Das Trinkwasserreservoir Cantareira ist großteils ausgetrocknet, das restliche Wasser muss hochgepumpt werden.

Foto: Danilo Ramos

Über Monate hinweg hat São Paulos Gouverneur Geraldo Alckmin geleugnet, was für alle offensichtlich war: Die Wasserversorgung der 18-Millionen-Metropole steht kurz vor dem Kollaps. Das Wasser ist rationiert, in einigen Orten des Bundesstaates und in São Paulo selbst bleibt der Wasserhahn schon seit Wochen trocken. Was lange als fernes Schreckensszenario galt, ist für viele Bewohner Wirklichkeit geworden. Inzwischen registrieren Gesundheitsbehörden einen Anstieg von Durchfall, Denguefieber und Hepatitis A, verursacht durch mangelnde Hygiene und unsauberes Wasser.

"Es heißt immer, Brasilien sei eines der wasserreichsten Länder, denn wir besitzen zwölf Prozent der Süßwasserreserven weltweit. 80 Prozent davon befinden sich im Amazonas", sagt die Städteplanerin Marussia Whately vom Umweltinstitut Insa.

Schon lange warnen Experten vor einem Wassernotstand in Lateinamerikas größter Metropolregion. Denn fast die gesamte Region ist von einem einzigen riesigen Trinkwasserreservoir, Cantareira, abhängig. Doch die Pegelstände der Stauseen sinken. Nur noch kleine verbliebene Rinnsale befinden sich inmitten von ausgetrockneter, geborstener Erde. Der Wasservorrat ist bis auf die sogenannte "tote Reserve" geschrumpft. Das Wasser liegt nun unter dem Abflussniveau und muss hochgepumpt werden. Zu Jahresbeginn waren die Stauseen nur noch zu fünf Prozent gefüllt. Jetzt ist das Niveau aufgrund der Sommerregenfälle etwas angestiegen.

"Es ist völlig unrealistisch, dass die Stauseen jemals wieder aufgefüllt werden", sagt Whately. Jahrelang seien Investitionen versäumt worden. Im Cantareira-System sind sechs Stauseen über 48 Kilometer Tunnel und Pumpen miteinander verbunden. Rund 100 Kilometer muss das Wasser bis nach São Paulo zurücklegen. Laut Experten liegen die Transportverluste bei mehr als 30 Prozent.

Zerstörte "fliegende Flüsse"

Auch Umweltexperten warnen schon lange vor den Klimaveränderungen und deren Konsequenzen. Der Biologe Philip Fearnside vom Nationalen Amazonas-Forschungsinstitut Inpa verweist auf den Zusammenhang zwischen der Abholzung des Amazonas und der Trockenheit im Süden Brasiliens. Die feuchten Luftmassen, die für die Regenfälle im Süden des Landes verantwortlich sind, kommen aus dem Amazonas. Die Abholzung des Regenwaldes hat den Kreislauf gestört. Die Wurzeln der Bäume können nicht mehr genug Wasser ziehen, das verdunstet und eine Wolkendecke bildet.

Sein Kollege, der Klimaexperte Antonio Nobre, hat diesen riesigen Wolkenmassen den Namen "fliegende Flüsse" gegeben. Wenn diese intakt sind, ziehen sie westwärts bis zu den Anden, dann nach Süden in Richtung Buenos Aires und schwenken ostwärts nach São Paulo. Dort regnen die Wolkenmassen ab. Schon seit drei Jahren bleibt der starke Regen aus.

Brasilien hat zwar in diesem Jahr wieder offiziell einen Rückgang der Abholzung des Amazonas-Regenwaldes gemeldet. Doch immer noch werden laut Umweltorganisation WWF durchschnittlich pro Minute knapp drei Fußballfelder Regenwald vernichtet.

Umweltschutz gehörte bislang nicht zu den Prioritäten von Präsidentin Dilma Rousseff. Mit Megaprojekten wie dem Wasserkraftwerk Belo Monte wurde die Amazonas-Abholzung vorangetrieben. Und auch das 2012 verabschiedete Waldgesetz ist ein Entgegenkommen an die Agrarlobby. Darin wurden die Richtlinien zur Wiederaufforstung gelockert.

Mit Entsetzen haben Umweltorganisationen auf die Nominierung der Senatorin Katia Abreu zur Landwirtschaftsministerin reagiert. Abreu ist Besitzerin einer der größten Farmen im Bundesstaat Tocatins und gilt als kompromisslos, wenn es darum geht, Regenwald in landwirtschaftliche Nutzfläche umzuwandeln. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, DER STANDARD, 5.3.2015)