"Von der ersten Stunde an, liebte ich in Wien, wenn ich auch nichts anderes verstanden hatte, die wundervoll klingenden Nachnamen: Kabelka – das Handtäschchen, Lacina – die Billige, Veselý – der Lustige, Prochazka – der Spaziergang, Kohout – der Hahn, Straka – die Elster, Blecha – der Floh, Blaha – der Wohlstand und Mišík – der kleine Mäuserich."

Foto: Sophie Kandauroff

Ich bin eine gelungene Mischung.

In Tschechien als Kind eines überzeugten Kommunisten geboren, am dritten Tag meines jungen Lebens getauft (man kann ja nie wissen, ob es Gott doch nicht gibt), in Matrika unter einem ungarischen Nachnamen eingetragen, in der Slowakei aufgewachsen, tschechisch als Kleinkind blabbernd, Slowakisch abwechselnd mit dem, an Deutsch angelehnten Dialekt der Großeltern sprechend, Firhanky zu Vorhang sagend, piglovať zu bügeln, kýbel zu Kübel, háklivá zu heikel, šnuptychel zu Schnupftücherl, komora zu Kammer, fertucha zu Schürze. (Für diejenigen, die mein slowakisches "Deutsch" nicht ganz verstehen: Fertucha = fertiges Tuch).

Ich bin eine Migrantin.

Heute, auf den Tag genau vor 40 Jahren passierte ich den Grenzbalken der sozialistischen Glückseligkeit und landete prompt im Paradies. Das heißt, im 10. Wiener Gemeindebezirk, wo mich die Nováčeks, Mrkvičkas und Vyskočils, amtlich befreit von allen Hatscheks und Apostrophen, freundlich fragten, ob es mir in Wien gefalle und ob ich bei ihnen im "goldenen Westen" für immer bleiben wolle. Sie beäugten dabei die Riesenkugel unter meiner Bluse und befürchteten mit Recht die rasend voranschreitende Überfremdung in Favoriten, denn keine zwei Monate nach meiner Ankunft erblickte das geschmuggelte slawische Kind das Licht der Welt, fünf Jahre danach unterwanderte ein zweiter Eindringling die reine, am Rande der still gelegten Wienerberger Ziegelei mit Buchteln, Powidltatschkerln, Olmützer Quargeln und Znaimer Gurkerln großgezogene österreichische Rasse.

Ich bin eine Neugierige.

Unermüdlich lausche ich den Eingeborenen, den Nachfahren ihrer böhmischen Großmüttern zu und lerne. So erfahre ich, was "pekne pomaly" oder auf "lepschi gehen" heißt, dass Eissalon Tichy am Reumannplatz ein echter "Italiener" ist und dass Mary Vetschera, wie treffend – večera heißt Abendessen – in Mayerling das letzte Abendmahl mit Kronprinz Rudolf teilte und damit unsere Völker endgültig auseinander gerissen hatte.

Ich bin eine Namensfetischistin.

Von der ersten Stunde an, liebte ich in Wien, wenn ich auch nichts anderes verstanden hatte, die wundervoll klingenden Nachnamen: Kabelka – das Handtäschchen, Lacina – die Billige, Veselý – der Lustige, Prochazka – der Spaziergang, Kohout- der Hahn, Straka – die Elster, Blecha – der Floh, Blaha – der Wohlstand und Mišík – der kleine Mäuserich. Und dann ist da noch ein gewisser Chmelar, der Hopfener, der sich Schmäler nennen lässt. Da hat er recht, es würde ihm nicht und auch allen anderen, mich eingeschlossen, nicht schaden, schmäler zu sein, wem schadet das schon, wenn er nach dem Verzehr der böhmischen Zwetschkenknödeln und Marillenpalatschinken mit Schlag etwas schmäler wirkt. Alles ist Hopfen, pardon, Topfen, Hauptsache, es geht uns gut.

Ich bin eine Fleißige.

Eifrig lerne ich Deutsch, büffle Präpositionen mit dem Genitiv, Dativ und Akkusativ, halte mich für blöd, weil es mir nicht in den Kopf gehen will, dass man richtig – "I hau mi o" oder "Patschen strecken" – sagt, auch wenn es in meinem Deutsch-Lehrbuch anders steht. Deutsche Sprache – schwere Sprache – sagen die Wiener, wenn du mit uns viel sprechen, du mit uns richtig Deutsch lernen, betonen die Hilfsbereiten Favoritner. Du intelligent, du nicht Schule brauchen.

Ich bin eine Zugroaste.

Auf dem Papier eine Österreicherin, im Herzen eine Grenzgängerin, in der Sprache ein Grenzfall. Nicht Deutsch, nicht Tschechisch, nicht Slowakisch, leicht gesungen, leicht abgehackt, leicht verdreht. "Die Fehler kann man leicht ausmärzen", sagen die einen, "mit Zungenbrechern", sagen die anderen. Fischers Fritz fischt frische Fische, frische Fische fischt Fischers Fritz. Das ist viel zu leicht, sage ich, wiederholt lieber das: Třistatřiaatřitcet stříbrných přepelicek přeletelo přez třistatřiatřitcet stříbrných střech (333 silberne Täubchen flogen über 333 silberne Dächer). Die Wiener Nováčeks, Vyskočils und Mrkvičkas lächeln milde, tragen ihre vollen Einkaufstaschen aus Bratislava heim, streicheln zufrieden ihre, mit slowakischen Maronibomben und Cremeschnitten gefühlten Bäuche, erwähnen aber gleichzeitig die Gefahr der offenen Grenzen und sagen hinter vorgehaltener Hand, wie schön es war, als sie in Wien noch nur unter sich waren.

Ich bin eine Suchende.

Ich suche meine Wurzeln in den der anderen, beobachte Gesten, Gewohnheiten, Redewendungen, treffe auf Trachtenpärchen, Lodenmäntel und Gamsbart hinter dem Hut und dann sagt mir ein Herr, ein Wiener Tscheche – Kučera, die Locke, oder so -, dass er Fritz Muliar für einen typischen Österreicher hält. "Er ist so niedlich und so echt, wenn er als Švejk bemakelt", sagt er. "František Švejk, die Romanfigur, ist ein Tscheche", wende ich ein "und Fritz Muliar, der Schauspieler, der vor kurzem gestorben ist, war ein Österreicher. Und er bemakelt deswegen, damit die Zuschauer im Kino glauben, er sei ein Tscheche." – "Ich mag es, wenn er Deutsch mit tschechischem Akzent spricht", sagt der Herr. "So sollen alle Österreicher sprechen. Dann hätten wir keine Verständigungsschwierigkeiten mit ihnen."

Das erinnert mich an einen Aufsatz eines Mädchens im bilingualen Gymnasium in Znaim, das in meinem Workshop die Unterschiede zwischen Österreichern und Tschechen beschrieb. Sie lobte die einen und die anderen, sparte aber auch nicht mit der Kritik. Und am Ende schrieb sie versöhnlich: Österreicher, ich habe Ihnen gern.

In diesem Sinne: Österreicher, ich habe Ihnen auch gern.