Wien - Das Schwarze Loch lauert in der Espressotasse, dem koffeinhaltigen Brennpunkt der Welt. Die Crema kräuselt sich an der Oberfläche und bildet, bewegt vom Löffel, ständig neue Schaumgalaxien. Die Assoziation zu Himmelserscheinungen ist gewollt. Die Off-Stimme flüstert dazu den Kommentar: Es geht um den Riss zwischen Welt, Bewusstsein und Wahrnehmung. Um die Grenzen der Sprache, die Unmöglichkeit, dem kapitalistisch geprägten Alltag zu entfliehen. "Doch wenn die Dinge wieder ins Blickfeld rücken", und dabei gewinnt das kurz verschwommene Bild an Schärfe, "dann nur durch die Wiedergeburt des Bewusstseins."
Eine Schlüsselszene aus der ersten Schaffensperiode von Jean-Luc Godard, die aus Deux ou trois choses que je sais d'elle (Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß) stammt. 1967 gedreht, zeigt dieser Film bereits den Übergang zu den zunehmend essayistisch gebauten Arbeiten des Regisseurs, die sich immer stärker von der kommerziellen Form des Spielfilms emanzipieren werden. Die "sie" im Titel ist keine Frau, sondern die Pariser Vorstadt, die im Zuge der Stadterneuerung unter de Gaulle einer irren Transformation unterworfen ist. Unfertige Stadtautobahnen, neu aufgezogene Wohnsilos, viel undefinierter Raum dazwischen. Hier entsteht gerade die Banlieue. In den Debatten um die gescheiterte Integration der Arbeiter aus früheren Kolonien ist sie gerade wieder präsent.
Aus heutiger Sicht tritt der zeithistorische Gehalt und dokumentarische Anteil von Deux ou trois choses noch deutlicher hervor: die strukturelle Gewalt dieses Betons. Die "toten Objekte werden weiterleben", heißt es im Film, aber es klingt im Tonfall nicht militant, sondern eher melancholisch. Im Filmmuseum, das sich im März dem Werk Godards bis 1967 widmet, also bis zu seiner maoistischen "Dziga Vertov"-Phase, lässt sich das nun wieder überprüfen.
Der historische Sinn
Weil er keine Geschichten erzählen könne wie das heißgeliebte amerikanische Kino, hat der Mitbegründer der Nouvelle Vague einmal gesagt, habe er stets versucht, zugleich einen historischen Sinn zu vermitteln. Eine Offenheit gegenüber der Gegenwart, die sich der mittlerweile 84-Jährige bis zu seinem 3-D-Film von vergangenem Jahr, Adieu au langage, bewahrt hat; immerzu stark gemünzt auf die Eigenschaften bestimmender Bildtypen.
Juliette (Marina Vlady), die Protagonistin aus Deux ou trois choses, liest im Café, in dem die anfangs beschriebene Szene spielt, ein Hochglanzmagazin. Wie viele Frauenfiguren des frühen Godard - man denke nur an Anna Karinas Nana in seiner Fallstudie Vivre sa vie (1962) - ist sie eine (Teilzeit-) Prostituierte. Das ist weniger das Ergebnis eines feministischen Zugangs, vielmehr eine umfassendere Analyse des Konformitätsdrucks eines Systems: Um diesem zu entsprechen, bringen wir uns alle in Abhängigkeitsverhältnisse. Die Liebesräumlichkeiten zieren nicht umsonst Plakate, die Fernreisen bewerben.
Bis heute sucht der Filmemacher nach Bildern hinter solchen Bildern, einer nichtfunktionalen Sprache. Die gesellschaftspolitischen Kernthemen des frühen Godard, seine Kritik der Konsumkultur, Amerikanisierung und Gleichförmigkeit werden als Zersetzung der Form wirksam. Zusammenhänge aufbrechen, sich Freiheiten nehmen, Bilder dynamisieren: Kann man den Weltrekord der schnellsten Durchquerung des Louvre knacken, lautet eine der Fragen im Bande à part (Die Außenseiterbande, 1964), seiner Fortsetzung von A bout de souffle. Kann man Gangster sein, wenn man deren Habitus nur zitiert? Zumindest sterben lässt sich's wie Billy the Kid.
Diese Verve gilt auch für Made in U.S.A., den kleinen Bruder von Deux ou trois choses. Godard drehte sie 1967 parallel. Einzelne Einstellungen sind in den jeweils anderen gerutscht. Die Filme könnten aber kaum unterschiedlicher sein. Anna Karina steht ein letztes Mal für Godard vor der Kamera, als kecke Detektivin, die durch einen wirren Plot führt, der sogar die Ben-Barka-Affäre streift.
"Walt Disney mit Blut" nennt sie das gleich zu Beginn einmal. Tatsächlich ist dieser in knallbunten Farben umgesetzte Film eine Realfilm-Comic-Variante von Pop-Art, die sich scharf gegen die Allgegenwart von trivialen Werbeslogans ausspricht. Am Ende ist nicht viel aufgelöst, aber der finale Satz der Heldin gilt auch für die Zukunft des noch politischeren Godard: "Wir haben einen jahrelangen Kampf vor uns." (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 13.3.2015)