Das französische Recht enthält kein "genügend klares, verbindliches und präzises" Verbot körperlicher Züchtigungen wie Ohrfeigen, Stockhiebe oder Schläge auf den Hintern. Das hat das Sozialkomitee des Straßburger Europarates am Mittwoch festgehalten. Es heißt damit eine Beschwerde der britischen Kinderhilfeorganisation Approach gut, die Frankreich der europäischen Sozialcharta vorgeworfen hatte. Diese beinhaltet ein entsprechendes Schlagverbot.
Anders als die Mehrheit der 47 Europaratsmitglieder erlaubt Frankreich in seinem Recht aber "leichte" Züchtigungen durch die Eltern, wenn gleich nicht durch die Lehrer. Eine Mehrheit der Franzosen denkt offenbar ähnlich wie Papst Franziskus, der sich im Februar für gelegentliche Kinderhaue – "in Würde" und nicht ins Gesicht – ausgesprochen hatte. Wie die Zeitung Le Monde schreibt, frönt das katholische Frankreich noch "der Kultur des pater familias". Dieser gelte als Inhaber der elterlichen Autorität und habe damit auch die Hoheit über das Hinternversohlen, die "petites fessées".
Mehrheit für Ohrfeige
Als ein Gericht in Limoges 2013 einen Vater mit 500 Euro büßte, weil er seinen widerspenstigen Neunjährigen über die Knie gelegt hatte, sprachen sich in einer Umfrage neun von zehn Franzosen gegen das Urteil aus. Vor den Pariser TV-Kameras zum neuesten Europaratsentscheid befragt, meinten die meisten Erwachsenen, eine Ohrfeige könne doch, wenn mit gesundem Menschenverstand eingesetzt, "nicht schaden". Auch die meisten Politiker sehen kein Problem darin, sofern damit keine Misshandlung verbunden sei; Exminister Benoist Apparu meinte leichthin, die Schläge seines Vaters hätten ihn jedenfalls "nicht traumatisiert".
Französische Kinderpsychiater widersprechen vehement. "Eine Ohrfeige kann bewirken, dass das Kind im Moment gehorcht – aber nicht auf Dauer", meint der ehemalige Lehrer Olivier Maurel, der landesweit gegen die Kinderzüchtigung kämpft. "Ein Schlag zieht deshalb bald den nächsten nach sich." Einem Kind werde auch nicht klar, ob der "Handeinsatz" pädagogisch gemeint sei: "Das Kind lernt nur die Gewalt." Auch die Psychoanalytikerin Claude Halmos meint: "eine Ohrfeige hilft nicht weiter. Im Gegenteil setzen sie einzig das Recht des Stärkeren durch." Der bekannte Kinderarzt Aldo Naouri, der als ausgesprochener Befürworter der elterlichen Autorität gilt, ist sogar gegen den Klaps aufs Händchen: "Solche Gesten zeugen nur vom Scheitern der Eltern."
Paris lehnt Gesetzesänderung ab
Der Entscheid des Europarats-Komitees ist nicht verbindlich, sodass Frankreich nicht zur Änderung seiner Gesetzgebung gezwungen werden kann. Die Pariser Familienministerin Laurence Rossignol erklärte, ihr Land lehne eine Gesetzesänderung ab. Sinnvoll sei hingegen eine "kollektive Debatte über den Nutzen körperlicher Strafen bei der Erziehung der Kinder".
Das klingt auch nicht sehr verbindlich. Frankreich wird nicht zum ersten Mal wegen seiner Tradition der "fessée" gerügt. Allein der Europarat hat Paris seit 2003 schon dreimal an die Einhaltung der Kinderrechte in der Sozialcharta erinnert. Wenn seine Rügen nie fruchten, muss sich der Europarat vielleicht überlegen, ob es gegenüber dem Land, das sich gerne als Speerspitze des sozialen Fortschritts fühlt, nicht eine kleine Strafe in Betracht ziehen will. Natürlich nicht der körperlichen Art. (Stefan Brändle, derStandard.at, 4.3.2015)