480 Millionen Jahre in der Zeit zurück: Aegirocassis benmoulae war der Blauwal seines Zeitalters. Seine Fossilien wurden in Marokko entdeckt:

Illustration: Marianne Collins, ArtofFact
Foto: Peter Van Roy, Yale University

Detailansicht des an Barten erinnernden Planktonfilters von Aegirocassis.

Foto: Peter Van Roy, Yale University

New Haven - Im März vergangenen Jahres berichteten Forscher in "Nature" von einem Tier, das vor einer halben Milliarde Jahre die ökologische Nische eines heutigen Bartenwals ausgefüllt haben dürfte ("Ein sanfter Riese der Urzeit").

Der kaum einen Meter lange - für damalige Verhältnisse also riesige - Tamisiocaris borealis lebte in den Meeren des Kambriums. Seine vor dem Mund gelegenen Greifarme hatten sich zu kammartigen Auswüchsen entwickelt, mit denen er vermutlich das Wasser nach Plankton durchsiebte.

Tamisiocaris gehörte zu den Anomalocarididae, einer am wahrscheinlichsten mit den Gliederfüßern verwandten ausgestorbenen Tiergruppe mit einem Körperbau, wie er unter heutigen Tieren keine Entsprechung hat. Nun berichten US-Forscher, ebenfalls in "Nature", von einem weiteren Tier aus dieser Gruppe, das offenbar die gleiche Lebenweise pflegte.

Das neue Tier

Aegirocassis benmoulae lebte deutlich später als Tamisiocaris, war mit zwei Metern Körperlänge aber auch bereits mehr als doppelt so groß. Seine Fossilien, die aus dem Ordovizium stammen und etwa 480 Millionen Jahre alt sind, wurden in Marokko entdeckt.

Auch dieses Tier besaß am Kopf einen Anhang, mit dem es Nahrung aus dem Wasser filterte. Filtrierer dieser Größe waren bislang unbekannt, erklärten die Wissenschafter um Peter Van Roy von der Yale University in New Haven.

Vielleicht der Endpunkt einer Entwicklung

Sie vermuten, dass es sich bei Aegirocassis um den letzten Vertreter dieser Tiergruppe gehandelt haben könnte, der auf diese Weise lebte. Gigantismus ist oft der Endpunkt einer Entwicklung.

Interessant war für die Forscher auch der Rumpf. Er besteht aus Segmenten, von denen jedes seitlich ein Paar lappenförmiger Fortsätze trägt. Die unteren Lappen weisen Übereinstimmungen mit den beinähnlichen Fortsätzen anderer Anomalocarididae und den Beinen einiger heutiger Arthropoden auf, schreiben die Forscher. An den oberen Lappen befinden sich Strukturen, die an Kiemen erinnern.

Lange Erfolgsgeschichte vor sehr langer Zeit

Viele der Anomalocarididae, deren Entwicklung vor etwa 540 Millionen Jahren im Kambrium begann und vermutlich vor 400 Millionen Jahren im Devon endete, waren Räuber. Am Mund trugen die Tiere in ihrer Grundform Greifarme, mit denen sie vermutlich Beute packen konnten.

Allerdings hat man mittlerweile eine Vielzahl unterschiedlcher Greifarmausformungen entdeckt: von spieß- über scherenartige Varianten bis zu den Pseudobarten der Filtrierer. Offenbar konnten die Angehörigen dieser Tiergruppe ganz verschiedene ökologische Nischen füllen.

Und zumindest einige von ihnen hatten ein ausgezeichnetes Sehvermögen: Wissenschafter berichteten 2011 von der Entdeckung eines 515 Millionen Jahre alten Exemplars mit zwei bis drei Zentimeter großen Augen. Sie bestanden aus mehr als 16.000 Linsen und gehören damit zu den größten und schärfsten Augen, die es je gegeben hat, berichteten die Forscher in "Nature". (red/APA, derStandard.at, 14.3. 2015)