Alice Howland leidet im Film "Still Alice" an einer extrem seltenen Form von Alzheimer.

Foto: filmladen filmverleih

"Es ist der starke Kontrast zwischen ihrer intellektuellen Tätigkeit und der unkontrollierbaren, unaufhaltsamen Vergesslichkeit, die Alice so zu schaffen macht", sagt Demenz-Experte Peter Dal-Bianco.

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"Es fühlt sich so an, als ob die Worte vor mir hängen und ich sie nicht erreichen kann. Ich weiß gar nicht, was ich als nächstes verlieren werde". Alice Howland, Protagonistin in "Still Alice", leidet an einer erblichen Form von Alzheimer, die die Anfang 50-Jährige immer tiefer in ein Loch des Vergessens, zunehmender Hilflosigkeit und Einsamkeit zieht. Wie sie damit umgeht, ist bewundernswert - Schauspielerin Julianne Moore wurde für ihre hevorragende Darstellung mit dem Oscar prämiert.

Glaubhafte Darstellung

"Wer kann uns noch ernst nehmen, wenn wir so weit von der Person entfernt sind, die wir einmal waren?", fragt sich Alice, einst erfolgreiche Sprachwissenschafterin und Columbia-Professorin. "Es ist auch der starke Kontrast zwischen ihrer intellektuellen Fähigkeit und der unkontrollierbaren, unaufhaltsamen Vergesslichkeit, die Alice so zu schaffen macht", sagt Peter Dal-Bianco, Leiter Ambulanz für Gedächtnisstörungen und Demenzerkrankungen an der MedUni Wien.

Sie weiß nicht mehr, was mit ihr geschieht: Sie stockt mitten in einem Vortrag, weil ihr keine Worte mehr einfallen, muss ihre Studenten fragen, was denn überhaupt auf dem Lehrplan steht. Schließlich bricht sie beim Laufen zusammen und findet im eigenen Haus nicht mehr die Toilette.

Aus ärztlicher Sicht sei der Verlauf sehr glaubhaft dargestellt, sagt Dal-Bianco. Aber auch die Reaktionen von Familie und Umfeld seien sehr nah an der Realität, etwa der erste Schock aufgrund der Alzheimer-Diagnose, das darauffolgende Tabuisieren und Verheimlichen, der verharmlosende Partner ("Vergesslichkeit ist doch ganz normal, wenn man älter wird") und die schließlich existenzielle Hilflosigkeit auf beiden Seiten.

Fortschreitende Verschlechterung

In Österreich leiden momentan etwa 100.000 Menschen an Alzheimer-Demenz. Grundsätzlich gibt es zwei Verlaufsformen von Alzheimer: Die sporadisch auftretende Alzheimer-Demenz (Spätform), die etwa ab dem 65. Lebensjahr auftritt und an der rund 98 Prozent aller Betroffenen leiden. Sie wird als sporadisch bezeichnet, weil bisher kein sicherer Erbgang nachgewiesen wurde. Eine familiäre Häufung bei erstgradigen Verwandten kann beobachtet werden.

Ihr gegenüber steht die selten vorkommende familiär bedingte Erbform, die Frühform oder early-onset Alzheimer: Sie setzt meist zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr ein. Ein so früher Ausbruch wie bei Alice betrifft aber nur die wenigsten. Kennzeichnend für die erbliche Form ist der rasche Verlauf.

Für die sporadische meist der langsame Verlauf. Zellen bestimmter Gehirnregionen funktionieren zunächst nicht mehr und sterben schließlich ab. Die durchschnittliche Krankheitsdauer beträgt zwischen sieben und zehn Jahre. Es gibt keine Therapie, die das Fortschreiten verhindern oder auch nur verzögern kann. Allerdings helfen symptomatische Therapien, den klinischen Verlauf zu bremsen.

Sehr seltene Form

"Alzheimer führt zwar nicht gleich zu Persönlichkeitsveränderungen, stellt das Leben aber auf den Kopf. Auch deshalb, weil das Fortschreiten so unberechenbar ist", sagt Dal-Bianco. Man müsse aber dazu sagen, dass die im Film gezeigte chromosomal-vererbliche Form, die schon in den eigenen 50ern auftritt und an die Kinder weitergegeben wird, äußerst selten sei. In den mehr als 20 Jahren, in denen sich Dal-Bianco schon mit Alzheimer beschäftigt, seien ihm selten solche Frühformen begegnet.

Wenn jemand mehrmals dieselbe Frage stellt, dieselbe Geschichte wieder und wieder erzählt, oder deutlich länger als üblich für die Suche von Brille und Co. braucht, könnte das ein erstes Zeichen für Alzheimer sein, sagt Dal-Bianco. Auch Orientierungsstörungen können ein Frühzeichen sein.

Bei beiden Formen der Erkrankung ist meist nur das biografische- und Kurzzeitgedächtnis, nicht jedoch Langzeit- und prozedurales Gedächtnis betroffen. Eingelernte Tätigkeiten wie Autofahren, Schi fahren, Eislaufen funktionieren. Auch wissen Betroffene auch im Spätstadium oft noch von den eigenen Kindern - erkennen sie aber unter Umständen nicht mehr, weil das Muster des Gesichts nicht mehr aus der Erinnerung abgerufen werden kann.

Verständnis schaffen

"Dieser Film soll nicht Panik machen, sondern helfen, ein Verständnis für die sonst so oft tabuisierte Krankheit zu entwickeln", sagt Dal-Bianco. Über weite Strecken behält Alice ihren Optimismus, hält trotz Scham und allen Schwierigkeiten bei der Vorbereitung einen sehr persönlichen, letzten Vortrag vor wissenschaftlichem Publikum.

"Wir werden lächerlich und unbrauchbar. Das sind aber nicht wir, sondern das ist unsere Krankheit", sagt Alice hier, während sie jedes Wort von ihrem Skript mit dem Textmarker anstreichen muss, um nicht den Faden zu verlieren. Dennoch müsse man im Moment leben und das beste daraus machen. Was wie eine hohle Phrase klingt, wird durch die eindringliche Darstellung tatsächlich glaubhaft.

Hoffnung behalten

Auch wenn der Film nicht repräsentativ für den typischen Alzheimer-Verlauf ist, auch wenn spätere Stadien und Pflegebedürftigkeit weitgehend ausgeblendet werden, so lässt "Still Alice" doch erahnen, wie schwer es für Betroffene und Angehörige sein muss, damit umzugehen.

Und doch gibt es Hoffnung, gibt es viele kleinen Momente, die oft das größte Glück bedeuten. So berichtet Dal-Bianco von einem Patienten, durchaus schwer betroffen, der noch immer völlig sicher Autofahren kann, dazu aber seine Frau braucht, um ihm den Weg anzusagen. Allein könnte weder er noch sie noch fahren, aber in diesem Zusammenspiel funktionierte das sehr gut.

"Still Alice", so der Experte, sei ein Aufruf, Alzheimer nicht zu verdrängen sondern sich aktiv damit auseinanderzusetzen, über Sorgen und Ängste zu sprechen - und vor allem dafür, Betroffene und Betreuende nicht auszugrenzen. Das müsse man dem Film hoch anrechnen. (Florian Bayer, derStandard.at, 13.3.2015)