Gottfried Haber (42) studierte BWL und VWL an der WU, lehrte bis 2012 an der Uni Klagenfurt, jetzt Professor an der Donau-Uni Krems, seit 2013 Mitglied des Generalrats der Nationalbank und Vizepräsident des Fiskalrats.

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STANDARD: Die Regierung verkauft "die größte Steuerreform der Zweiten Republik". Ist sie das?

Haber: Vom Volumen her ist sie mit fünf Milliarden Euro tatsächlich eine große Steuerreform. Die Tarifreform als Kernstück ist ein Schritt in die richtige Richtung, mit dem der Mittelstand entlastet wird. Aber ansonsten sind die großen Veränderungen ausgeblieben. Was Fragen der Steuerstruktur betrifft, ist man noch sehr konventionell geblieben. Da bleibt noch viel Raum für zukünftige Reformen, sowohl im Bereich des Steuersystems als auch insbesondere im Bereich des Transfer- und Sozialversicherungssystems oder bei den Lohnnebenkosten.

STANDARD: Was fehlt Ihnen?

Haber: Wenn man das loslöst von dem, was politisch machbar ist: Ich habe immer einen Gleittarif präferiert, hätte also bei der Tarifreform einen stufenlosen Tarif bevorzugt, bei dem man die Progressionsstufen ganz abschafft. Ich hätte beim Tarif auch überlegt, ob man nicht die Entlastungseffekte bei den höheren Einkommen geringer ausfallen lässt und einen höheren Entlastungseffekt im Mittelstandsbereich generiert.

STANDARD: Dafür kommt die "Millionärssteuer". Sie trifft 416 handverlesene "Einkommensmillionäre". Mehr als ein symbolischer Akt?

Haber: Diese 55 Prozent Höchststeuersatz treffen tatsächlich nur ein paar Hundert Steuerpflichtige, haben aber auch den Nachteil, dass der Spitzensteuersatz im internationalen Vergleich als Indikator herangezogen wird, und auch wenn er de facto niemals wirksam wird, schaut das natürlich optisch nicht unbedingt wettbewerbsvorteilhaft aus.

STANDARD: Am unteren Ende der Einkommensskala soll es höhere Steuergutschriften geben. Gut so?

Haber: Ich persönlich halte von Negativsteuern sehr wenig, weil es ja eigentlich eine Transferzahlung ist. Am Ende wäre es transparenter zu sagen, wer keine Steuer zahlt, bekommt auch keine Entlastung über das Steuersystem. Dafür gibt es eben ein Sozialtransfersystem für zielgerichtete Transferunterstützung. Ich halte auch die Kritik, es sei zu wenig für Unternehmer dabei, für nicht ganz fair, weil der Tarif auch die Einkommenssteuer umfasst und damit auch der Großteil der Unternehmer - weit mehr als 80 Prozent sind keine Kapitalgesellschaften - entlastet wird. Aber die großen Würfe sind ausgeblieben. Die Gegenfinanzierung ist sehr hoch.

STANDARD: Apropos: zu hoch?

Haber: Budgetär war halt nicht mehr drin. Aber auf Pump macht eine Steuerreform auch keinen Sinn. Das scheint man auch nicht zu wollen, und das ist gut so. Aber das heißt halt, dass die Steuer- und Abgabenquote nicht gesenkt wird, und das wäre das Ziel, das man mittelfristig erreichen muss. Aber das geht nur über Einsparungen auf der Ausgabenseite, und die sind kurzfristig nicht realisierbar.

STANDARD: Es sind einige Positionen drin, die sehr optimistisch klingen, um nicht zu sagen: unrealistisch. Etwa zwei Milliarden Euro aus Steuerbetrugsbekämpfung.

Haber: Steuerbetrugsbekämpfung ist sicher ein lohnendes, vernünftiges Ziel, weil das Schlimmste an einem Steuersystem ist, wenn es unfair ist. Und Steuerbetrug ist unfair. Ob man damit, vor allem schon 2016, tatsächlich zwei Milliarden bekommt, wage ich zu bezweifeln. Das scheint mir sehr unrealistisch zu sein - und hat natürlich auch einen gewissen konsumdämpfenden Effekt. Es trifft die Steuerpflichtigen letztlich schon, denn was verstehen wir unter Steuerbetrug? Natürlich auch so Dinge wie "Nachbarschaftshilfe", die Putzfrau und Ähnliches. Also zahlt man sich damit die Steuerreform schon auch selbst, nicht nur abstrakt irgendwelche großen Konzerne, die die Steuerlast in der Regel legal verschieben. Auch die Selbstfinanzierungseffekte sind sehr hoch angesetzt.

STANDARD: Nämlich mit 850 Millionen Euro. Ist das realistisch?

Haber: Die Frage ist, wie es gemeint ist. Ein Teil der Selbstfinanzierungseffekte entsteht ja auch dadurch, dass die Bundesländer Einnahmenausfälle haben über die gemeinschaftlichen Bundesabgaben. Rechnerisch richtig, aber eben ein Nullsummenspiel. Die anderen Selbstfinanzierungseffekte durch Konjunkturbelebung und tendenzielle Erhöhung der Konsumtätigkeit können durchaus einen leicht positiven Effekt haben, nur so hoch wird der nicht sein. Auch die Gesamtgrößenordnung ist deswegen zweifelhaft, denn wenn ich von den fünf Milliarden Volumen, zumindest wenn es nach dem Plan der Regierung geht, tatsächlich vier Milliarden gegenfinanziere, dann bleibt als Nettoentlastungseffekt nur eine Milliarde Euro übrig. Dann zu sagen, dieser Nettoentlastungseffekt ist quasi zu hundert Prozent über Konsumeffekte steuerwirksam, ist gewagt, weil in der Regel würde man ja erwarten, dass es vielleicht zehn oder 20 Prozent sind, vielleicht 30, die über Steuereinnahmen wieder zurückfließen. Würde der Konsum um fünf Milliarden Euro steigen, dann könnte man optimistisch eine Milliarde veranschlagen. Nur es sind ja nicht fünf Milliarden an Nettoentlastungseffekt, sondern es ist ja eigentlich nur eine Milliarde.

STANDARD: Unterm Strich ist also die Gegenfinanzierungsseite ein besonders wackliges Konstrukt?

Haber: Ja, die Gegenfinanzierungsseite halte ich für sehr optimistisch gesetzt, und ich glaube daher auch, dass trotz aller richtigen Versuche, nicht auf Pump eine Steuerreform zu machen, dennoch eine Budgetbelastung entstehen wird und dadurch auch die Stabilitätsziele gefährdet werden. (INTERVIEW: Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 14.3.2015)