Auftakt der Salzburg Biennale am 6.3. mit den von Avantgardemusiker Harry Partch (1901-74) gebauten Instrumenten.

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Heike Hoffmann, geboren 1958 in Weimar, ist profilierte Festivalmacherin und hat von 2011 bis 2015 die Salzburg Biennale geleitet.

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STANDARD: Viele meinen, die Neue Musik sei in den letzten Jahren in einen Zustand der Stagnation getreten. Woran liegt das?

Heike Hoffmann: Diese Meinung kann ich überhaupt nicht teilen, allenfalls mag das vielleicht zutreffen auf das, was gemeinhin unter der Neuen Musik mit dem großen N verstanden wird, was die Musik einseitig auf eine Fortschrittsperspektive reduziert. Ansonsten gibt es enorm viele junge Komponisten und - nicht zu vergessen - Komponistinnen, die Hochschulen bilden aus, es werden neue und alte Wege, mitunter auch Irrwege, beschritten, aber komponiert wird meiner Beobachtung nach äußerst produktiv. Und wenn wir uns den Andrang bei Festivals wie Donaueschingen, Strasbourg, Ultraschall oder der Musica viva anschauen, hat man eher den Eindruck eines Booms denn den einer Stagnation.

STANDARD: Salzburg ist fast ein Synonym für Traditionsbewusstsein und eine gloriose Geschichte. Wie leicht oder schwer hat es da ein Festival der neuen Töne?

Hoffmann: Tendenziell eher schwer, meine ich. Vielen - auch vielen kulturpolitisch Verantwortlichen - reicht der Glorienschein der Geschichte. Musik ist ja in Salzburg nicht nur eine überwältigende künstlerische Tradition, sondern auch knallharter Wirtschaftsfaktor. Da kann die zeitgenössische Musik natürlich nicht mithalten. Aber glücklicherweise gibt es kluge Menschen, die wissen, dass es einer Befragung der Tradition durch das Neue bedarf. Sonst ist sie irgendwann nur noch Museum.

STANDARD: Die heurige Biennale ist Ihre dritte und letzte. Wie sähe Ihre Bilanz in einem Satz aus?

Hoffmann: Drei künstlerisch hochkarätige Festivals und ein ausgeglichenes Budget.

STANDARD: Welche Ihrer Erwartungen oder Befürchtungen wurden erfüllt oder enttäuscht oder vielleicht auch übertroffen?

Hoffmann: Erwartet hatte ich, dass es unter den Beteiligten mehr Konsens gäbe, was eigentlich die Aufgabe und das Profil dieses 2009 von Hans Landesmann gegründeten Festivals sein soll. Und davon abgeleitet - mehr Commitment der im Verein vertretenen Institutionen. Mein Verständnis von Kooperation ist nicht, dass man etwas beiträgt und dann eine Rechnung schreibt. Deutlich übertroffen wurden meine Erwartungen durch das Salzburger Publikum: kenntnisreich, begeisterungsfähig, einfach großartig.

STANDARD: Hat sich aus Ihrer Sicht der zweijährige Rhythmus bewährt? Oder würde die Sache doch mehr Kontinuität benötigen?

Hoffmann: Ich halte sowohl den zweijährigen Rhythmus als auch die Streckung über drei Wochenenden nicht für optimal. Aber gegen eine Verstetigung im Einjahresrhythmus wehrt sich mit gutem Grund das Festival Aspekte, gegen ein kompaktere Bündelung der Altstadtverband, einer der Hauptgeldgeber.

STANDARD: Sie haben mit thematischen Blöcken, die doch flexibel sind und ineinandergreifen, dem Festival ein deutliches Profil gegeben. Wie viel Thematik braucht eine Veranstaltungsreihe wie die Biennale?

Hoffmann: Meines Erachtens braucht ein Festival vor allem Struktur und eine gewisse Wiedererkennbarkeit. Bei einem Festival in drei unterbrochenen zeitlichen Blöcken schien es mir sinnvoll, wiedererkennbare Programmschienen - die inhaltlich flexibel sind - einzuziehen. Anfangs haben sich alle aufgeregt, jetzt ist das gelernt und offensichtlich ein ganz guter Leitfaden durch die Vielfalt. Ein Thema braucht vor allem der Programmmacher, um nicht der Gefahr der Beliebigkeit zu erliegen.

STANDARD: Ihr Budget ist überschaubar; dennoch hatten Sie immer szenische Produktionen im Programm. Wie haben Sie das bewerkstelligt?

Hoffmann: Vor allem durch internationales Netzwerken, Koproduktionen und Klinkenputzen. Ich habe mich rechtzeitig in anderswo entstehende Projekte - durchaus auch konzeptionell - eingeklinkt. Leider war die Möglichkeit für szenische Eigenproduktion der Biennale ja nicht gegeben. Auf die Art und Weise profitiert Salzburg von Förderungen aus dem EU-Kulturprogramm, der Ernst-von-Siemens-Musikstiftung und vielen anderen. Ein Beispiel: Atlas - Inseln der Utopie war eine Idee, die José Maria Sánchez-Verdú auf meine Bitte, etwas für Salzburg zu machen, entwickelt hat. Als dann klar wurde, dass das Konzept unsere Möglichkeiten hier sprengt, haben wir es mit Hilfe der Ernst-von-Siemens-Stiftung und der deutschen Bundeskulturstiftung bei den KunstFestspielen Herrenhausen gemacht, und nun kommt es als Gastspiel nach Salzburg in den Carabinieri-Saal der Residenz. Ein anderes: Den Auftrag für ein neues Werk für die Instrumente von Harry Partch an Caspar Johannes Walter hat das Ensemble Musikfabrik vergeben und die Kulturstiftung Nordrhein-Westfalen finanziert, uraufgeführt wird es in Salzburg.

STANDARD: Was gewinnen neue Klänge durch das Zusammenspiel mit der Bühne?

Hoffmann: Schwierige Frage. Was gewinnen alte Klänge durch das Zusammenspiel mit der Bühne? Die neuen Formen von Musiktheater, die ich zeige, sind ja nicht etwa bebildertes Konzert, sondern hier sind Musik und Szene gleichberechtigt, eins ohne das andere nicht denkbar. Wenn etwa Simon Steen-Andersen Video einsetzt in seinen Projekten, dann geschieht das nicht etwa illustrativ, sondern der Klang entsteht aus dem Bild, und das Bild entsteht aus dem Klang oder vice versa. Das sind spannende Prozesse, und diese Spannung spürt natürlich auch der Zuschauer. Ich kenne Menschen, die mögen kein Musiktheater, weil es sie vom Hören ablenkt, anderen erschließt sich die Musik durch das, was zu sehen ist.

STANDARD: Welches ist Ihr diesjähriges Lieblingsprojekt - und warum?

Hoffmann: Es gibt keines, was mir nicht lieb ist, weil ich mich allen Künstlern sehr verbunden fühle und so viele Gespräche geführt habe, bevor das Programm so wurde, wie es jetzt ist. Manches war einfacher, manches komplizierter auf die Beine zu stellen, aber jetzt ein Lieblingsprojekt zu küren ist mir einfach nicht möglich. (Daniel Ender, DER STANDARD, 5.3.2015)