Griechenland hat jetzt andere Probleme, mag man sich denken – Geld, Banken, Bankrott und so –, aber es hat auch einen großen Nachbarn, mit dem es eine bewegte Geschichte und ein Meer teilt: 96.586 Quadratkilometer oder 56,2 Prozent der Ägäis, von Alexandroupolis im Norden bis hinunter zur Südspitze von Rhodos, in der einen, heutigen Variante mit den sechs Seemeilen nationales Gewässer (Heinz A. Richter, "Friede in der Ägäis?", Romiosini 1988) oder 51 Prozent (laut türkischem Außenministerium) oder 49 Prozent (Crisis Group Report 2011).

Macht die griechische Regierung aber einmal wahr mit der UN-Seerechtskonvention von 1982 und dehnt ihre Territorialgewässer von sechs auf zwölf Seemeilen (11,11 respektive 22,22 Kilometer) aus, wird das internationale Gewässer in der Ägäis, das sich Athen und Ankara teilen, naturgemäß sehr viel kleiner. Und der Anteil des blauen Meeres, den die Griechen dann ihr eigen nennen, noch einmal größer: 63,9 Prozent (Richter), 71,5 Prozent (Crisis Group), "mehr als 70 Prozent" (türkisches Außenministerium), während den Türken weiter lumpige 8,3 oder 8,5 Prozent, in jedem Fall unter zehn Prozent blieben.

Kammenos "außer Kontrolle"

Hier kommt nun Panos Kammenos ins Spiel, Ex-Nea-Dimokratia-Politiker, Chef der kleinen rechtspopulistischen Partei Unabhängige Griechen (Anel), seit Ende Jänner Junior-Koalitionär und Verteidigungsminister. Pressemitteilung Nummer 80 des türkischen Außenministeriums vom vergangenen Wochenende verwahrt sich auf das Entschiedenste gegen das „unverantwortliche Verhalten des Verteidigungsministers“ und fordert die Regierung des Linkspremiers Tsipras auf, den schwergewichtigen Minister "unter Kontrolle" zu nehmen. Denn Kammenos geht den Türken gehörig auf den Geist. Seit in Athen die Links-rechts-Koalition von Syriza und Anel regiert, ist der Streit um die Ägäis wieder neu entflammt. Und die Ausdehnung auf die Zwölf-Meilen-Grenze bleibt für die Türkei offiziell ein "casus belli", ein Grund für einen Krieg.

Eine der ersten Amtshandlungen des neuen Verteidigungsministers war eine Reise nach Imia, zwei unbewohnte Felsen vor der türkischen Jetset-Sommersause Bodrum, welche so winzig sind, dass sie vom handelsüblichen Kartenwerk der Freytag & Berndt ignoriert werden. Panos Kammenos kreiste dort mit dem Hubschrauber; der Minister legte auch einen Kranz ab in Erinnerung an drei griechische Marineoffiziere, die auf dem Höhepunkt der griechisch-türkischen Krise um Imia/Kardak im Jänner 1996 bei einem Erkundungsflug ums Leben gekommen waren.

Keine Zufälle

Kammenos machte zudem für türkische Ohren ungebührliche Bemerkungen über Zypern ("Invasion und Besetzung") und über das Forschungsschiff der türkischen Mineralölgesellschaft TPAO, das dort seit dem Herbst vergangenen Jahres Revanche-Sondierungen auf dem Meeresgrund durchführt, nach dem die Republik Zypern begonnen hatte, in ihrer Wirtschaftszone nach Gas und Öl suchen zu lassen. Dazwischen sandte die türkische Armeeführung ein NOTAM, eine Mitteilung an Teilnehmer des Flugverkehrs, und reservierte ab 2. März und für zehn Monate einen ordentlich großen Korridor von der Insel Skyros bis zur Insel Limnos, mitten in der Ägäis für Manöver und als Gefechtsbahn. Es dauerte drei Tage, bis Ankara die Note to Airmen zurücknahm. Bei den Zahlen soll etwas durcheinandergekommen sein, gab das türkische Außenministerium an.

Zufälle gibt es natürlich immer, aber viel Zufälliges passiert in einem militärisch so kontrollierten Raum wie der Ägäis dann doch nicht: Die Türkei gab im Jänner bereits Mitteilungen an den Seeverkehr aus, die NAVTEX, und reservierte Areale in der Nordägäis um die Inseln Samothrakis und Thassos, sowie im Süden um Ikaria und Amorgos. Proteste gegen Luftraumverletzungen häufen sich nun wieder auf beiden Seiten.

Vorfall an UNO und NATO weitergereicht

Unerfahren im diplomatischen Geschäft, wie sie nun einmal ist, hat die sechs Wochen alte Regierung Tsipras den Vorfall mit dem NOTAM gleich an die UNO und die NATO weitergereicht, statt erst einmal mit der türkischen Regierung zu telefonieren. Kammenos' Pilgerreise nach Imia sollte patriotische Gefühle in Zeiten der finanziellen Odyssee wach halten. Der Imia-Konflikt um den Jahreswechsel 1995/96 war eine der griechisch-türkischen Spannungsfälle in der Ägäis, die auf die Ölfunde vor Thassos 1973 und die Invasion der türkischen Armee auf Zypern 1974 folgten. Aus türkischer Sicht gibt es keine Abgrenzung der Gewässer zwischen der Türkei und Griechenland und keine Einigung über den Verlauf der Kontinentalsockel des jeweiligen Landes.

1976 unterzeichneten beide Staaten in Bern immerhin eine Erklärung, in der sie sich zu "aufrichtigen, detaillierten und in gutem Geist geführten" Verhandlungen über eine Grenzziehung des Kontinentalsockels verpflichteten. Geworden ist daraus noch nichts. Dafür stehen sich nun wieder zwei muskelspielende Regierungen gegenüber. (Markus Bernath, derStandard.at, 10.3.2015)