMA knöpfen sich das Institut im Lauf der Jahre immer wieder vor, auch die Interne Revision und Wirtschaftsprüfer nehmen es unter die Lupe - und oft fällt das Zeugnis vernichtend aus. Die OeNB prüft die Hypo allein zwischen 2006 und 2009 viermal, die Interne Revision erstellt in diesem Zeitraum 111 Berichte. Der Wirtschaftsprüfer - ab 2006 Deloitte, dann PwC und später Ernst & Young - nickt in all diesen Jahren sämtliche Bilanzen ab, ohne Wenn und Aber: immer mit uneingeschränktem Bestätigungsvermerk ohne Ergänzungen. Und das, obwohl er bei seinen Prüfungen ebenso regelmäßig "schwere Mängel feststellt", wie es im Griss-Kommissionsbericht heißt.

(....) Auch Jahre später, nach der Verstaatlichung und nach dem stetigen Auftauchen von Milliarden an Wertberichtigungen, bleibt die Rolle der Wirtschaftsprüfer ungeprüft. Die CSI Hypo überlegt zwar einmal, den Prüfern "näherzurücken", wie es ein Exbanker gegenüber den Autoren ausdrückt, letztlich nimmt man aber wieder davon Abstand. Denn: "Es gab wichtigere Dinge, und man kann nicht alles machen." Die Wirtschaftsprüfer hätten sich schließlich auf die Vollständigkeitserklärungen des Vorstands verlassen können, und es gebe "keinen Hinweis darauf, dass sie von falschen Bewertungen oder falschen Annahmen" gewusst hätten. Für die Gerichte könnte das Faktum, dass keine Testate zurückgezogen wurden - bis auf die für die Bilanzen 2004 und 2005 nach Aufkommen der Swap-Verluste - noch interessant werden. Denn die Republik stützt sich bei ihrer Irrtumsanfechtung des Verstaatlichungsvertrags auf ein Kleiner-Gutachten, das in den Leasinggesellschaften einen Wertberichtigungsbedarf in Milliardenhöhe feststellt. Die Bilanzen wurden trotzdem nicht mehr aufgemacht ...

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Am 2. Dezenber 2014 präsentierte die OGH-Präsidentin Irmgard Griss ihren Bericht über die Hypo Alpe Adria.
Foto: APA/Fohringer

Die Konstruktion des österreichischen Aufsichtssystems auf der einen Seite sowie Geschäftsmodell und Struktur der rasant expandierenden Kärntner Landesbank auf der anderen Seite ergeben eine explosive Mischung. Denn: Eine grenzüberschreitende Aufsicht, in der die nationalen Behörden miteinander kooperieren und gemeinsame Prüfungen durchführen, gibt es erst ab 2007. Die Aufsicht der EZB über die 120 größten europäischen Banken startet sogar erst im November 2014. Bis 2007 ist es also für die Klagenfurter Bank mit ihrem Geschäftsschwerpunkt in Südosteuropa ein relativ Leichtes, mit den Aufsichtsbehörden Verstecken zu spielen.

Prüfen die kroatischen Aufseher, werden problematische Kreditengagements schnurstracks in andere Länder verschoben - soweit das überhaupt nötig ist. Denn ein Großteil der Geschäfte läuft sowieso über die Leasing-Töchter, die die Hypo überall installiert und refinanziert - und die sie somit der Kontrolle der Aufseher weitestgehend entzieht. Aus dem Notenbank-Prüfbericht 2006/2007: "Vereinzelt wurden von den mitwirkenden Aufsichtsbehörden Risikotransfers zwischen den regionalen Tochtergesellschaften gemeldet (Leasing, Bank, Consultants)". Aber, so stellte die Aufsicht damals fest: "Ein systematischer Risikotransfer zwecks Vermeidung von Wertberichtigungen war nicht ersichtlich."

Erst Jahre später wird das Debakel in den Leasinggesellschaften offenbar. Und dann gibt es noch die Consultants-Gruppe, in der aus notleidenden Krediten überhaupt gleich Hypo-Beteiligungen werden, schwer einsehbar von Aufsichtsaugen. Das Procedere ist immer das gleiche: Eine Projektgesellschaft bedient ihren Kredit nicht mehr, die Hypo kauft die Gesellschaft und parkt sie unterm Dach ihrer Consultants-Holding. Und flugs wird so Eigentum aus notleidenden Forderungen gegenüber Kunden.

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"Das Risikomanagement für diese Unternehmensgruppe ... ist absolut unzureichend."
Foto: APA/Gindl

Schon 2004 prüft die Nationalbank den "Beteiligungsbereich Consultants" mit seinen mehr als hundert Projektgesellschaften. In diese Gesellschaften kann sie zwar nicht hineinschauen, aber die von der Hypo kommenden Geldflüsse kann sie sehr wohl prüfen. Der Schluss der OeNB in ihrem damaligen Prüfbericht: "Das Risikomanagement für diese Unternehmensgruppe ... ist absolut unzureichend." Auch die 2002 etablierte Hypo-Tochter in Liechtenstein taugt - was die österreichischen Aufseher angeht - bestens als schwarzes Loch. Die Bank wird von ihrer Mutter in Österreich refinanziert, bei der Kontrolle ihrer Kreditgeschäfte, die über Anstalten, Stiftungen und sonstige diskrete Gesellschaften laufen, haben die österreichischen Behörden das Nachsehen. Am besten nachvollziehen lässt sich das an jener Hypo-Prüfung, die die OeNB ab 18. September 2006 vornimmt.

Damals geht es vor allem um die Eigenmittelaufbringung und Kreditbeziehungen der Bank, die läuft bei der Kapitalerhöhung via Vorzugsaktien 2004 zum Teil über Hypo-Liechtenstein-Kredite und elf Liechtenstein-Anstalten - ein Geldringelspiel, das kein Eigenkapital erzeugt. All das finden die Bankprüfer 2006 zwar schon heraus, weiter kommen sie aber nicht. Sie scheitern nicht nur wegen der Falschangaben von Beteiligten, sondern auch am System Liechtenstein und dem Bankgeheimnis dort.

Folgenlos bleiben auch die Kritikpunkte, die Wirtschaftsprüfer Deloitte den Hypo-Verantwortlichen in den Management-Lettern zu den Jahresabschlüssen mitteilt. 2006, 2007 und 2008 etwa konstatieren alle, Interne Revision, OeNB und Wirtschaftsprüfer, grobe Mängel im Kreditgeschäft - trotzdem verlassen sich alle Jahr für Jahr darauf, es werde schon zu Änderungen kommen. Die Hypo, für die das Land Kärnten 2009 mit mehr als 20 Milliarden Euro haftet, die mittlerweile den Balkan erobert hat und jede Menge Beteiligungen ihr Eigen nennt, verfügt über keine Stabstelle Beteiligungsmanagement? Der Wirtschaftsprüfer bleibt geduldig. Er stellt dieses Manko in seinem Prüfbericht 2007 fest, er stellt dieses Manko in seinem Prüfbericht 2008 fest. Gut Ding braucht eben Weile; kritisieren wird all das erst der Rechnungshof Ende 2014. (Renate Graber, Andreas Schnauder, DER STANDARD, 28.2.2015)