Tschetschenische Familie in Wien: Mit rund 30.000 Angehörigen stellt die tschetschenische Diaspora eine der größten Gruppen anerkannter Flüchtlinge und Asylwerber in Österreich dar.

Foto: Heribert Corn

Wien - Ein Motiv, sich zusammenzuschließen, sei das Problem mit gewaltbereiten, radikalisierten Jugendlichen, sagt Adam Bisaev, Integrationscoach tschetschenischer Herkunft. Denn natürlich sei es in der 30.000 Menschen zählenden tschetschenischen Community Österreichs "in aller Munde", dass sich mancher Sohn und einzelne Töchter aus der sicheren österreichischen Diaspora ins syrische Kriegsgebiet aufgemacht haben.

Laut Verfassungsschutz stammen die meisten der rund 190 aus Österreich kommenden Kämpfer der Terrormiliz IS in Syrien aus tschetschenischen Familien. Um das Abdriften weiterer Jugendlicher zu verhindern, gelte es, auch in der Community entgegenwirkende Strukturen zu schaffen, erläutert Bisaev.

83 Prozent Negativberichte

Vor einem Jahr hat er daher die Gründung des Rats der Tschetschenen und Inguschen mitinitiiert: eines als Dachverband konzipierten Vereins, der über den politischen und religiösen Kontroversen unter seinen Landsleuten stehen sowie dem schlechten Image der Volksgruppe entgegentreten will. Laut einer Untersuchung von SOS Mitmensch kamen Tschetschenen 2014 in Berichten der Onlineausgaben von "Kurier", "Wiener Zeitung", "Kleiner Zeitung" und STANDARD zu 83 Prozent in negativem Zusammenhang vor - etwa in Meldungen über Kriminalität, Jihadismus und Abschiebungen.

Als Ratsstruktur wurde eine Mischung aus Tradition und Moderne gewählt. In der nordkaukasischen Gesellschaft sei die regionale Zugehörigkeit wichtig, und es nähmen die Ältesten eine zentrale Rolle ein, schildert Bisaev. Dementsprechend bestehe der Rat aus je einem Ältestenvertreter der 20 Bezirke Tschetscheniens. Dazu kommen ein in Gründung befindlicher Frauen- sowie ein Jugendrat.

Erste Bewährungsprobe

In Sachen gewaltbereiter Jugendlicher erlebte der Rat vergangenen Sommer eine erste Bewährungsprobe: Im Wiener Prater kam es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen einer tschetschenischen und einer afghanischen Jugendgang, zusammen über hundert Personen.

Um Ärgeres zu verhindern, kontaktierten die tschetschenischen Rats-Repräsentanten Ältere aus der afghanischen Community. Auch die Polizei soll davon informiert gewesen sein. Dann wurden Jugendlichen-Wortführer zum Gespräch aufgefordert. Laut Berichten wirksam: Die Jugendlichen stellten den Streit ein.

Wichtig: Gesprächsangebote

Das Beispiel zeige, dass junge Männer aus der tschetschenischen Diaspora vor allem Gesprächsangebote bräuchten, meint dazu die in Wien lebende tschetschenische Journalistin Maynat Kurbanowa. Man müsse "auf sie zugehen", um ein Gegengewicht zu Erfahrungen als Kinder in inguschetischen Flüchtlingslagern und ausgegrenzte Schüler in Österreich zu schaffen. Nur so könne verhindert werden, "dass sie den IS-Anwerbern in den Internetforen auf den Leim gehen". (Irene Brickner, DER STANDARD, 5.3.2015)