Es kommt nicht so oft vor, dass eine deutsche Bundeskanzlerin die EU-Kommission in Brüssel besucht. Umso mehr waren am Mittwoch nicht nur die vollzählig versammelten Kommissare, sondern die Beamten auch der übrigen EU-Institutionen mehr als gespannt darauf, welche Themen Angela Merkel gemeinsam mit Präsident Jean-Claude Juncker in den Vordergrund stellen würde.

Beobachtern galt dies als der eigentliche informelle Arbeitsauftrag für die wichtigsten Projekte der kommenden Monate - geht ohne die Zustimmung der Kanzlerin kaum noch etwas in der Union. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz machten die beiden deutlich, dass gar nicht die Schwierigkeiten mit Griechenland ihre erste Priorität haben (siehe eigenen Bericht). Es seien drei Bereiche besprochen worden, so Merkel, neben der Krise in der Ukraine und den nötigen Hilfen auch "das Juncker-Paket" zur Ankurbelung von Wachstum und Beschäftigung mit dem Ausbau einer "Digitalunion".

Drittens schließlich habe man sich ausführlich über die auf den Verhandlungstischen liegenden Freihandelsabkommen der Union unterhalten, voran jenes mit den USA (TTIP), das in einigen Ländern heftig umstritten ist.

Die Kanzlerin sagte, sie habe in der Kommission "unterstrichen", dass "wir als Deutschland den Rahmen noch 2015 schaffen wollen". Angesichts des Tempos, das die USA bei ihren Verhandlungen im pazifischen Raum an den Tag legten, habe sie "große Hochachtung" vor dem Tempo, das die Kommission eingeschlagen habe.

Berlin drückt aufs Tempo

Will heißen: Ein rascher Abschluss von TTIP hat für Berlin höchste Priorität, was insofern überraschte, als die dafür zuständige Handelskommissarin Cecilia Malmström zuletzt im Interview mit dem Standard eher skeptisch war, ob dies gelingen könne. Von Merkel wurde sie gelobt für die größere Transparenz, die sie in die Verhandlungen gebracht habe. Deutschland wolle Klarheit bei den umstrittenen außergerichtlichen Schiedsgerichten zum Schutz von Investoren (ISDS), erklärte sie. Merkel fügte aber hinzu, dass gerade Deutschland immer wieder von solchen Schutzklauseln profitiert habe. Präsident Juncker sagte, die Kommission werde sich darum bemühen, "zielorientiert" bis zum Jahresende "ein belastbares Verhandlungsergebnis" auf den Tisch zu legen.

Ex-ÖIAG-Chef spricht von "Raubersgschichten"

Damit dürfte auch die Debatte über Vor- und Nachteile von TTIP neuerlich Schwung bekommen. In Österreich lehnt eine Mehrheit von 56 Prozent der Bevölkerung das Abkommen ab, wie die Gesellschaft für Europapolitik in einer Umfrage feststellte. 70 Prozent der Bürger fühlen sich schlecht informiert. Genau das sieht Markus Beyrer, der Generaldirektor von Business Europe, der Dachorganisation der europäischen Industrie- und Unternehmerverbände, als Hauptgrund der Ablehnung. In der öffentlichen Diskussion sei bei TTIP von Anfang an stark emotionalisiert worden, ganz anders als bei anderen Handelsabkommen wie mit Japan oder Kanada, "die kaum jemand interessiert haben", sagte Beyrer im Interview mit dem STANDARD. Der frühere ÖIAG-Chef, der 2012 nach Brüssel wechselte, bedauert, dass "Raubersgschichten" wie die über das Chlorhuhn dominieren: "Wir wollen eine sachliche Debatte."

Man habe von Anfang an den Fehler gemacht, sich auf "technische Fragen" zu konzentrieren. Der Streit um den Investitionsschutz, den es als Instrument seit Jahrzehnten gebe, sei "zum Politikum" gemacht worden. In Wahrheit diene er aber auch europäischen Unternehmern, die in die USA oder nach China gingen.

Die Ablehnung in Österreich (und Deutschland) sieht Beyrer als "absurd" an. Gerade die offene exportorientierte Wirtschaft des Landes mit Klein- und Mittelbetrieben werde von TTIP stark profitieren, bei Wachstum und Jobs. (Thomas Mayer aus Brüssel, DER STANDARD, 5.3.2015)