Bild nicht mehr verfügbar.

Noch hat das Projekt Semmeringbahntunnel nicht alle Hürden genommen.

APA

Wien - Endspurt im Beschwerdeverfahren am Bundesverwaltungsgericht gegen die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) samt eisenbahnrechtlicher Genehmigung für den Semmeringbasistunnel (SBT). In der Verhandlung im Jänner taten sich Widersprüche bei dem auf 3,1 bis sechs Milliarden Euro taxierten Projekt auf. Sie gingen nun als "Ergänzende Stellungnahme" der Beschwerdeführer rund um die Natur- und Landschaftsschutzorganisation Alliance for Nature (AFN) an den Vorsitzenden des Richtersenats, Werner Andrä.

Die Hauptpunkte: Das öffentliche Interesse, auf das sich ÖBB und Verkehrsministerium berufen, ist nur leidlich belegt. Realistisch erscheinen 30 Minuten Fahrzeitverkürzung, die bisweilen in Aussicht gestellten 50 halten Computersimulationen aber kaum stand.

Die Verkehrsprognosen datieren aus dem Jahr 2008, und bei den Gütermengen regierte Optimismus: Auf Basis der jährlich transportierten Gütermengen von 1999 (9,3 Millionen Tonnen) und 2008 (11,5 Millionen Tonnen) wurde die Steigerung bis 2025 hochgerechnet: plus 16 Prozent auf 12,76 Mio. Tonnen. Aber alles ist relativ. Berechnet man die Zuwächse zum Beispiel auf Basis 2003 (9,9 Millionen Tonnen) bis 2012 (11,0 Millionen Tonnen), stieg die Tonnage nicht um 26,9, sondern nur um 11,1 Prozent.

Starker Anstieg

Hochgerechnet auf 2025 ergibt die Differenz jene 12,76 Mio. Tonnen, die nun den Tunnelbau rechtfertigen sollen. Wie im Jahr 2055 gar 29,44 Millionen Tonnen erreicht werden sollen - eine Steigerung um 156 Prozent gegenüber 2008 - bleibt offen. Tatsächlich ist die transportierte Gütermenge von 2004 bis 2008 um acht Prozent gesunken - eine dramatische Verlagerung von der Straße auf die Schiene ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten.

Die ÖBB-Vertreter meinten gemäß Gerichtsprotokoll übrigens, dass diese Prognosen rechtlich irrelevant wäre, weil sich Zahlen ohnedies ständig änderten.

Allerdings: Laut Aussage des ÖBB-Projektleiters bei der mündlichen Verhandlung im Jänner 2015 könnten auf der Ghega-Strecke (Unesco-Kulturerbe) bis zu 360 Züge pro Tag fahren, nicht nur 180, wie derzeit praktiziert. Das wäre freilich teurer im Betrieb, weil pro Zug zwei Lokomotiven gebraucht werden, um die Last zu ziehen. Hinsichtlich Qualität und Leistungsfähigkeit "sind wir bereits an der Grenze", so die Aussage vor Gericht. Die kolportierten Engpässe sind also relativ.

"Schaden für Österreich"

Womit sich ein weiterer Widerspruch auftut: Die Berechnungen zu (gemein- oder volkswirtschaftlichen) Kosten und Nutzen. Die der UVP beigefügte WU-Studie geht von nur 2,1 Milliarden Euro Baukosten aus und setzt den Nutzen hoch an, insbesondere in der Bauphase und aufgrund von Standortvorteilen für die betroffenen Regionen und natürlich für die österreichische Industrie. Dass die Baukosten bis zur UVP um eine Milliarde Euro gestiegen sind, änderte am Ergebnis nichts. Das deutsche Planungsbüro Vieregg-Rössler beschied dem SBT-Projekt hingegen, ein "Schaden für Österreich" zu sein - und klar negatives öffentliches Interesse - wegen zu hoher Kosten.

Ignoriert das Bundesverwaltungsgericht die im Juni 2014 bei der UVP-neu vorgelegten Privatgutachten, wird das vor dem Bundesverwaltungsgericht geführte Verfahren angreifbar. Denn wohl hat der Verwaltungsgerichtshof im Dezember 2013 das "öffentliche Interesse" bestätigt. Dies allerdings mit dem Hinweis, die Beschwerdeführer hätten ein veraltetes Gegengutachten vorgelegt. Seit Juni 2014 liegen nun aber zwei neue vor - die vom Verkehrsministerium beim neuen UVP-Bescheid ignoriert wurden.

Geld aus Brüssel

Laut Paragraf 39 Verwaltungsrecht muss eine Behörde in einem öffentlich-rechtlichen Verfahren aber alles berücksichtigen, das bis zum Zeitpunkt der Entscheidung vorgelegt wird. Dass dies durch einen Passus im Eisenbahnrecht dennoch verwehrt wird, deutet eher auf Verfassungswidrigkeit des Eisenbahnrechts hin. Zumal selbst auf der Wirtschaftsuni, von der die verkehrswirtschaftliche Expertise für den SBT stammt, inoffiziell kritisiert wird, dass die SBT-Verkehrszahlen alt sind und untauglich für die UVP.

Fraglich ist übrigens auch, ob Österreich für den SBT auf TEN-Förderungen aus Brüssel hoffen darf. Wohl wurden SBT und Koralmtunnel in die baltisch-adriatische Achse hineinreklamiert. Für EU-Zuwendungen fehlt allerdings - entgegen den politischen Beteuerungen - eine wesentliche Voraussetzung: die strategische Prüfung über die Umweltauswirkungen des Milliardenprojekts. Deren Ziel: Ein möglichst hohes gesamtwirtschaftliches Kosten-Nutzen-Verhältnis. Selbiges ist in einem öffentlichen Bericht darzulegen. Diese strategische Umweltprüfung durfte gemäß der österreichischen Übergangsbestimmungen beim SBT praktischerweise entfallen. Für Förderungen aus Brüssel dürften diese nationalen Sonderbestimmungen wohl nicht gelten. (Luise Ungerboeck, DER STANDARD, 5.3.2015)