Fatou Mandiang Diatta spricht in einer Schule im Senegal über weibliche Genitalverstümmelung. Die im Senegal geborene und in Berlin lebende Rapperin wurde als Kind selbst beschnitten.

Foto: Philipp Hedemann

"Ich kann mich noch an die Schmerzen und das Blut erinnern. Meine Mutter sagte mir, dass ich nicht weinen dürfe, weil ich sonst die Familienehre beschmutze", sagt Fatou Mandiang Diatta. Vor knapp 30 Jahren schnitt eine alte Frau der damals Vierjährigen die Klitoris ab. Ohne Betäubung. Damals presste die kleine Fatou die Lippen zusammen. Heute schweigt sie nicht mehr, als Rapperin Sister Fa schreit sie heraus, was sie wütend macht.

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation leben weltweit 125 Millionen Frauen, die Opfer weiblicher Genitalbeschneidung wurden. Nach UN-Angaben ist im Senegal ein Viertel der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten, im Süden sollen es bis zu 90 Prozent sein. Mit Unterstützung der Hilfsorganisation World Vision, die sich im westafrikanischen Staat seit mehr als zehn Jahren für Kinderrechte engagiert, ist die 32-jährige Diatta zum vierten Mal im Senegal auf Tour. Sie kämpft mit Aufklärung gegen diese Praxis, die in 29 Staaten Afrikas und Asiens immer noch verbreitet ist.

Bei knapp vierzig Grad steht Diatta im Klassenzimmer in einem Dorf im Süden Senegals. "Mein Name ist Fatou. Ich bin genau wie ihr Senegalesin. Und ich bin genau wie viele von euch beschnitten", stellt sie sich den rund 70 Burschen und Mädchen vor. Die Jugendlichen hören gebannt zu, als die Frau, die von hier, und irgendwie doch aus einer anderen Welt kommt, das eigentlich Unaussprechliche ausspricht.

Seit 16 Jahren verboten

Auch wenn weibliche Genitalverstümmelung im Senegal seit fast 16 Jahren verboten ist, ist es immer noch ein Tabu, darüber zu sprechen. Die Tradition infrage zu stellen, ist für viele ein Verrat an der eigenen Kultur, am eigenen Glauben, an der eigenen Familie. Den Schülerinnen und Schülern fallen viele Gründe ein, warum fast alle Mädchen in der Klasse den gefährlichen Eingriff über sich haben ergehen lassen müssen: "Mädchen werden beschnitten, weil es im Koran steht. Weil sie sonst keinen Mann finden können. Weil sie sonst unrein sind und nicht treu sein können."

Die Aktivistin weiß, dass keine einzige Sure des Korans die Beschneidung fordert und, dass viele krude Thesen aufgestellt wurden, um die Tradition zu rechtfertigen. Als Mutter einer sechsjährigen Tochter weiß sie jedoch auch, dass die Beschneidungsnarben vielen Frauen während der Menstruation, beim Urinieren, beim Sex und bei der Geburt höllische Schmerzen bereiten. Jedes Jahr verbluten tausende Mädchen beim Eingriff oder sterben später als Erwachsene bei einer Geburt an den Folgen. Als bemitleidenswerte Betroffene sieht sich Diatta nicht: "Ich bin kein Opfer, ich bin eine Überlebende." Fast immer geschieht die Verstümmelung aus Unwissenheit. Diatta möchte erreichen, dass die Mädchen, die ihr jetzt zuhören, ihre Töchter nicht mehr beschneiden lassen.

Keine Ahnung von Anatomie und Hygiene

"In 25 Jahren habe ich sicherlich 1000 Mädchen beschnitten. Meine magische Kraft war so groß, dass mir kein einziges gestorben ist. Ich bereue nichts", sagt Sirayel Diao vor ihrer strohgedeckten Lehmhütte. Ihre Kollegin Aissatou Baldé hingegen gibt zu: "Manchmal sind die Mädchen verblutet. Das raubt mir noch heute den Schlaf." Einige dieser Opfer landeten möglicherweise in der Gesundheitsstation von Anna Camara. "Die meisten Beschneiderinnen haben überhaupt keine Ahnung von weiblicher Anatomie und Hygiene. Weil sie oft das immer gleiche Messer verwenden, besteht auch die Gefahr, dass sie HIV übertragen", sagt die Medizinerin.

Auch wenn die Beschneiderinnen beteuern, seit Jahren kein Mädchen mehr angerührt zu haben, muss es noch Frauen geben, die den einst angesehenen, mittlerweile illegalen Beruf ausüben. Zwar drohen langjährige Gefängnisstrafen, doch den Täterinnen auf die Schliche zu kommen ist schwierig. "Hier schützt jeder jeden. Wir können nur undercover ermitteln und hoffen", sagt ein Polizist. (Philipp Hedemann aus Vélingara, DER STANDARD, 7.3.2015)