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Trotz seiner Ausstrahlung: "Oskar Werner glaubte nicht an sich und verschaffte sich durch den Alkohol eine Gleichmütigkeit."

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Michael Degen.

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STANDARD: Herr Degen, was machte Oskar Werner so einzigartig?

Michael Degen: Seine geniale Naivität. Er konnte nie verstehen, warum er diesen Erfolg hatte. Sein Leben lang war er nicht überzeugt von sich. Das spürte ich in diesem langen Gespräch, das wir hatten. Er glaubte nicht an sich und verschaffte sich durch den Alkohol eine Gleichmütigkeit.

STANDARD: Und was zeichnete seine Bühnendarstellung aus?

Degen: Seine unglaubliche Ausstrahlung, die wundervolle Stimme und seine Wahrhaftigkeit. Er wollte die absolute Verwirklichung des Textes. Da akzeptierte er keine Abweichungen. Und wenn ein Regisseur von ihm etwas Gegensätzliches wollte, konnte er sehr böse werden.

STANDARD: Er "klammerte sich verzweifelt an die klassischen Texte", schreiben Sie in Ihrem Roman ...

Degen: Ein großes zeitgenössisches Stück war ihm seiner Meinung nach nicht begegnet. Brecht-Texte wie etwa die Flüchtlingsgespräche fand er schön, aber nicht theaterwirksam. Er betrachtete das Theater als Museum. Die Auseinandersetzung mit der Gegenwart verlangte er vom Film.

STANDARD: Aber er hat sich auch mit Filmregisseuren überworfen, wie etwa mit François Truffaut ...

Degen: Das war nach ihrem gemeinsamen Erfolg Jules und Jim und den Filmen Oskar Werners in Amerika. Da drehten sie Fahrenheit 451, und dabei kam es zum Zerwürfnis. Werner wollte die Bücherverbrennung, die er noch in Erinnerung hatte, wirklich zeigen. Truffaut wollte das nur beiläufig bringen. Oskar Werner warf er vor, nach seiner Karriere in Amerika so arrogant geworden zu sein, dass er keine Regieanweisung mehr annehme. Da hat er ihn unterschätzt.

STANDARD: Sie haben selbst am Burgtheater gespielt. Welchen Eindruck vermittelte das Haus auf Sie?

Degen: Absolut verstaubt.

STANDARD: Aber als Sie in George Taboris "Weisman und Rotgesicht" spielten, war bereits Peymann da ...

Degen: Trotz Claus Peymann war der Staub nicht zu übersehen. Wir hatten das Stück mit Tabori für das Akademietheater einstudiert. Wegen der besseren Platzausnutzung wurde es ins Burgtheater verlegt. Das war keine gute Entscheidung. Am besten waren die Bernhard- Inszenierungen. Die habe ich genossen. Ansonsten machte das Burgtheater zu dieser Zeit keinen großen Eindruck auf mich.

STANDARD: Wie würden heute die Burg-Mimen auf uns wirken, von denen im Roman die Rede ist?

Degen: Äußerst altmodisch. Alexander Moissi zum Beispiel. Wer dem Realismus, der sich jetzt auf unseren Bühnen breitgemacht hat, standhalten würde, ist Werner Krauß. Den kann man heute noch anhören. Wenn man Platons Verteidigungsrede des Sokrates hört, denkt man, die sei gerade aufgenommen worden. Das ist toll. Leider!

STANDARD: Sie erwarten von einem Künstler moralische Integrität?

Degen: Ja. Es gibt eine Grenze, über die darf man nicht gehen. Da kann man sich nicht herausreden, dass es noch so eine interessante Aufgabe gewesen sei, so verschiedene Charaktere darzustellen. Was Krauß im Film Jud Süss getan hat, ist unglaublich. Er hat fünf verschiedene jüdische Menschen gespielt und ihren polnisch-jüdischen Dialekt so authentisch gesprochen, dass man nicht glauben kann, dass er selbst kein Jude war. Darum mag ich ihn besonders nicht. Er hat mit diesem Film großes Unheil angerichtet. Das verzeihe ich nicht.

STANDARD: Oskar Werner hat sich darüber hinweggesetzt.

Degen: Er wollte dem Werner Krauß das immer sagen. Und einmal hat er es ihm wohl gesagt, im Hawelka. Aber er hat diesen Mann über dessen Tod hinaus vergöttert. Wenn er aus Amerika nach Wien zurückkam, war sein erster Gang zum Grab von Krauß.

STANDARD: Krauß hat ihm den Iffland-Ring aber nicht vermacht ...

Degen: Es gibt eine Anekdote. Nach der soll Krauß, als er auf dem Sterbebett gefragt wurde, wem er nun den Ring vermachen werde, gesagt haben, schon schwer artikulierend: "Mein Rat ..." Dann starb er. Man hatte angenommen, dass er Werner den Ring vermacht. Aber er hat ihn nicht bekommen. Das war eine ungeheure Enttäuschung für ihn.

STANDARD: War das der Grund für seinen Alkoholismus?

Degen: Da kam vieles zusammen. Erst einmal dieses Kriegserlebnis im Keller des Arsenals, als er nach einem Bombenangriff verschüttet wurde und fast nicht herausgekommen wäre. Da waren seine Desertion und die Angst, erwischt zu werden. Und da war die Vergötterung des Werner Krauß, von dem man wusste, was für ein ekelhafter Kerl er privat war. Das alles nagte an ihm.

STANDARD: In Ihrem Roman schildern Sie den Prozess, wenn Krauß sich in eine Bühnenfigur verwandelt und "Blasen aufsteigen aus den Tiefen des eigenen Innenlebens". Sie haben bei Brecht gespielt. Wie nah muss man einer Rolle innerlich stehen?

Degen: Gelernt habe ich, dass man eine Rolle zeigen, nicht erleben soll. Das wurde bei Brecht gepredigt. Bei mir ist das dann anders geworden. Ich habe später nicht mehr daran geglaubt. Brecht hat diesen Stil kreiert, und das wirkte auch. Aber es wirkte so ganz anders als das Theater, das man sich immer vorstellte. Das Mitgerissen-Werden war seine Sache nicht. Obwohl man von der Helene Weigel in der Mutter Courage hin- und hergerissen war, weil sie sich nicht daran hielt. Sie hat sich völlig identifiziert mit der Rolle und war fabelhaft.

STANDARD: Sie galt als Naturtalent. Kam Oskar Werner nicht auch ans Burgtheater ohne Ausbildung?

Degen: Er lernte Sprechtechnik bei Kollegen. Eine kontinuierliche Ausbildung hatte er nicht.

STANDARD: Ist Schauspielkunst auch Handwerkskunst?

Degen: Ja, zuerst muss man das Handwerk erlernen, Sprechtechnik, Gesang, Bewegungstechnik. Dazu gehört auch, dass man von einer Treppe fallen kann, ohne sich gleich das Genick zu brechen.

STANDARD: Und das Weinen auf der Bühne, das Oskar Werner schon in seinem "Straßentheater" zeigte?

Degen: Das hat weniger etwas mit Ausbildung zu tun als mit der Intensität eines Gefühls. Lernen kann man das nicht. Das muss von innen kommen. Es sei denn, man lernt Wahrhaftigkeit. Kann man die lernen? Entweder man strebt danach, oder man täuscht sie vor. Aber dann kann man auch nicht weinen.

STANDARD: War auch Ihr Besuch bei Oskar Werners Auftritt in der Wachau eine "wahre Begegnung"?

Degen: Ja, ich habe mich da hineingeschlichen. Seit unserem Treffen in Vaduz war einige Zeit vergangen, und ich wollte das sehen. Es war furchtbar. Er konnte sich nicht konzentrieren und hatte auch den Text nicht mehr parat. Als dieser große Monolog begann "Hoch auf, gleich einem Genius des Ruhms ...", da hing er schon. Die Souffleuse wurde immer lauter. Er entschuldigte sich und fing noch einmal an. Ich kann gar nicht beschreiben, wie scheußlich das war, auch für mich, das anzusehen. Es war ein absoluter Zusammensturz. Wir hatten einander zuvor bei der von ihm organisierten Gedenkfeier im Konzentrationslager Mauthausen getroffen. Da kam er auf mich zu, ob wir uns nach der Vorstellung sehen. Aber ich hatte nicht den Mut, ihm gegenüberzutreten. Ich hätte ihm das sagen müssen. Er wusste es auch.

STANDARD: Dennoch fuhren Sie zu seiner Lesung nach Marburg ...

Degen: Ich kannte eine Lesung von ihm, die er im Theater in der Josefstadt gegeben hatte. Die war umwerfend gewesen. Ich dachte, vielleicht würde er sich fangen. Es waren aber nur zehn Karten verkauft worden. Die Lesung wurde abgesagt. In der Nacht starb er.

STANDARD: Was wird bleiben von Oskar Werner?

Degen: Die Erinnerung an seine Bühnenrollen verblasst langsam, obwohl es immer noch Leute gibt, die ihn als Prinz von Homburg in Frankfurt gesehen haben und seinen Don Carlos am Burgtheater anbeten. Von seinen Rezitationen im Theater in der Josefstadt gibt es eine DVD. Da kann man noch erkennen, wie großartig er war, mit welcher ungeheuren Intensität und Stimmgewalt er sprechen und Texte darstellen konnte. Das war unfassbar schön, und das wird anhalten, solange es diese Aufzeichnungen gibt. Auch seine Filme werden weiter existieren. (Ruth Renée Reif, Album, DER STANDARD, 7./8.3.2015)