Seit Tagen führt eine TV-Dokumentation über die tödliche Vergewaltigung einer Studentin in Indien zu wütenden Protesten gegen die Täter – hier von Kommunisten in Hyderabad.

"Jyoti heißt Licht", sagt ihre Mutter, und ihr Vater hofft: "Ich wünschte, dass alle Dunkelheit in dieser Welt durch dieses Licht vertrieben wird." Über zwei Jahre ist es her, dass die 23-jährige Studentin Jyoti Singh in einem Bus in Delhi von sechs Männern vergewaltigt und so gefoltert wurde, dass sie zwei Wochen später starb.

Ihr Schicksal wurde zum Symbol für das Leid unzähliger Frauen. Zehntausende Menschen gingen auf die Straße. Nun hat die britische Filmemacherin Leslee Udwin, nach eigenen Aussagen selbst ein Vergewaltigungsopfer, den Fall zum Weltfrauentag verfilmt und Eltern, Ärzte, Polizei, Anwälte und Aktivisten befragt. Die BBC-Dokumentation India's Daughter ist ein Dokument des Schreckens - und sorgt in Indien für wütende Debatten.

Die Ausstrahlung wurde in Indien verboten. Der Film sei eine "Verschwörung, um dem Ansehen Indiens in der Welt zu schaden", schäumte ein Minister. Sogar ein weltweiter Bann wird gefordert. Der Ärger entzündet sich vor allem an langen, im Gefängnis aufgezeichneten Interviews mit einem der Täter, in denen er schockierende Ansichten äußert.

Hunderttausende unterliefen Verbot

Das Verbot geriet zur besten Werbung für den knapp einstündigen Film. Obwohl die BBC den Film auf Druck Indiens nach kurzer Zeit wieder von Youtube nahm, unterliefen Hunderttausende das Verbot und teilten ihn im Internet.

Auch Politiker, Aktivisten und Journalisten laufen Sturm gegen den Bann. "India's Daughter muss Pflichtprogramm in unseren Schulen werden", verlangte die bekannte Autorin Shobhaa De. Die Filmemacherin appellierte an Regierungschef Narendra Modi, das Verbot aufzuheben.

Doch der Film spaltet das Land. Kritiker werfen der Regisseurin Sensationsgier und Voyeurismus vor - und der BBC Doppelmoral. Vergewaltigung sei kein indisches, sondern ein globales Problem. Muss man einem Vergewaltiger eine solche Bühne bieten, fragen andere.

Tatsächlich sind die Aussagen von Mukesh Singh, einem der zum Tode verurteilten Täter von Delhi, haarsträubend. Unbeteiligt spricht er in die Kamera, darüber, wie sich Frauen benehmen sollten.

Keine Spur von Reue

An keiner Stelle zeigt er eine Spur von Reue, Schuldbewusstsein oder Mitgefühl. Allein das Mädchen sei schuld, weil sie abends unterwegs gewesen sei und bestraft gehöre. "Sie hätte einfach ruhig sein und die Vergewaltigung erdulden sollen." Und überhaupt sei die Tat doch nicht so ungewöhnlich. Am Ende bleibt der Eindruck: Dieser Mann hat bis heute nicht verstanden, was für eine Tat er begangen hat - und er würde es wieder tun.

Der Film erhitzt die Gemüter, weil er dem Land einen Spiegel vorhält. "Die Wahrheit ist, dass dies die Ansichten vieler indischer Männer reflektiert", meint die Abgeordnete Anu Aga. Doch der Wandel hat begonnen. Im Film erscheint das neue Indien in Person von Jyotis Eltern. Sie strahlen in ihrem Schmerz eine Würde aus, die zu Tränen rührt. Sie sind bitterarm, aber haben alles getan, um ihrer Tochter das Studium zu finanzieren. "Jeder sollte diesen Film sehen", sagt ihr Vater. (Christine Möllhoff aus Neu-Delhi, DER STANDARD, 9.3.2015)