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Danylo Lubkiwsky: "Uns ist jede Art von Unterstützung recht: politische, menschliche, moralische und finanzielle."
STANDARD: Wie würden Sie im Schulnotensystem die momentane Wirtschaftslage in der Ukraine bewerten, wenn eins für sehr gut und zehn für sehr schlecht steht?
Lubkiwsky: Ich würde sagen, es steht fifty-fifty. Dazu muss ich aber einiges vorausschicken.
STANDARD: Und zwar?
Lubkiwsky: Der Hauptgrund für unsere Situation ist die Aggression Russlands. Begonnen hat es mit der Besetzung der Krim, seit geraumer Zeit wird die Aggression auch in Teilen der Regionen Donezk und Luhansk ausgelebt. Dazu kommen das postsowjetische Erbe und die Lasten, die uns Janukowitsch (Wiktor, früherer Präsident der Ukraine, im Februar 2014 vom Parlament abgesetzt, Anm.) hinterlassen hat.
STANDARD: Was sind die dringendsten Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft?
Lubkiwsky: Erstens - Rückkehr zur Budgetdisziplin. Und Durchziehen all der Maßnahmen, die die Regierung mit dem IWF (Internationaler Währungsfonds) vereinbart, inklusive Deregulierung der Wirtschaft.
STANDARD: Deregulierung schön und gut, aber was kann man sich darunter konkret vorstellen?
Lubkiwsky: Zum Beispiel die Abschaffung der langwierigen, mühsamen Verfahren, die in postsowjetischer Zeit gang und gäbe waren. Das hat die Korruption beflügelt, die Wirtschaft aber gebremst.
STANDARD: Was noch?
Lubkiwsky: Ein drittes Austeritätsprogramm ist von der Regierung ausgearbeitet worden und wirkt schon. 2014 haben wir die Zahl der im öffentlichen Sektor Beschäftigten um 28.000 gesenkt und bürokratische Hürden abgebaut, die den Wettbewerb gehemmt haben. Trotz des schweren Erbes, trotz Kriegs und russischer Erpressungsversuche hat sich die Ukraine im Doing-Business-Ranking der Weltbank zuletzt von der 112. auf die 96. Stelle verbessert.
STANDARD: Faktum aber ist, dass die ukrainische Wirtschaft nach wie vor stark mit der russischen verwoben ist.
Lubkiwsky: Die Abhängigkeit wurde stark reduziert. Früher haben wir beispielsweise unser gesamtes Gas aus Russland bezogen, jetzt sind es nur noch 30 Prozent. 60 Prozent der Gaslieferungen kommen aus Europa, den Rest produzieren wir selbst.
STANDARD: Wie kann der Westen der Ukraine in der schwierigen Situation helfen?
Lubkiwsky: Uns ist jede Art von Unterstützung recht, politische, menschliche, moralische. Wir sind dankbar für finanzielle Hilfen, die sind jetzt besonders wichtig. Wir warten auf zusätzliche Mittel vom IWF - 17,5 Milliarden US-Dollar - und hoffen auch auf finanzielle Hilfen unserer europäischen Partner. Schließlich befinden wir uns alle im selben Boot.
STANDARD: Inwiefern?
Lubkiwsky: Das, was durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Ukraine ausgelöst wurde, gefährdet die wirtschaftliche, finanzielle und politische Stabilität des Projekts Europa. Putin spekuliert mit Differenzen innerhalb Europas, er will einen Keil in die EU treiben mit dem Ziel, die EU so zu kontrollieren, wie er das jetzt mit der Ukraine versucht.
STANDARD: Die Ukraine verfügt über große Öl- und Gasreserven im Osten des Landes. Könnten auch die Russlands Appetit angeregt haben?
Lubkiwsky: Nicht speziell. Meiner Meinung nach hat Putin nicht die Wirtschaft im Auge und auch nicht das Territorium. Sein Regime fürchtet, dass an seiner Außengrenze ein Land mit funktionierender Demokratie und prosperierender Wirtschaft entsteht, das als gutes Beispiel für Russland selbst dienen könnte.
STANDARD: Die ukrainische Währung Hrywnia hat eine gigantische Abwertung hinter sich, was kann da noch nachkommen?
Lubkiwsky: Wir versuchen, die Situation so gut wie möglich zu managen. Eine Stabilisierung scheint gelungen. Weitere Schritte sind aber notwendig, um das Vertrauen der Märkte zurückzugewinnen. Wir hoffen dabei auch auf Unterstützung durch internationale Finanzinstitutionen, damit sich die Situation langfristig stabilisiert.
STANDARD: Dazu wird es notwendig sein, dass der erst kürzlich in Minsk von neuem beschworene Waffenstillstand auch hält.
Lubkiwsky: Der Krieg wurde von russischen Terroristen begonnen, zuerst auf der Krim, dann in einzelnen Distrikten des Donbass. Wir wollten von Beginn an eine Waffenruhe, ein Ende des Blutvergießens. Aber leider hat das von russischer Seite nicht gehalten.
STANDARD: Das nimmt kein Ende?
Lubkiwsky: Wir müssen gemeinsam mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern versuchen, Putin zum Frieden zu zwingen.
STANDARD: Die Frage ist nur - wie?
Lubkiwsky: Wir müssen die Kosten der Aggression erhöhen. Wenn durchsickert, dass Präsident Putin einen Krieg gegen die freie Welt und deren Prinzipien begonnen hat, und daraus mehr Solidarität erwächst, dann können wir auch mehr bewegen. Durch eine Verschärfung der Sanktionen kann man Druck auf Moskau ausüben und Russland wissen lassen, dass es dafür zahlen wird. (Günther Strobl, DER STANDARD, 6.3.2015)