So elegant wie in der Bildsequenz unten sieht man sonst nur Säugetiere springen. Mit einer ebenso schnellen wie hochkomplexen Bewegungsabfolge bleibt die Gottesanbeterin im Sprung stets auf Kurs und landet punktgenau.

Foto: Malcolm Burrows und Gregory Sutton
Videostills: Malcolm Burrows/Current Biology

Cambridge/Wien – Ob Flöhe oder Grashüpfer, das Insektenreich hat eine ganze Reihe herausragender Sprungtalente hervorgebracht. Hochgerechnet auf die Körpergröße, müsste ein Rotes Riesenkänguru 90 Meter weit springen, um mit einem Floh mithalten zu können – anstelle der läppischen acht oder neun, die es tatsächlich schafft.

Wer genau hinschaut, wird allerdings überrascht feststellen, dass die Rekordspringer aus der Welt der Insekten in der Luft alles andere als einen souveränen Eindruck abgeben. Schon feinste Abweichungen der nach vorne treibenden Kraft in Relation zum Massenmittelpunkt reichen nämlich aus, die winzigen Körper in völlig unkontrollierte Drehungen zu versetzen.

Ein Floh in der Luft sieht darum eher nach einem Tier aus, das zu seiner Überraschung von einem Katapult losgeschleudert worden ist, als nach einem, das den Sprung selbst initiiert hat. Dementsprechend ist auch die Landung ein Zufallsprodukt und endet häufig in einem Crash – wenn auch, ohne dem Tier zu schaden.

Bislang dachte man, dass die Physik alle springenden Insekten zur Hilflosigkeit verdammen würde. Doch nun berichten britische Forscher im Fachmagazin "Current Biology", dass sie eine strahlende Ausnahme gefunden haben: Fangschrecken, auch Gottesanbeterinnen genannt, sind offenbar wahre Akrobatinnen.

Auftritt der Meisterspringerin

Fangschrecken, die trotz ihres Namens näher mit Kakerlaken als mit Heuschrecken verwandt sind, leben als Lauerjäger. Sie verharren lange Zeit völlig regungslos, um dann in Blitzesschnelle ein sich näherndes Beutetier mit ihren ausklappbaren Fangbeinen zu packen. Ausgewachsene Exemplare können fliegen, während die flügellosen Jungtiere auf Hüpfen angewiesen sind, um weitere Distanzen zurückzulegen.

Und für genau dieses Sprungvermögen begann sich der Biologe Malcolm Burrows von der Universität Cambridge zu interessieren, nachdem er auf einer Insektenausstellung ein paar Gottesanbeterinnen erworben hatte, sie nachzüchtete und von den Tieren zunehmend fasziniert war.

Um sie zum Springen zu animieren, versuchte er zunächst, sie zu erschrecken. Das brachte ihm als einziges Forschungsergebnis die Erkenntnis ein, dass Gottesanbeterinnen nicht sonderlich schreckhaft sind. Dafür klappte es mit der Taktik, den Tieren eine kleine Stange als Ziel für einen Sprung anzubieten.

Malcolm Burrows

In der Folge nahm das Team um Burrows insgesamt 381 Sprünge von 58 jungen Fangschrecken mit einer Hochgeschwindigkeitskamera auf. Das offenbarte Erstaunliches: Die Tiere versetzen in einem fein austarierten Zusammenspiel drei Teile ihres Körpers – Vorderbeine, Hinterleib und Hinterbeine – unabhängig voneinander in Rotation. Der Drehimpuls überträgt sich von einem Körpersegment aufs nächste und hält den Körper insgesamt während des Sprungs aufrecht und aufs Ziel gerichtet. Das Ergebnis steht in Sachen Eleganz dem Sprung eines Lemuren von Baum zu Baum in nichts nach und wird stets von einer Punktlandung gekrönt. Und es dauert vom Absprung bis zur Landung ganze 80 Millisekunden – ist also schneller als ein Lidschlag.

Laut den Forschern handelt es sich bei dieser Sequenz auch nicht um superschnelles Kompensieren von sich anbahnenden Fehlern, sondern ist als Ablauf von Beginn an festgelegt. Dass die Tiere vor dem Absprung ihren Kopf hin- und herbewegen, dient vermutlich dazu, die Entfernung zum Ziel exakt zu kalkulieren.

Als Nächstes wollen die Forscher herausfinden, wie das winzige Gehirn einer Gottesanbeterin diesen komplexen Vorgang kontrollieren kann: Als mögliche Grundlage für die Software von Kleinrobotern, denen dann neben dem energieaufwendigen Fliegen und dem langsamen Gehen mit Hüpfen eine dritte Bewegungsoption zur Verfügung stünde.(Jürgen Doppler, DER STANDARD, 6.3.2015)