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In Slowjansk nahe der Grenze zu den Separatistengebieten gehört Lenin zu den wenigen, die optimistisch in die Zukunft zu blicken scheinen.

Foto: Reuters / Gleb Garanich

Am Grenzverlauf zwischen der Ukraine und den selbsternannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk ist das Militär trotz der Friedensvereinbarung von Minsk in hoher Alarmbereitschaft. Das Hauptquartier der Anti-Terror-Operation (ATO) der ukrainischen Streitkräfte liegt in Kramatorsk. Die Militärs sind in einer Fabrik untergebracht, deren gesamte Produktion nach Russland und Weißrussland geht. Der Name darf nicht genannt werden.

Oberst Walentin Feditschew stammt aus Luhansk, seit zehn Monaten ist er im Einsatz. Nach seinen Angaben befinden sich 34.000 Militärs in den besetzten Gebieten der Regionen Donezk und Luhansk. Derzeit werde in der Stadt Gorliwka eine "Neurussische Armee" formiert. Die Leitung hätten russische Militärexperten, die neuen Einheiten setzten sich aus örtlichen Unterstützern der Separatisten, regulären russischen Soldaten sowie Sonderbataillonen wie dem "Kosakenheer" zusammen. Diese Kosakenverbände, etwa 2000 bis 2500 Mann, kämen aus dem russischen Rostow am Don und kämpften als "dritte Kraft" in der Ostukraine.

Unterirdische Festung

Im ATO-Hauptquartier in Kramatorsk traut man den Friedensbekundungen Russlands nicht. Es gebe Beweise, dass die schweren Waffen der Separatisten nicht abgezogen worden, sondern innerhalb der "Volksrepubliken" verschoben worden seien. "Unter anderem stehen Raketenwerfer und Artillerie in Scheunen oder Fabrikhallen", sagt Feditschew.

Die Stimmung der Soldaten an den Kontrollstellen in Kurahowo, rund 100 Kilometer von Kramatorsk entfernt, ist gedämpft. Wladimir und seine Kameraden bewachen dort die neue Grenze. Die Straße ist gesperrt, Panzer und andere schwere Waffen sind tief in den Boden eingegraben. Die Soldaten haben sich im Winter unterirdische Kammern geschaufelt. Dass sie diese Festung bald aufgeben, glauben sie nicht. "Ich bin seit fünf Monaten hier und werde, wie es aussieht, auch die nächste Zeit hierbleiben", sagt Wladimir.

Die wirtschaftliche Krise ist im Donbass allgegenwärtig. Doch die Not in der Ostukraine stammt längst nicht nur vom Krieg. Die Dörfer und Kleinstädte entlang der Hauptverbindungsstraße sind Zeugen des Verfalls: marode Häuser, löcherige Straßen, altersschwache Strom- und Gasleitungen. Wer dort lebt, ist entweder Pensionist oder arbeitslos.

Kaum Solidarität

Petro Dudnik, Mitarbeiter der Stadtverwaltung von Slowjansk und Leiter der NGO "Solidarität", berichtet über einen Vorfall, den er "symptomatisch für diese Region" nennt. Vor ein paar Tagen sollten im Nachbarort Andrejewka Erdäpfel an Bedürftige verteilt werden: "Ich habe drei oder vier Männer gesucht, die die Säcke denjenigen in die Wohnung tragen, die nicht so gut zu Fuß sind. Leider hat sich dazu niemand bereiterklärt. Entweder waren sie betrunken oder haben gesagt, der Staat solle sich darum kümmern."

Die verbliebenen Firmen in Kramatorsk und Slowjansk haben große Probleme. "Wenn Russland seine Grenzen für die Produkte aus der Ukraine verengt oder schließt, gehen die Lichter im Donbass komplett aus", prophezeit ein Unternehmer aus Slowjansk. Etliche Fabriken würden bis zu 80 Prozent ihrer Produktion nach Russland verkaufen. Die Erschließung anderer Märkte sei in den vergangenen 20 Jahren versäumt worden. "Vieles war aber auch politisch schlicht und einfach nicht gewollt", sagt Oleg Sontow, Bürgermeister von Slowjansk und Mitglied der Präsidentenpartei "Block Petro Poroschenko".

Gestrandete Flüchtlinge

In Slowjansk sind tausende Flüchtlinge gestrandet. Unter ihnen die 83-jährige Anja aus Debalzewe. Am 6. Februar seien sie mit dem Bus aus Debalzewe weggebracht worden, erzählt sie weinend vor einer Flüchtlingsunterkunft in einem Vorort von Slowjansk. Sie wisse aber, dass ihr Häuschen noch stehe. "Ich will spätestens am 19. März zurück, aber sie lassen mich nicht", klagt sie. Schuld seien ungelöste Verwaltungsverfahren. Es ist unklar, wer die Evakuierten kontrolliert, welche Papiere von welcher Behörde ausgestellt werden.

Der offizielle Gouverneur von Donezk, Alexander Kichtenko, gibt diese Probleme im Gespräch mit Medienvertretern offen zu: "Sogar Beerdigungen können nicht stattfinden, weil Papiere fehlen." Er wünscht sich Vorgaben aus Kiew, doch die Zentralregierung schiebe die Verantwortung an die Regionen zurück. (Nina Jeglinski aus Kramatorsk, DER STANDARD, 14.3.2015)