Zumindest im industriellen Bereich lässt sich die Halbwertszeit von "Fukushima" nun festmachen: Vier Jahre nach dem japanischen Reaktorunglück zeigen sich die Folgen für die Atomwirtschaft. Die Flaute im Geschäft mit Atommeilern und -brennstoff beschert dem Weltmarktführer Areva im Jahr 2014 einen Reinverlust von 4,8 Mrd. Euro, während der Umsatz um sieben Prozent auf 8,3 Mrd. Euro zurückgegangen ist. Von Japan über Deutschland bis in die USA lahmen die Verkäufe. Dazu kommen technische Probleme mit dem neuen EPR-Reaktor, dieser versursacht für Areva auf der Baustelle in Olkiluoto, Finnland, Milliardenverluste. Die gleichen Schwierigkeiten hat Electricité de France (EDF) mit ihrem eigenen EPR in Flamanville.

Unternehmen mit vielen Facetten

Areva fördert Uran, beliefert AKW-Betreiber, baut in China Reaktoren und bereitet in La Hague Atombrennstoff auf. Als einziges Unternehmen des Planeten beherrscht es die gesamte Wertschöpfungskette des Atomgeschäfts. Doch jetzt zeigen sich überall Risse - angefangen von den Uranminen in Afrika, wo die längst abgetretene Areva-Vorsteherin Anne Lauvergeon ihrer- seits Milliarden in den Sand gesetzt hat.

Tiefsitzender Schock

Areva war einmal eines der industriellen Flaggschiffe Frankreichs. Nun sitzt der Schock in Paris umso tiefer, als man dort jahrelang ein Loblied auf die strahlende Atomzukunft gesungen und die seit Fukushima auflaufenden Absatzprobleme verschwiegen hatte. Sich über Arevas Malheur zu freuen wäre verfehlt. Die Umweltorganisation Greenpeace warnt vor Einsparungen an der falschen Stelle, nämlich bei der Reaktorsicherheit. Areva-Vorsteher Philippe Knoche musste bei der Präsentation der Jahreszahlen ankündigen, dass der Konzern bis 2017 insgesamt eine Milliarde Euro einsparen will. Das könnte bis zu einem Zehntel der 45.000 Angestellten den Job kosten, befürchten Gewerkschaften. Außerdem will Knoche die Investitionen von bisher 4,6 Mrd. Euro generell um mehr als ein Drittel senken. Ob davon auch die Sparte Sicherheit betroffen sein wird, sagt Knoche natürlich nicht. Er räumt nur ein, dass die Branche noch lange stagnieren werde.

Ungewisse Zukunft

Wie weiter mit Areva? Hinter den Kulissen feilscht Wirtschaftsminister Emmanuel Macron mit EDF-Boss Jean-Bernard Lévy, wer den Konzern retten soll. Muss der französische Staat, der 87 Prozent der Anteile hält, zwei Milliarden einschießen? Oder soll EDF, welche die 58 französischen Atomreaktoren betreibt, einsteigen? Die erste Lösung scheint zu teuer für die Staatskasse, die zweite würde zu einer unguten Symbiose von Lieferant (Areva) und Kunde (EDF) führen. Sicher ist, dass der Strompreis steigen wird. Das ist unerfreulich. Aber erstmals wird den Franzosen bewusst, dass nicht nur erneuerbare Energien ihren Preis haben. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 9.3.2015)