Bild nicht mehr verfügbar.

Zerstörungen im Museum von Mossul im Februar 2015.

Foto: ap

Bild nicht mehr verfügbar.

Was in Bamiyan übrig blieb: Im März 2001 zerstörten die Taliban hier Buddha-Statuen.

Foto: ap/Rahmat Gul

Was sich in den vergangenen Tagen im Museum von Mossul und an verschiedenen bedeutenden archäologischen Stätten im Nordirak ereignet hat, hat es, wie schon der Feuersturm durch den Bazar von Aleppo und einige andere fatale Zerstörungen des kulturellen Erbes in Syrien und dem Irak in den vergangenen Jahren, sehr rasch in die Medien rund um die Welt geschafft. Der aktuelle Bildersturm der radikalislamischen Miliz "Islamischer Staat" (IS) im Museum von Mossul und die anderen Zerstörungen lassen sich mit den herkömmlichen Normen des humanitären Völkerrechts aber schlecht fassen. Die Zertrümmerung der Skulpturen im Museum und anderenorts hat einige Kommentatoren sofort an die Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamiyan durch die radikalislamischen Taliban erinnert, sie gleicht aber de facto zahlreichen Bilderstürmen der Geschichte durch alle Zeiten und Kulturen.

Keine Randerscheinung

Was mit einem allgemein so bezeichneten Frühling in Tunesien im Dezember 2010 begonnen hat, hat sich in der Folge vielerorts in der arabischen Welt in eine herbe Enttäuschung, mancherorts in eine Katastrophe, in Syrien und im Nordirak in eine Apokalypse gewandelt. Spätestens seit der ersten Runde des Arabischen Frühlings in Ägypten sind auch Plünderung und Zerstörung von kulturellen Einrichtungen und Kulturerbestätten ein gut beobachtbares und medial intensiv beschriebenes Phänomen, das als solches nicht mehr als Randerscheinung des Arabischen Frühlings oder seiner apokalyptischen Ausläufer bezeichnet werden kann. Genauso wie spezifische Formen sexueller Gewalt – insbesondere jene im öffentlichen Raum – oder Übergriffe gegen Menschen religiöser oder ethnischer Minderheiten – individuell oder kollektiv – ist die Zerstörung von Kulturgut als ein integraler Aspekt der Ereignisse und Entwicklungen zu werten.

Der Übergang von der Plünderung und Zerstörung von Kulturgut im Kontext der Unruhen und des teilweisen Zusammenbruchs der öffentlichen Ordnung im Rahmen des Arabischen Frühlings hin zur Zerstörung von Kulturgut in Zuge von Kampfhandlungen wie im Krieg in Syrien oder retrospektiv im Krieg im Irak ist fließend und auch gegenüber den jüngeren kriegerischen Ereignissen in Libyen und Mali nicht sinnvoll abgrenzbar.

Systematische und nachhaltige Zerstörung

Und so lässt sich ein größerer Beobachtungsbogen spannen vom Ende der letzten großen Welle systematischer und nachhaltiger Zerstörung von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten interethnisch-interreligiösen Charakters, jener in Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo, und der entsprechenden Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft in Form des Zweiten Protokolls zur Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten im Jahr 1999 bis heute:

  • Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamiyan und vor allem des buddhistischen Kulturerbes in Afghanistan.
  • Plünderung des Nationalmuseums in Bagdad und zahlreicher anderer Museen, archäologischer Stätten und Kultureinrichtungen im Irak.
  • Plünderungen von Museen und archäologischen Stätten und Brandschatzungen historischer Bauwerke in Ägypten im Kontext des Arabischen Frühlings.
  • Plünderungen historischer Sammlungen und Zerstörung historischer religiöser Bauwerke in Libyen vor allem nach dem Umsturz des Regimes.
  • Zerstörung des – primär islamischen – Kulturerbes von Timbuktu in Mali.
  • Plünderung und Zerstörung des Kulturerbes in Syrien und dem Irak im Kontext der Eroberungen der radikalislamischen IS.
  • Darüber hinaus ist das Kulturerbe auch in manch anderen Ländern der Region in erhöhtem Maße von Plünderung bedroht, etwa im Libanon, Jordanien oder in den palästinensischen Gebieten.

Ein "gemeinsamer Nenner" zur Interpretation dieser Entwicklung lässt sich nur schwer darstellen, wohl aber lässt sich ein komplexes und diverses Bild der Situation zeichnen. Ein geeigneter Ausgangspunkt der Betrachtungen sind die normativen Grundlagen für den Kulturgüterschutz.

126 Staaten sind an Haager Konvention gebunden

Die völkerrechtliche Grundlage zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten ist die Haager Konvention. Dieser völkerrechtliche Vertrag, durch den gegenwärtig 126 Staaten gebunden sind, darunter alle oben erwähnten Staaten, regelt etwa die Definition und die Kennzeichnung von Kulturgut, den Schutz von Kulturgut in Friedens- und Kriegszeiten, die Implementierung der Normen in nationalen Streitkräften, Evakuierung von gefährdetem Kulturgut, Rückführung von geplündertem Kulturgut sowie die Ahndung von Verstößen gegen die Normen beziehungsweise Fragen der Gerichtsbarkeit, Strafverfolgung und Auslieferung.

Wenig beachtet: Das Doha-Statement

Da das Konzept von Kulturgut und Kulturerbe, wie es der Haager Konvention und anderen Unesco-Konventionen zugrunde liegt, von islamisch-fundamentalistischen Gruppierungen oft als "westlich" wahrgenommen und konsequenterweise abgelehnt wird und die Zerstörung von Kulturgut durch militante Islamisten eben damit begründet und gerechtfertigt wird, dass die Idee von Kulturerbe als solches "westlich" und seine Verbreitung "imperialistisch" oder "kulturimperialistisch" sei, sollte dem Doha-Statement als grundlegendem Dokument islamischer Rechtsgelehrter und akademischer Experten in zukünftigen internationalen Diskursen über den Schutz von Kulturgut in der arabischen beziehungsweise islamischen Welt mehr Bedeutung zugemessen werden.

Das Doha-Statement der "Conference of ‘Ulamâ (die Religionsgelehrten des Islam, Anm.) on Islam and Cultural Heritage", 2001 eine Reaktion auf die Zerstörungen in Bamiyan, gewinnt dadurch Autorität, dass es im Namen dreier Organisationen – Unesco, Isesco (Islamische Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) und Alesco (Arabische Organisation für Bildung, Kultur und Wissenschaften) – publiziert worden ist, die jeweils für sich "das internationale, das islamische und das arabische Bewusstsein verkörpern".

Islamisches Bekenntnis zum Kulturerbe

Das Doha-Statement bietet mit Verweis auf "die Inspiration der Konferenz durch göttliche (gemeint: islamische) Lehre, internationales Recht und Völkergewohnheit" ein grundsätzliches Bekenntnis "zum Kulturerbe als einen entscheidenden Faktor für den Schutz der Identitäten der Zivilisationen und den kulturellen Besonderheiten von Völkern und Nationen, das diese mit den grundlegenden Voraussetzungen für ihre Beständigkeit und Unverletzbarkeit ausstattet". Es misst dem Kulturerbe "eine sichernde Funktion im Wohlergehen der Menschen" sowie dem "Schutz dieses Kulturerbes in all seiner Vielfalt einen kulturellen Wert der Humanität" zu und definiert als Gefährdungspotenziale für das Kulturerbe nicht nur Kriege und Feindseligkeit, sondern explizit auch ein "Missverstehen der Religion", kritisiert also grundsätzlich das religiös-islamische Begründen von Kulturerbezerstörungen.

Das Doha-Statement betont, dass "die tolerante Natur des Islam einen Respekt für das Kulturerbe allgemein von jedem Muslim einfordert, unabhängig von den Quellen, Formen und Manifestationen" des Kulturerbes, und verweist diesbezüglich auf die lange Geschichte des Islam, in der Muslime kulturelles Erbe in all seiner Vielfalt, und gerade auch vorislamisches Kulturerbe, stets bewahrt haben und nur dadurch überhaupt ein Gutteil auch des vorislamischen Kulturerbes der Welt bis heute erhalten geblieben ist. Die Bewahrung des kulturellen Erbes in all seiner Vielfalt wird als genuin islamischer Wert und als grundsätzliche islamische Position definiert, die direkt "aus der Achtung immanenter menschlicher Werte und dem Respekt vor dem Glauben anderer" resultiert.

Die Realität entmutigt

Das Doha-Statement macht Mut, zeigt es doch, dass man sich in der islamischen Welt mit dem Problem offensiv auseinandergesetzt hat und weiterhin tut. Doch die Realität entmutigt, wenn man den Lauf der Ereignisse seit Dezember 2001 bis heute analysiert. Nichts bringt das Kulturerbe zurück, das in den vergangenen Tagen im Museum von Mossul im religiösen Wahn zerstört worden ist. Wahrscheinlich bleiben von den Kulturlandschaften Syriens und des Nordirak nur mehr Trümmer übrig, und wahrscheinlich bleiben viele dieser Landschaften – auch deshalb – für immer von ihren kulturellen, ethnischen und religiösen Minderheiten gesäubert.

Klassische Normen und Übereinkünfte versagen

Im Krieg in Syrien und dem Irak versagen alle klassischen völkerrechtlichen Normen, und auch grundlegende islamische Übereinkünfte bleiben völlig wirkungslos. Das ist in vielen Kriegen der jüngeren Geschichte zu beobachten. Dieses Faktum ist in sämtlichen künftigen Überlegungen zu diesem Thema zu berücksichtigen und nicht mehr zu ignorieren, wie man es auf dem akademischen, diplomatischen und politischen Parkett allzu gerne tut.

Globale Akzeptanz

Es reicht nicht, völkerrechtliche Normen zu entwickeln, wie das in den vergangenen Jahren geschehen ist. Es ist notwendig, diese Normen global wirkungsvoll zu implementieren. Und daher ist globale Akzeptanz ein wesentlicher Schlüssel, denn noch immer wird humanitäres Völkerrecht oft als ein Aspekt eines westlichen Imperialismus abgelehnt. Die Islamisten in Mossul stehen mit diesem Vorurteil nicht alleine da. Hier besteht offensichtlich enormer Aufholbedarf. Entsprechende Perspektiven müssen erst gesucht werden, über weite Strecken scheinen noch nicht einmal die richtigen Fragen dafür gestellt. Wir müssen also lernen, neu zu denken. Endlich. Rasch. (Friedrich Schipper, derStandard.at, 6.3.2015)