Wien - Wer nicht in die eine oder andere Schachtel passt, hat ein Problem. Beim Imagetanz-Festival wurde und wird deutlich, wie sich das auswirkt. Das Wiener Performance-Duo Tiina Sööt und Dorothea Zeyringer interpretiert es als lonely, lonely, und Núria Güell aus Barcelona erkennt darin eine Organized Disintegration.

Also: Stellen Sie sich vor, in Ihrem Land ist Diktatur oder Krieg. Sie müssen weg. Denn es könnte sein, dass man sie eines Nachts holt, um Sie zu foltern, einzusperren oder zu töten. Davor flüchten Sie und kommen nach, sagen wir, Österreich. Dort sind Sie leider eine Spaßbremse. Man sagt Ihnen: "Du passt nicht in unsere Schachteln." Und Sie müssen jederzeit damit rechnen, geholt und weggeschickt zu werden.

Bei Núria Güell kann man Sie jetzt kennenlernen. Dort erzählen Sie, wie Sie versuchen, sich irgendwie durchzuschlagen. Sie arbeiten zum Beispiel bei Firmen, die Ihnen den Lohn für Ihre Arbeit nicht zahlen. Oder Sie werden entlassen, weil Sie so aussehen und nicht anders.

Verstecken spielen

In Güells Kunstprojekt kommen Sie in Kontakt mit Österreichern und -innen. Passanten. Neugierigen. Kulturmenschen. Und spielen mit ihnen Verstecken, um auf Ihre Situation aufmerksam zu machen: Nur nicht auffallen, im Hinter- und Untergrund bleiben, um zu überleben.

Hier stopft man Milliarden in marode Banken. Aber Sie sind keine Bank. Ihnen gegenüber ist man geizig und tut alles, um Ihr Leben schwer zu machen. Güell nennt das "organisierte Desintegration". Mit Asylwerbenden haben sich übrigens vor fünf Jahren auch Michikazu Matsune und David Subal in ihrer performativen Installation Daneben auseinandergesetzt. Ebenfalls im Brut-Theater, dem die Bundes-Kulturabteilung übrigens im Vorjahr fast 200.000 Förderungs-Euro gestrichen hat.

In Österreich gilt der Geiz gegenüber der Kunst und den Flüchtlingen von heute als ähnlich geil. Das macht die Begegnung mit den Menschen und ihren Zeugnissen bei Organized Disintegration im Stadtlabor doppelt berührend. Wo dieser Geiz auch herkommen könnte, machten Sööt und Zeyringer als Schachtelfrauen bei lonely, lonely, ihrer Darstellung des verbauten Soziallebens in einer neurotischen Überflussgesellschaft, deutlich. Ab in die Schachtel, hatte auch der Schachtelmann in dem gleichnamigen Roman von Kobo Abe (Japan, 1973) gedacht. Er war konsequent und wurde zum Flüchtling im eigenen Land. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 16.3.2015)