Kim Gordon bei einem Auftritt von Sonic Youth im New Yorker Cat Club 1988, festgehalten von dem in Wien lebenden Fotografen Pat Blashill. Ein anderes seiner Fotos ist in Kim Gordons eben erschienener Erinnerung "Girl in a Band" abgebildet. Das Buch ist bei Dey Street Books erschienen.

Foto: Pat Blashill

Wien - Es beginnt mit dem Ende. Mit seelischen Schmerzen und dem Versuch, die Tränen und die Verbitterung zu unterdrücken. Und das alles auf der Bühne. Vor tausenden Fans. So endete das letzte Konzert von Sonic Youth, so endete Sonic Youth. In São Paulo war das, 2011. Dieses Finale war die Konsequenz eines anderen, noch zu ziehenden Schlussstrichs. Die Ehe der Bassistin Kim Gordon und des Gitarristen Thurston Moore sollte bald ebenfalls Geschichte sein.

30 Jahre existierte das einflussreiche US-amerikanische Quartett, fast ebenso lang waren Gordon und Moore ein Paar, 27 Jahre davon verheiratet und seit 1994 Eltern einer Tochter. 2013 ließen sie sich scheiden. Kim Gordon hat nun ein Buch über ihr Leben geschrieben. Es heißt Girl in a Band.

Girl in a Band ist eine Musikerinnenbiografie. Auch. Geht gar nicht anders. Schließlich war Musik, war Sonic Youth der Lebensmittelpunkt der heute 61-Jährigen. Sogar die Brutpflege und Aufzucht mussten sich den Tourplänen beugen, Ehe und Berufung schienen lange Zeit halbwegs zu funktionieren.

Doch Girl in a Band ist mehr als bloß eine schnöde Chronik mit Anekdoten; die verkneift sie sich fast ganz. Es ist die Erinnerung einer Frau, die im männerdominierten Rockzirkus zum feministischen Role-Model wurde. Von einer, die nicht von außen zusehen wollte, sondern an dieser seltsamen Dynamik aktiv teilnehmen wollte.

Gordons Rückblick ist die Geschichte von der Evolution ihrer Rolle, der sie sich lange gar nicht bewusst war. Für sie war es ganz normal, als Frau in einer Band zu spielen. Sie war nicht bloß sexy Aufputz inmitten dreier lärmender Nerds, sie war eine gleichberechtigte Musikerin, deren Ehe mit Moore - das ließ sich nicht beeinflussen - zur Marke wurde: Gordon und Moore, das war das coolste Paar des Alternative Rock.

Doch schon das erste Kapitel zeigt, das Coolness meist nur eine Projektion von außen ist. Zwar memoriert Gordon über weite Strecken in einer knappen und sachlichen Sprache, die eine gewisse Distanziertheit, eine Coolness spüren lässt, sie verschont ihr Publikum aber nicht mit Gefühlen, als ihre Ehe letztlich scheitert. Moore hat sich in eine jüngere Mitarbeiterin verliebt und mit ihr Gordon betrogen. Eheberatung, Beschwörungen, Lügen, das volle Programm eines handelsüblichen Privatdramas. "Just another cliche of middle-aged relationship failure." Gordon ist verletzt und wütend, nennt ihre Nachfolgerin lediglich angewidert "that woman". Eine Persona non grata.

Sadistischer großer Bruder

Die zerbrochene Ehe mag der Anlass des Buches gewesen sein, größeres Augenmerk legt Gordon auf ihre Karriere. Es ist die Geschichte eines Westcoast-Girls aus der Mittelklasse, dessen Kindheit von Interimsheimaten wie Hongkong und Hawaii so geprägt war wie von den Allüren ihres sadistischen älteren Bruders Keller.

Erst als an ihm paranoide Schizophrenie diagnostiziert wurde, erklärte sich vieles, aber der Schaden war bereits angerichtet. Gordons vorgebliche Coolness war ein Schutzschild für ihre Scheu und Sensibilität, die Entscheidung, in einer Band zu spielen, auf der Bühne zu stehen, eine radikale Flucht nach vorne.

Kim Gordons erste Flucht war die Kunst. Bereits als Teenager wusste sie, sie wollte Künstlerin werden. Eher zufällig landete das California Girl bei der Musik und später in New York. Nach Initiationserlebnissen mit No-Wave-Konzerten wurde sie mit ihrer Band in der Downtown-Szene selbst bald zu einer treibenden Kraft und zehrte von der befreienden Energie des Noiserock.

Schließlich wurden Sonic Youth bekannt und berühmt, erlebten die Grunge-Revolution als eine der Verursacher aus der ersten Reihe fußfrei mit, und versuchten später, nach dem Durchbruch, sich im neuen Mainstream treu zu bleiben. Heute meint sie: "Mainstream American music today is just as conservative as it was back in the 1980ies."

Künstler wie Mike Kelley, Gerhard Richter oder Raymond Pettibon tauchen in Nebenrollen auf, wichtige Gruppen genauso wie Wichtigtuer, von denen einige ihr Fett abbekommen, ohne dass Gordon zu viel Energie an sie verschwenden würde. Courtney Love oder Billy Corgan müssen einstecken, während Kurt Cobain oder Neil Young und seine Entourage sich als nachhaltig positive Begegnungen erwiesen.

Wichtig sind ihre Soloprojekte, ihr Modelabel und ihre Kunst, der sie heute wieder verstärkt nachgeht. Und natürlich ihre Familie, ihre Tochter Coco, das Familienleben in Northampton, Massachusetts. Auch wenn dort das Ende seinen Anfang nahm. Doch selbst das hatte etwas Gutes. Kim Gordon, sagt sie am Ende, ist heute ein anderer Mensch. Und das klingt gar nicht bitter. (Karl Fluch, DER STANDARD, 11.3.2015)