
Karline Klejer von MSF im Gespräch mit User-Reporterin Monika Anna Austaller: "Man wird sehr demütig."
Für Ärzte ohne Grenzen (MSF) bereiste Karline Klejer in den vergangenen fünfzehn Jahren die Krisenherde der Erde und half, humanitäres Leid zu lindern. Sie erzählt von der Schwierigkeit, über andere Menschen in Einsatzgebieten zu entscheiden und wie man hilfsbedürftigen Menschen am besten begegnet.
derStandard.at: Sie sind Notfallskoordinatorin bei Ärzte ohne Grenzen in Amsterdam. Was tun Sie genau?
Klejer: Ich habe zehn Jahre lang im Feld gearbeitet und die letzten fünf Jahre sowohl im Feld, als auch im Büro in Amsterdam. Meine ersten Missionen waren in Usbekistan und Sudan wegen Tuberkulose. Danach war ich in Simbabwe, wegen HIV, dann in Darfur. Von dort ging ich in den Niger, wo eine große Lebensmittelkrise geherrscht hat. Es folgten der Tschad und die Zentralafrikanische Republik. Mit dem Notfallteam war ich in Haiti nach dem Erdbeben, in Sri Lanka und auch in Syrien. Mein letzter Einsatz war in Sierra Leone, wegen Ebola.
derStandard.at: Haben Sie Angst, wenn Sie in Gebieten mit Ebola arbeiten?
Klejer: Nein – vielleicht bin ich naiv – ich vertraue der Organisation. Ebola wirkt viel bedrohlicher für meine Angehörigen, weil sie nicht gut darüber informiert ist. Wenn ich in ein Ebola-Feld gehe, lese ich die Richtlinien und lerne, wie ich mich schützen kann. Außerdem sind die Chancen für mich sehr hoch, im Ernstfall in einem europäischen Krankenhaus behandelt zu werden. Natürlich habe ich mich manchmal gefürchtet. Aber alle meine Narben sind vom Urlaub (lacht).
derStandard.at: Was ist die größte Herausforderung?
Klejer: Es ist schwierig, für andere zu entscheiden. Wenn ich mit dem Team im Feld bin, trägt jeder das gleiche Risiko. Jetzt sitze ich in meinem Bürosessel und trinke am Abend ein Bier, während die anderen womöglich Gefahren ausgesetzt werden.
Ständig präsent ist auch die Frage, ob wir genug riskieren und etwas bewirken. Wie an einem Tag mit einem Kongress: Viele Reden, all diese Leute, die von fern eingeflogen werden. Sollten wir so unser Geld ausgeben? Ethische Arbeit kannst du nicht nur für Geld oder zum Spaß machen.
derStandard.at: Warum haben Sie sich für MSF entschieden?
Klejer: Ein Freund hat mich dazu gebracht. Ich war ursprünglich Marineoffizierin und fing als Ingenieurin an. 70 Prozent unseres Personals ist nicht medizinisch, denn um ein Krankenhaus aufzubauen, braucht man Konstrukteure und Administration.
Ich habe vor allem deswegen angefangen, weil ich den Wunsch hatte, etwas Sinnvolles zu tun. Und natürlich wegen der Lust auf Abenteuer.
derStandard.at: Haben Sie gefunden, was Sie gesucht haben? Sind Sie zufrieden?
Klejer: Ja, da meine Arbeit mir ständig das fantastische Leben bewusst macht, das wir in unseren Teilen der Welt führen können: Wenn ich zum Beispiel das Leben einer 18-jährigen jungen Frau in Darfur sehe und vergleiche, wie meines in diesem Alter aussah.
derStandard.at: Wie reagieren Menschen in Krisengebieten auf die Aktionen von MSF?
Klejer: Wenn man hier in Wien Menschen fragen würde, was sie über MSF denken, würden manche sagen, dass wir ein Haufen naiver Leute sind, die Geld verschwenden. Andere werden uns schätzen und uns wie Helden bewundern, die wir nicht sind. Genauso ist es in anderen Ländern.
derStandard.at: Ist es schwierig, kulturelle Grenzen zu überwinden? Medizinische Hilfe ist sehr intim. Wie wird Vertrauen geschaffen?
Klejer: Indem man sich als gleichwertig begegnet. Wie Mary-Joe, eine amerikanische Krankenschwester. Jeder im Lager kannte ihren Namen. Sie ist wahrhaftig humanitär, solidarisch, sie spricht mit ihnen so: "Ich könnte du sein und du könntest ich sein. Wir sitzen alle im selben Boot."
derStandard.at: Sie sind beruflich viel unterwegs. Wie vereinbaren Sie das mit Ihrem Privatleben, mit Familie und Freunden?
Klejer: Ich habe keine eigene Familie, aber es gibt viele Menschen bei MSF, die eine haben. Manche haben sie mit im Feld und bevorzugen dann, ihre Kinder in ihrem Heimatland unterrichten zu lassen. Andere schicken sie auf Internationale Schulen. Du musst ständig reflektieren: Was erwarte ich vom Leben, was möchte ich für meine Kinder? Es gibt alles in der humanitären Welt. Leben, Liebe, Kinder.
derStandard.at: Fühlt es Sich so an, als würden Sie etwas opfern?
Klejer: Nein, gar nicht. Ich hatte einmal eine Dame im Team, die sich selbst aufopferte. Ich habe sie heimgeschickt, da sie im Kern unglücklich war. Man muss ja nicht nach Haiti gehen, um "Gutes" zu tun, das kann man genauso gut zuhause.
Wenn man es machen möchte, dann muss man es gerne tun und gerne reisen. Ich finde es fantastisch. Für mich ist mein Beruf eine Ehre. Er bringt mich anderen Kulturen näher und zeigt mir verschiedene Arten auf, die Welt zu sehen. Man wird sehr demütig. (Monika Anna Austaller, derStandard.at, 16.3.2015)