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Das neue Arbeitszeitgesetz für Ärzte macht Schlagzeilen. Eine Turnusärztin fragt sich: Warum spart man bei jungen Ärzten?

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Das neue Arbeitszeitgesetz für Spitalsärzte sorgt für Konflikte. Es geht um die Reduktion von Arbeitszeit und Nachtdiensten sowie Gehaltsanpassungen, dabei werden aber die Patienten in den Krankenhäusern nicht weniger. In einer Urabstimmung lehnten Wiener KAV-Ärzte die neue Regelung nun ab. Nicht alle fühlen sich von den Verhandlern gut vertreten. Eine junge Turnusärztin etwa. Sie hat den Eindruck, dass man vor allem den Jungen das "Arztleben zur Hölle" mache. Wer Arbeitszeiten verlängere oder Diensträder streiche, habe "vielleicht nie einen Nachtdienst erlebt". Deshalb gibt sie Einblick in den Dienstalltag einer Turnusärztin.

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8 Uhr, Dienstübergabe

Völlig übermüdete Oberärzte berichten, was sich in den vergangenen 25 Stunden auf der Station ereignet hat. Danach die Morgenarbeit. Alle Blutabnahmen, die vom Pflegepersonal "nicht geschafft wurden" – also 80 Prozent, etwa fünf Venflons (Venenkatheter) und ebenso viele Blutabnahmen bei schwieriger Venensituation –, müssen von irgendwem dann doch geschafft werden – also von mir. Danach wartet eine von meiner Stationsärztin liebevoll zusammengeschriebene Liste mit Namen derer, die an diesem oder am nächsten Tag entlassen werden sollen und noch ihren Arztbrief erwarten. Ein Brief bedarf einer ausführlicheren Zusammenfassung, da die Patientin mehrere Wochen auf der Station lag. Ich setze mich also mit meinem Diktiergerät über die Fieberkurven und dicken Mappen.

Eine Schwester unterbricht mich, eine Patientin hat furchtbare Schmerzen. "Könntest du was aufschreiben?" Das ging ja noch schnell. Danach versuche ich, mich wieder auf den Brief zu konzentrieren, doch ich werde wieder unterbrochen – Herzrasen bei einer Patientin. Ich springe auf und eile zur Patientin. EKG, Blutabnahme und Blutdruckmessung werden großteils von mir erledigt, die Schwestern "assistieren" dabei. Zum Glück kein STEMI (Herzinfarkt mit EKG-Zeichen), also warten wir mal den Troponinwert ab. Das Beschwerdebild der Patientin bessert sich wieder.

Kaum sitze ich vor den zu schreibenden Arztbriefen, klingelt das Telefon. Eine Aufnahme kündigt sich an. Schnell diktiere ich zumindest noch einen Brief fertig.

Die neue Aufnahme ist eine ältere Frau. Sorgfältig, aber schnell statuiere ich sie, schreibe ein EKG und mache eine Blutabnahme. Die Herausforderung, einen Venflon zu stechen, kostet mich ob der wieder einmal schlechten Venensituation trotz bereits monatelanger Erfahrung viel Zeit. Irgendwann schaffe ich es doch. Ein bisschen Flüssigkeit und die gute Dame ist fürs Erste versorgt.

13 Uhr, nach der Visite verabschieden sich Kollegen

Wieder setze ich mich an die Briefe. Inzwischen stapeln sich die durch die Visite hervorgegangenen Konsiliarzettel zum Ausfüllen und es sind Röntgeneingaben in den Computer vorzunehmen. Es ist 13 Uhr und die Kollegen verabschieden sich. Nur das Dienstpersonal und die Pflegepersonen sind da. Nun bin ich alleine für drei Stationen, insgesamt rund 65 Betten, zuständig.

Ich arbeite die Konsiliarzettel ab, erledige die Röntgeneingaben. Ach ja, eigentlich wartet noch irgendwo meine Jause. Und ein Glas Wasser. Ich gehe in den Sozialraum. Das Diensthandy klingelt. "Eine Aufnahme auf C, bitte komm gleich." Ok, ich mache mich auf den Weg. Zuvor werfe ich noch einen Blick auf die Troponin-Kontrolle der Patientin – glücklicherweise unverändert negativ.

17 Uhr, immer mehr Patienten

Vier Stunden später und vier Patienten reicher gehe ich müde, zu meiner zuvor nicht angerührten Jause. Schon kommt mir die Schwester entgegen. Eine Patientin hat Fieber. "Willst du Blutkulturen abnehmen?" Ich packe die großen Flaschen und verordne etwas Fiebersenkendes. Dann setze ich mich zu meinen restlichen Briefen, eine große Tasse Kaffee in der Hand, und beginne zu diktieren. Fast hätte ich das Buch mit den Aufklärungsbögen vergessen. Ich werfe einen vorsichtigen Blick hinein – natürlich noch zwei CT-Aufklärungen und eine für einen Herzkatheter. Das ist nicht mein Spezialgebiet, da ich nicht auf einer Kardiologie arbeite. Sorgfältig lese ich mir alle Risiken und Komplikationen durch, gehe zu den Patienten, nehme mir entsprechend Zeit, aufzuklären und warte geduldig, bis sie verstanden haben und bereit sind, eine Unterschrift zu setzen.

19 Uhr, Dienstwechsel bei den Schwestern

Inzwischen ist es 19 Uhr. Die Schwestern – die glücklichen – haben Dienstwechsel und dürfen nach Hause. Ich setze mich kurz mit meiner Oberärztin zusammen, bespreche die Aufnahmen und sie hat sogar Zeit, mir kurz etwas zu erklären. Das passiert nicht alle Tage. Wir beschließen, Essen zu bestellen. Ich mache noch schnell die Briefe fertig. Mein Handy klingelt. Die letzte Aufnahme hat einen Hämoglobinwert von 5. Gemeinsam mit der Oberärztin gehe ich zur Patientin, nehme Kreuzblute ab, bestelle Blutkonserven auf die Station. Dann schreibe ich ein Konsil für eine am nächsten Tag angesetzte Gastroskopie.

Die Pizza wird geliefert, und schon klingelt auch wieder mein Handy. Ein Patient braucht einen Venflon, ein anderer hat Probleme mit seinem Katheter und blutet. Das Essen muss warten. Ich muss noch drei Venflons für die Abendmedikation setzen und ein urologisches Konsil ausfüllen. Dann noch ein Anruf: Ein Patient hat einen Blutdruck von über 200, fühlt sich ganz schlecht und ist hochrot! Ich verpasse zwei Hübe Nitro und begebe mich Richtung Küche. Halt, noch zwei Venflons auf der anderen Station, einmal Medikament umschreiben, einmal auf dem Weg das Suchtgiftbuch unterschreiben und weil ich schon mal dort bin, vier Patienten hätten gerne etwas, um einschlafen zu können.

21.30 Uhr, ein hastiges Stück Pizza

Nun ist es 21.30 Uhr. Schnell setze ich mich zum Team und verschlinge ein Stück Pizza. Da läutet das Handy der Oberärztin. Man braucht ein Bett für eine Patientin, die sich ununterbrochen übergibt. Sie sagt zu. Auch mein Handy läutet. Die Blutkonserven sind da. Ich mache den Bedside-Test (Laboruntersuchung am Bett des Patienten) nach Vorschrift, kontrolliere alles bis aufs Kleinste genau, da eine Transfusion wirklich heikel ist und ich das auch nicht jeden Tag mache. Ich kläre die Patientin auf, sie ist einverstanden, und schließe die Transfusion aufgrund des Zeitmangels an den Erwärmer an, bevor ich sie durch die Venen der Patientin fließen lasse. Kurz warte ich noch, ob die Patientin irgendwie reagiert.

Dann ist auch schon die Aufnahme da. Die arme Patientin hat keine Ahnung, wo sie ist, warum sie eingeliefert wurde und was nun mit ihr geschieht. Wenigstens erbricht sie nicht mehr. Obwohl ich weiß, dass sie mich kognitiv nicht verstehen wird, kläre ich sie auf, versuche sie zu beruhigen. Sie jedoch wird aggressiv, beginnt um sich (und mich) zu schlagen und wehrt sich gegen Blutabnahme und EKG-Elektrode. Ich dokumentiere alles genauestens, das gehört ja auch zu meinem Job. Irgendwie schaffe ich es dann doch, ihr einen Venflon und eine Flüssigkeit zu verpassen. Danach wird sie wieder ruhiger.

23 Uhr, Patienten wecken, Venenkatheter setzen

Die Schwester bittet mich, noch zwei Venflons für die 24-Stunden-Medikation zu setzen – um 23 Uhr, wenn die Patienten schlafen (sollten). Aber ich muss es wohl machen, genauso wie die zweite Bluttransfusion.

3:45 Uhr, kurze Bettruhe

Es ist 3:45 Uhr. Knapp 1,5 Stunden Bettruhe, dann läutet wieder das Handy. Ein Patient mit starken Schmerzen muss aufgenommen werden. Ich begrüße ihn und frage, warum er gerade heute und zu dieser Uhrzeit komme. Er antwortet, heute Abend seien die Schmerzen sehr stark, er könne nicht mehr schlafen. Wenigstens hilft ihm ein starkes Schmerzmittel. Eine genaue körperliche Untersuchung muss warten, denn die andere Station ruft mich zu einem Notfall.

Ich lasse alles liegen und stehen, laufe hin, gehe auf dem Weg gedanklich nochmals alles zum Thema Reanimation durch, und finde eine regungslose Patientin, bleiche Schwestern und eine Oberärztin vor, die bereits den Tubus in der Hand hält. Ich löse die Schwester ab, die die Herzdruckmassage macht, selbst schwach vom wenigen Schlaf und der tagsüber sehr anstrengenden Arbeit, aber voll Adrenalin. Die Reanimation verläuft erfolglos, nach 40 Minuten gibt die Oberärztin das Zeichen abzubrechen.

Nun muss alles für die Pathologie organisiert werden. Den Anruf der Verwandten übernimmt die Oberärztin. Ich kümmere mich wieder um den Herrn mit den seit Wochen bestehenden Schmerzen. Danach kann ich mich noch eine Stunde ins Bett legen, bis wieder ein paar Blutabnahmen, die von den Schwestern nicht geschafft wurden, notwendig sind.

Ein 25-Stunden-Dienst geht dem Ende zu

Dies ist die Schilderung eines exemplarischen 25-Stunden-Dienstes von Turnusärzten in einer Abteilung mit "nur" rund 60 Betten. Manchmal ist weniger zu tun, meist ist es jedoch noch mehr. Meine diensthabende Oberärztin war zwar telefonisch immer erreichbar, aber sowohl sie als auch der Assistenzarzt waren mit ihren eigenen intensivmedizinischen Notfällen und Konsiliarbesuchen beschäftigt.

Warum spart man bei jungen Ärzten?

Nun hört man, dass vor allem die Turnusarzt-Diensträder eingespart werden sollen. Es soll einen "Pool" an Turnusärzten geben, die teilweise zwei Abteilungen (150 Betten) alleine betreuen müssen. Klar, den Turnus wird es in dieser Weise schon bald nicht mehr geben. Aber warum spart man bei den jüngsten Kollegen? Warum macht man gerade denen das Arztleben zur Hölle? Warum macht man ihnen keine lukrativeren Angebote?

Solide Ausbildung

Eines ist klar: 12-Stunden-Diensträder werden bei so wenig Personal nicht funktionieren. Anstatt von Personaleinsparungen sollten jedoch Arbeitsplätze für Jungärzte geschaffen werden. Ich wünsche mir eine solide Ausbildung, um als Ärztin für Allgemeinmedizin in zwei Jahren mit gutem Gewissen Patienten gegenübertreten zu können. Ich möchte keine ahnungslose Hausärztin sein. Wer möchte schon – wie leider oft der Fall – aufgrund massiver Ahnungslosigkeit und Unerfahrenheit gravierende Fehler begehen oder Patienten einfach nur "weiterschicken" – und dadurch für eine eine zusätzliche Belastung der Ambulanzen sorgen.

Ins Ausland?

Leider ist es in ganz Österreich kaum mehr möglich, eine solide Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin zu bekommen. Daran wird auch das neue System mit dem "Common Trunk", dem gemeinsamen Praxisjahr für alle angehenden Ärzte, nichts ändern. Ich habe bereits Bewerbungen in die Schweiz und nach Deutschland geschickt, dort würde ich mit offenen Armen empfangen werden. Österreich ist sehr lebenswert, ich möchte eigentlich nicht weggehen, nur weil die Politik uns Jungärzten das Leben schwer macht. Aber bleibt mir etwas Anderes übrig? (Maria W., derStandard.at, 9.3.2015)