Willkommen bei der dritten Episoden von "Serienreif". Wer genau wissen will, was wir hier versuchen und wer wir sind, kann hier klicken. Diesmal unser Thema: "Mad Men". Genauer gesagt, die finalen Folgen der Serie in der soviel geraucht und getrunken wird wie heutzutage nur mehr in Bahnhofsbeiseln. Unsere Diskussionsbeginn: Wie geht's aus? Und wie immer gilt: Der Text kann Spuren des bisherigen Inhalts enthalten. Kleiner Vorgeschmack gefällig? Bittesehr, hier der Trailer zu den letzten Folgen:

SerienTrailerMP

Doris Priesching: Ich darf voraus schicken, dass mir jeder einzelne, jede einzelne fehlen wird. Mir ist klar, dass die Serie ein Ende haben muss, aber "Mad Men" war eine Initialzündung – die zwischendurch für mich allerdings schon auch das Feuer verloren hat. Mit Prognosen tu ich mir schwer, vielleicht hilft ein Blick in die Geschichtsbücher: Am 1. April unterzeichnete Richard Nixon den Health Cigarette Smoking Act, er tritt am 1. Jänner 1971 in Kraft. Das muss das Ende sein.

Julia Meyer: Das fänd ich das perfekte Ende! Wirklich. Gerade auch, weil mich dieses ganze Zigarettenrauchen in der Serie immer noch begeistert. Ich bin jedes Mal wieder überrascht, wenn eine angezündet wird. Als zweites der Gedanke kommt dann: Aja, die 60er, da war das so. Und im Anschluss frag ich mich regelmäßig, wie die Serienmacher das durchgeboxt haben.

Doris Priesching: Die Darsteller sind sowieso zu bedauern. Gewürzzigaretten müssen etwas ganz Grauenhaftes sein.

Michaela Kampl: Ich will jetzt sofort eine rauchen und irgendwas Hochprozentiges trinken. Am besten mit perfektem Lidstrich und in einer dunklen Bar. Es wird auf jeden Fall ein bittersüßes Ende werden. Ich schmeiße jetzt einfach mal eine Vermutung in die Runde: Irgendjemand stirbt.

Doris Priesching: Am ehesten der Don, oder? Und die Ladys erklimmen immer mehr die Karriereleiter.

Daniela Rom: Ich bin mir auch ganz sicher, dass Don stirbt. Oder er wird Schafzüchter. Oder Kommunist. Oder es gibt irgendetwas ganz Irres. Die letzte Folge von der ersten Hälfte der letzten Staffel – diese Aufteilerei von Staffeln ist ein Witz – war ja schon sehr sehr skurril. Ich hab mich da gefragt, ob Don tot ist und dieser Musical-Tanz vom toten Bertram Cooper quasi der Weg ins Jenseits ist. Das wär auch irgendwie lässig: Das Ende von "Mad Men" ohne Don. Obwohl, wirklich vorstellen kann ich mir das auch nicht. Mit der letzten Folge von Mad Men stirbt auf jeden Fall die schönste Serie. Also optisch.

Bild nicht mehr verfügbar.

Don Draper: Denken und rauchen und trinken. Oder trinken und denken und rauchen.
Foto: AMC, Michael Yarish/AP/dapd

Doris Priesching: Die Geschichten werden sehr stark über die Figuren erzählt und dazu kommt eben diese Wahnsinnsoptik. Auch da war Mad Men prägend und zwar nicht nur für so eindeutige Kopien wie "Masters of Sex". Ich wage zu behaupten, dass der Historical-Boom in Serien wie "Boardwalk Empire" oder "Mob City" sich auf "Mad Men" zurückführen lässt. Es geht um die Lust des Publikums am Schauen. Matthew Weiner, der Erfinder von der Serie, hat das als erster erkannt – und ganz offensichtlich auch seine Freude daran gehabt. Und wir auch.

Julia Meyer: Gerade die 60er Jahre sind auch deswegen so eine dankbare Kulisse, weil es das Jahrzehnt ist, das uns bekannt und völlig fremd zugleich erscheint. Wir können der postmodernen Konsumgesellschaft quasi bei der Geburt zuschauen und ihre ersten Schritte beobachten. Der Trick, eine Serie über die 60er in der Werbebranche und nicht etwa in der Bürgerrechts- oder Studentenbewegung anzusiedeln, erweist sich dabei nicht nur optisch als geschickt. Diese zynische Machowelt ist gleichzeitig geprägt von einem Pioniersgeist und Aufbruchstimmung – vor allem im Sinne des Wettbewerbs á la "höher schneller weiter" – wie auch von diffusen Verlustängsten. Gesellschaftliche Veränderungen sickern an vielen Stellen subtil aber unaufhaltsam ein.

Doris Priesching: Der Witz ist ja, dass die Serie mittlerweile selbst schon Nostalgie geworden ist. Als "Mad Men" 2007 startete, stand der Serienhype noch ganz am Anfang. Es gab ein paar wenige Qualitätsserien, die man gesehen haben musste, "Mad Men" war Tagesgespräch. Mittlerweile ist sie eine von vielen geworden und hat das Schicksal eingeholt, das die meisten trifft: Man schaut rein, bleibt hängen, schaut eine Zeit lang, dann verliert man den Faden, – und wenn das passiert, ist es auch irgendwie egal, weil schon wieder die nächste "Superserie" da ist, die man gesehen haben muss. Es hat ein gewisser Sättigungsprozess eingesetzt. Schad.

Daniela Rom: Stimmt schon. Aber Mad Men hat in den letzten beiden Staffeln noch einmal wirklich Fahrt aufgenommen. Ich war ja so in der Mitte – also Staffel 4 und 5 – echt angezipft. Es war fad, es ist nicht wirklich was passiert, und ich hatte keine Lust mehr drauf. Alleine schöne Kleider, schicke Frisuren und Wohnungen aus dem 60er-Jahre Museum reichen halt auch nicht. Aber ich finde, sie haben es geschafft noch einmal wirklich Zunder reinzubringen. Und jetzt will ich wirklich wissen, wie das Ding ausgeht. Und zum Serienfinale ziehe ich meinen Petticoat an und trinke einen Whisky.

Michaela Kampl: Also bei mir war es nie die Spannung, die mich an der dranbleiben ließ. Drive so im Sinne von "ich kanns kaum erwarten, wie das weitergeht" hatte "Mad Men" für mich nie. Es war so, dass die Charaktere eher erst Staffel für Staffel interessanter wurden. Das alles passierte irgendwie nebenbei und sehr sehr langsam. Peggy wird von der Telefonistin zur Chefin, Don säuft sich weg, ist gelangweilt, seine Ehe zerbricht und die zweite ist vielleicht auch schon wieder vorbei. Aber mehr als an das, was passiert erinnere ich mich an Stimmungen, Einzelheiten und wie so ganz nebenbei amerikanische Geschichte erzählt wird.

Julia Meyer: Deswegen hat mich die Serie interessiert. Sich diese Gesellschaft von gestern zu Gemüte zu führen und sich dabei zu fragen, wie sich historische Veränderungen in die persönlichen Geschichten einflechten lassen. Und wie die Figuren mit den Neuerungen umgehen oder sie, wie im Fall von Peggy, die selber vorantreiben.

Bild nicht mehr verfügbar.

Gruppenbild mit Damen.
Foto: AMC, Frank Ockenfels/AP/dapd

Doris Priesching: Die "Mad Men"-Charaktere sind eine Serienfamilie der alten Schule. So wie früher etwa Roseanne und die Connors schaffen sie es, dass man sie alle mag, egal wie mies sie sich verhalten. Ich kann mich an keine Figur erinnern, die ich nicht irgendwie mochte. Und sie sind einfach so lustig! Ich liebe Pete, der immer auf Großkotz macht und in Wirklichkeit ein ganz armer Wicht ist, der Schwierigkeiten bei einem Auto mit Handschaltung hat. Einer, dessen größte Angst es ist, sich zu blamieren – und es natürlich genau deshalb andauernd tut. Ganz vieles geht da buchstäblich nach hinten los.

Michaela Kampl: Nur ein kurzer Einwurf. Ich finde, Pete ist einer der fiesesten Charaktere der Seriengeschichte. Ich sehe ihn nicht als armen Wicht, sondern als schmierigen, skrupellosen Egoisten. Nothing more, nothing less. Was ihn für mich so richtig unausstehlich macht, sind die Szenen in denen er als Armutschgerl rüberkommt und wo ich fast Mitleid mit ihm bekomme. Das bisschen Gut macht das Böse nur glaubwürdiger. Einwurf Ende.

Doris Priesching: Akzeptiert, aber schon spannend, nicht?

Daniela Rom: Genauso fragmentiert, wie die Charaktere sind, genau so brüchig ist auch die Geschichte. Ich glaube, das macht es manchmal ein bisschen fad, weil quasi nix passiert. Meine absolute Lieblingsfigur ist Joan. Neben Roger, den ich einfach nur großartig finde, der aber im Gegensatz zu Joan recht platt bleibt – er ist halt der verschmitzte Weiberheld, mit dem guten Herzen. Die Super-Sekretärin hingegen finde ist wahnsinnig spannend, und sie kriegt sehr viel Raum in ihrer Komplexität. Da gibt es in der 5. oder 6. Staffel die Geschichte, wo die Agentur den Kunden unbedingt haben will, und dafür quasi Liebesdienste mit Joan verkauft. Könnt ihr euch erinnern? Das war für mich eine der ärgsten Storylines, und ich war echt geschockt, wie alle damit umgegangen sind: Pete, der quasi sagt: Naja, ist halt so, und wenn du das nicht machst, dann sind wir pleite. Don, der moralisch ganz vorne mitspielt – gerade er. Und Joan, die es am Schluss doch macht. Irre eigentlich.

Bild nicht mehr verfügbar.

Joan Holloway steht ihre Frau.
Foto: AP Photo/AMC, Michael Yarish

Michaela Kampl: Ich fand spannend wie da Joan die Männermacht akzeptiert und dann für sich nutzt. Sie geht ja als Partnerin in der Firma aus der Episode raus. Sie kommt damit auf eine Art Augenhöhe mit den Männern. Also soweit Augenhöhe zu dieser Zeit möglich war. Und natürlich mit anderen Voraussetzungen. Aber dennoch: ihre Position wird dadurch mächtiger. Noch was zu Roger, meinem Lieblingscharakter. Für mich ist er derjenige dessen Welt mit am meisten einbricht. Nichts funktioniert mehr so, wie er es gewohnt ist. Und da muss er irgendwie durch. Zur Not eben mit LSD.

Doris Priesching: Jon Hamm, der Don Draper spielt, hat übrigens eine sehr interessante Interpretation zur Faszination der Show: Er sagt, die Zeit, in der sie spielt, hat viel mit jener gemein, in der wir leben. Die Eisenhower-Generation war konservativ und um ihre Besitzverhältnisse besorgt. Dann kam Kennedy, der die Menschen eine zeitlang elektrisierte. Als der große Wandel nicht kam, setzten Ernüchterung und Depression ein. Das kommt einem tatsächlich bekannt vor. Vor diesem Hintergrund gesehen, müsste das Serienende ein eher sang- und klangloses Dahinscheiden sein. Offener Schluss, tät ich vermuten.

Julia Meyer: Und als Schlussbild eine letzte Zigarettenwerbung. Hochglanz. (Michaela Kampl, Julia Meyer, Doris Priesching, Daniela Rom, derStandard.at, 12.3.2015)