Wien - Sie kennen einander doch schon ein gehöriges Weilchen. Trotz der Tatsache, dass Philippe Jordan (auch Musikdirektor der Opéra National de Paris) erst seit dieser Saison offiziell Chefdirigent der Wiener Symphoniker ist, prägt also die gemeinsame Arbeit nicht ganz zufällig ein produktives Grundverständnis. Und: Die musikalischen Reflexe, mit denen der Klangkörper auf die Ideen des Dirigenten reagiert, zeugen von motivierter Wachheit.

Franz Schuberts sechste Symphonie profitiert davon: Jordans robuster, vitaler Zugriff lockt gewissermaßen den knackigen Beethoven aus Schubert hervor. Kompakt und klar klingt das, ist von hoher Innenspannung, wirkt auch im Heiteren nie verzärtelt und bleibt im Dramatischen diszipliniert. Dieser markante Zugang ist jedoch im Übermaß Teil des Interpretationsangebots, was im Ausdrucksbereich dann doch das eine oder andere Defizit nach sich zieht.

Besonders bei Gustav Mahlers vierter Symphonie musste, was bei Schubert plausibel wirkte, den Eindruck von mitunter nur gekonnt buchstabierter Struktur erwecken. Es kann zwar nur hilfreich sein, bei Mahler alle Sentimentalitätsfallen zu umlaufen. Was Jordan auch tat. Und natürlich war im zweiten Satz der schnittige Zugriff ein Konturen schaffender Faktor. Jordan verlieh dem entfesselten Farbdrama Form.

Der Sprung in gleichsam magische Werksphären jedoch gelang kaum: Fiebrig aufheulende Streicher, klangliche Ambivalenz oder wenigstens ein kleiner Blick in existenzielle Abgründe - es sollte diesmal nicht sein. Dieser Mahler hatte wenig Hintergründiges; Dirigent und Klangkörper schienen gewissermaßen über zu viel Energie zu verfügen, um beim Werkkern zu verweilen. In jedem Fall aber betörte Sopranistin Camilla Tilling mit lyrischer Pracht, also mit glutvollen wie klaren Tönen. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD, 6.3.2015)