Bild nicht mehr verfügbar.

foto: ap

Um in Syrien und dem Irak, wo die Terrormiliz IS ganze Landesteile unter ihrer Kontrolle hat, die Lage zu verbessern, müsse man langfristig auch über Friedensverhandlungen mit dieser Gruppe nachdenken. Mit dieser Ansicht hat Yves Daccord, Generaldirektor des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) bei dem von zwölf großen Hilfswerken veranstalteten 3. Internationalen Humanitären Kongress in Wien am Freitag aufhorchen lassen.

Zwar schränkte der Leiter der bekanntesten und ältesten humanitären Hilfsorganisation Europas seine Äußerung auf Journalisten-Nachfrage in der Folge mit den Worten: "Wenn ich ehrlich bin, sind wir nicht einmal nahe daran, über einen Frieden nachzudenken" wieder ein. Doch seine Grundaussage bleibt bestehen.

Empörend

Nun mag es empörend erscheinen, Gruppen wie die IS als mögliche Verhandlungspartner zu bezeichnen, die in Syrien auf Angehörige einer anderen Religion, die Jesiden, systematisch Jagd gemacht haben, und deren Ableger in Libyen derzeit mit systematischer Zerstörung jahrtausendealten Kulturguts für Schlagzeilen sorgen. Doch Daccord Obskurantismus oder gar Verständnis für blutrünstige und zivilisationsfeindliche Islamisten zu unterstellen, wäre vermessen.

Vielmehr verfügt er über eine ziemlich genaue Kenntnis der Lage: Erstens der Situation in den syrischen und irakischen Kriegsgebieten selbst, wo das Rote Kreuz und ihre Schwesterorganisation, der Rote Halbmond, seit Jahren zehntausende Menschen mit dem Allernötigsten versorgen (was zwangsläufig eine, wie Daccord sagt, "Arbeitsbeziehung" zu der IS voraussetzt).

Internationale Ratlosigkeit

Auch hat Daccord, zweitens, ein klares Bild der diskutierten Exitstrategien aus der Syrien-, Irak- und Libyenkrise – sprich: der diesbezüglichen, über weite Strecken bestehenden Ratlosigkeit. Damit ist er keineswegs allein: Dass sich die potenziellen Troubleshooter etwa im UN-Sicherheitsrat, gegenseitig ausbremsen, erschließt sich in groben Zügen jedem interessierten Medienkonsumenten.

Diesbezüglich ist die Ansage Daccords aber auch symptomatisch für zunehmende Irritationen, ja Erbitterung bei internationalen Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen sowie –Experten, weil weltweit etliche Kriege toben, aber die Chancen auf Konfliktlösung fast überall gering erscheinen. Immer öfter kommt es zu massiven Menschenrechtsverletzungen, in Syrien, Irak und Libyen, der Ukraine, Nigeria oder auch der Zentralafrikanischen Republik. Millionen Menschen bleibt als Ausweg nur die Flucht – sodass es so viele Flüchtlinge gibt wie seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr.

Konfliktlösungsversagen

Laut Manfred Nowak, Völkerrechtsexperte an der Uni Wien und ehemaliger UN-Sonderberichterstatter über Folter, befinden sich die Menschenrechte in ihrer tiefsten Krise, seit sie 1948 in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen verkündet wurden. Die Konfliktlösungsinstrumente der internationalen Gemeinschaft würden zusehends versagen, fügte dem Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty in Österreich, bei der Vorstellung des Amnesty-Jahresberichts 2014/2015 hinzu.

Das, so Patzelt, könne sich nur durch ein näheres Zusammenrücken der Weltgemeinschaft ändern: Amnesty International fordere die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats auf, auf ihr Vetorecht in Fällen von Völkermord und anderen in großem Umfang begangenen Gräueltaten dauerhaft zu verzichten.

Schutz vor Gräueltaten

Denn sei es Syrien, dem Irak oder der Ukraine: "Der Rest der Welt muss endlich aufhören so zu tun, als hätte sie keine Möglichkeiten, die Menschen vor den schrecklichen Gräueltaten zu schützen. Die Staatengemeinschaft braucht Interventionseinheiten mit starker Menschenrechtskompetenz und dem unmissverständlichen Mandat, die Zivilbevölkerung zu schützen", sagte Patzelt. Gäbe es diese - lässt sich ergänzen - wären Gesprächsangebote an einer Terrormiliz wie die IS eindeutig nur eines: Teil einer Strategie zu ihrer Bekämpfung. (Irene Brickner, derStandard.at, 8.3.2015)