Der Markt, Bruder Hein - alles sinnlos. Trotz trüber Aussichten versucht sich "300 el × 50 el × 30 el" im Tanzquartier als Lehrstück.

Foto: Sofie Silbermann

Wien - Das Leben sei hart, heißt es nicht selten. Aber meistens geht es noch härter. Die Aufsteiger-Performancegruppe FC Bergman zeigt jetzt im Tanzquartier Wien, wie so ein Härtergehen aussehen kann.

300 el × 50 el × 30 el ist der Titel ihres 2011 uraufgeführten Stücks, dem die Belgier ihren internationalen Durchbruch verdanken. Das "el" steht für das Längenmaß Elle. Der Titel gibt die biblischen Maße der Arche Noah an - nachzulesen ist das im Buch Genesis 6,16.

Sintflut also. Ein kulissenhaftes Dorf im Irgendwo, ein paar enge Bretterhütten, trübe Atmosphäre. Und, weil das keine realistische, sondern eine reale Performance ist, drei Monitore und ein TV-Team, das sich in der Szenerie bewegt und ins Innere der ärmlichen Häuschen filmt. Den Bewohnerinnen und Bewohnern ist die Sprache ausgegangen. Dafür hebt einmal eine Forelle auf dem Teller an zu singen. Eine Dame übt das große Fressen. Eine besoffene Runde spielt Wilhelm Tell.

Leider trifft der Pfeil ins Auge und nicht den Apfel. Einer Taube schlägt die letzte Stunde. Ein Mann wird beim Telefonsex nass. Und vorn am Tümpel sitzt ein Fischer. Im Wasser vor ihm quillt ein verblichenes Schaf.

Auch die ganz normale, also klischeehafte Liebe darf nicht fehlen: eine Julia am Klavier, ein Romeo (der Protagonist) mit Stahlhelm. Aber, wie es in der Liebe so ist, der Verrat lässt nicht lange auf sich warten.

Detailversessen

Und schon hat Freund Hein, dieser ewige Gewinner, wieder eine frische Ernte. Das alles wird dem Publikum in starken Bildern serviert - da ist FC Bergman geradezu detailversessen. 300 el × 50 el × 30 el ist als "kinematografische Liveperformance" ein Zusammenspiel von Theater, Film, Installation und Tanz.

Es braucht eine gewisse künstlerische Größe, um eine äußere, in die Menschen eingewachsene Enge glaubhaft darzustellen.

Hier äußert sich eine in den 1980er-Jahren geborene Generation. Ein Mitglied von FC Bergman wird im Interview deutlich: "Wir wissen, dass das, was wir machen, sinnlos ist. Genau wie alles sinnlos ist, was wir in dieser Welt machen. Aber wir versuchen es trotzdem. Wir müssen um nichts kämpfen. Wie kommt es, dass wir bei all diesen Möglichkeiten und Freiheiten so wenig tun? Es gibt keine Grenzen mehr, das ,Böse' existiert nicht mehr, keine Mauer, kein Kapitalismus kontra Kommunismus, es gibt nur noch den Markt. Aber der ist völlig abstrakt - und gleichzeitig weiß man, dass es kein Leben außerhalb des Marktes gibt. Wir verlieren uns. Ich finde, wir sind eine verlorene Generation. Wir handeln sehr egozentrisch, tun alles nur für uns selber, und wir sind eine sehr konservative Generation."

Das klingt hart. Aber genau deswegen könnte 300 el × 50 el × 30 el, so undidaktisch es auch daherkommen mag, ein Lehrstück für alle Generationen sein. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 6.3.2015)