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Eine Impfung schützt auch die Kinder von Impfgegnern vor einer mitunter tödlichen Krankheit.

Foto: apa/gindl

Ich habe meinen Sohn gegen Masern impfen lassen. Ich habe es zugelassen, dass ihm "ein Giftcocktail verpasst" wird. Zugleich habe ich ihm die Chance verwehrt, einen "echten Entwicklungsschub" nach dem Durchstehen "der harmlosen Kinderkrankheit" zu machen. Auf die Marketing-Maschinerie von "Big Pharma" bin ich gleichsam tölpelhaft hineingefallen.

Das sagen mir Impfgegner ins Gesicht, das flüstern mir die Verfechter "sanfter Medizin" seit Jahren ins Ohr. Was sie nicht sagen: dass die Impfung meines Sohnes auch ihre Kinder vor einer mitunter tödlichen Krankheit schützt. Dass ihre ungeimpften Kinder jene Kinder gefährden, die noch nicht geimpft werden können. Und, vor allem, dass sie sich bei ansteckenden Krankheiten ganz ungeniert auf die beste aller Impfungen verlassen: Das ist jene, die alle bekommen, außer sie selbst und die eigenen Kinder. Das macht mich ein wenig grantig auf die Impfgegner – und neugierig. Was treibt sie an?

1. Eine bizarre Haltung zur "Schulmedizin"

Die evidenzbasierte Medizin wird von Verfechtern der "Alternativmedizin" als "Schulmedizin" bezeichnet. Anhänger der "Alternativmedizin" übersehen geflissentlich, dass vor allem sie selbst Anhänger recht eng definierter "Schulen" sind. Der homöopathischen Schule des Samuel Hahnemann zum Beispiel oder der anthroposophischen Schule des Rudolf Steiner. Steiner war Philosoph und ein Kind seiner Zeit. Er beklagte die Überrepräsentanz von Juden und deren "abstrakter Jehova-Medizin". Eine recht gute Kombination also, um medizinisch Nägel mit Köpfen zu machen und um über Krankheiten wie Masern zu diskutieren.

"Im Fieber, in der selbst gebildeten Wärme, ist aus dieser Sicht die geistig-seelische Individualität des Kindes in gesteigertem Maße leiblich tätig", lese ich in einem Merkblatt anthroposophischer Ärzte zum Thema Masern. Und: "Aufmerksame Eltern erleben gerade bei den Masern […] eine Verwandlung, die ihr Kind dabei durchmacht, sie können unter diesem Aspekt die Masern ihres Kindes als sinnhaft erleben, als eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Leib, aus der das Kind gestärkt hervorgehen kann."

2. Der blanke Zynismus der Esoterik

Die Angehörigen des vor kurzem in Berlin an Masern verstorbenen Kleinkinds wissen "die Sinnhaftigkeit der Masern" vermutlich nicht in diesem Ausmaß zu schätzen. Aber vermutlich haben Steiner und seine Jünger – wenn schon nicht Worte des Trosts – zumindest Erklärungen. It's the Karma, stupid! "Gegen das Karma kann nicht geheilt werden", lehrte Steiner einst. Seelische und geistige Fehler des Vorlebens würden sich in aktuellen Symptomen niederschlagen. Sollte man sich daher bei der harmlosen Kinderkrankheit Masern die gar nicht so harmlosen Symptome von Masernpneunomie und Masernenzephalitis einfangen: Ein Blick ins vermutlich liederliche Vorleben reichte, um endlich zu verstehen, warum man Blumen auf das Grab seiner Lieben legen muss.

Die Zahl der Maserntoten ist seit den 70er-Jahren deutlich zurückgegangen. Dank der Medizin, dank der Impfung. Und sie wird wieder steigen. Die Freunde der anthroposophischen Schule werden vermuten: Eine Generation mit miesem Karma ist unterwegs, heutzutage. Wer etwas genauer hinsieht, wird wissen: Es ist der Erfolg einer nicht nur esoterisch verblendeten und wissenschaftsfeindlichen, sondern zugleich unvorstellbar zynischen und egoistischen Fangemeinde "alternativer" Medizin. Diese ist vor allem eines nicht: "sanfte" Medizin.

3. Eine wenig reflektierte Geschichte der Imfpgegnerschaft

1933 warnte ein Sonderdruck der "Reichsdeutschen Impfgegner": "Volksfreunde, seht her, was die Pocken'schutz'-Impfung für unsere Kinder und unser Volksgesundheit mit sich birgt." Es gehe nicht an, sich mit dem Impfen in die Hände "naturferner und daher verirrter Mediziner zu begeben".

Im Dritten Reich forderte das Nazi-Hetzblatt "Stürmer" die deutschen Volksgenossen zur Obacht gegenüber impfenden Ärzten, genauer gesagt: jüdischen Ärzten auf. Die Worte "So ist mir sonderbar zu Mut, denn Gift und Jud' tut selten gut" legt man in einem Comic einer blonden Mutter in den Mund, die mit ihrem Kleinkind bei einem Arzt zur Visite ist. Der Doktor verpasst dem jungen, "gesunden Volkskörper" soeben und offenbar mit Häme eine Injektion.

Impfgegner im Jahr 2015 sind keine Nazis. Aber: Eine impfgegnerische Attitüde entwickelt sich nicht im ideologischen Vakuum. Es ist auch linken, grünen, veganen oder kapitalismuskritischen Impfgegnern zuzumuten, sich die Geschichte des Chors, in den sie einstimmen, ein wenig genauer anzusehen. Skepsis und Feindseligkeit gegenüber der Wissenschaft sind Konstanten im rechten Extremismus, in den rechtslastigen Kreisen der Verschwörungstheoretiker und in der nur scheinbar unpolitischen Esoterikszene. (Christian Kreil, derStandard.at, 11.3.2015)