"Wenn dies bedeutet, dass man Nächte lang kreischend und lachend in "Helldivers" Alienplaneten mit drei Freunden 'befriedet', sich bei "OlliOlli2" die Finger an den Joysticks wund reibt, um den perfekten Lauf hinzulegen oder sich in die lebendige Märchenwelt von "Ori and the Blind Forest" verliebt, dann kann das nicht als etwas Schlechtes gesehen werden. Eine Branche, die im Top-Segment fast nur noch vom konzentrierten Franchising lebt, entdeckt wieder die Vorzüge der kreativen Vielfalt. Ist doch gut, solange alle Seiten davon profitieren."

Foto: Helldivers

Die letzten zwei Wochen sind exemplarisch dafür, wie sich die Videospielbranche in den vergangenen Jahren gewandelt hat: Einst noch als Indie-Games zumindest gedanklich in eine Nische gedrängt, sind es heute nicht die großen Blockbuster, sondern zunehmend kleine und günstigere Download-Games, die PC- und Konsolenspieler vor den Bildschirmen fesseln.

Das hat zwei Gründe: Einerseits werden so genannte Indies, also unabhängige Entwickler-(Studios) und Firmen, die nicht einem Publisher gehören, immer professioneller und nutzen mittlerweile alle Facetten der Kommerzialisierung, um ein Publikum zu finden. So breit die inhaltliche Vielfalt ist, so weit reichen auch die Arten der Finanzierung - von der Kickstarter-Kampagne über Kredite bis zu Projekt bezogenen Deals mit großen Herausgebern. Und diese Kleinprojekte werden angesichts der horrend steigenden Anforderungen an Hochglanzproduktionen im AAA-Segment gerade für diese große Herausgeber stetig attraktiver. Das führt schlussendlich auch dazu, dass unabhängige Entwickler bzw. deren Kreativkultur und finanzstarke Publisher einander immer öfter die Hände reichen.

Hochglanz-Indie

Wie weit die Indieszene bereits Wurzeln geschlagen hat in der Gamesbranche und wie kommerzialisiert sie ist, zeigen aktuelle Hits: Der irrwitzige Shooter "Hotline Miami 2: Wrong Number" etwa ist eine klassische Fortsetzung, wie sie jeden Publisher glücklich macht. Bekannte Marke, gleiches Gameplay und mehr von allem für die Bestsellergarantie. Herausgeber Devolver Digital schmückt sich mit Indie-Perlen wie dieser und hat erkannt, dass sich mit den kreativen Kleinen großes Geld machen lässt. Zum Portfolio gehört schon ein Dutzend namhafter und gewinnbringender Indie-Werke von "Broforce" über "Luftrausers" bis hin zu "OlliOlli".

Der gerade erschienene zweite Teil (!) von letzterem Skateboard-Instant-Classic, "OlliOlli2", wird tatsächlich zwar von Hersteller Roll7 eigenhändig vertrieben, wurde aber wohl nicht unlukrativ zeitlich exklusiv auf PlayStation-Plattformen ausgerollt.

Buhlen um die Kleinen

Sonys zielstrebige Indie-Verliebtheit hat dem Konzern nicht nur exzellente Games von "Journey" bis aktuell "Helldivers" und Hoffnungsträger vom Schlage "No Man's Sky" eingebracht, sondern hat auch längst die Konkurrenz angesteckt. So finanzierte Microsoft das viel gelobte "Ori and the Blind Forest", dessen Entwickler Moon Studios ganz bewusst die stützende Hand eines großen Publishers und nicht die Eigenfinanzierung via Crowdfunding oder Kleininvestoren suchte. Und unter dem Druck der vielfach erfolgreichen "PlayStation-Indies" (die mehrheitlich auch für PC erscheinen), weichte Microsoft zudem erst kürzlich seine einst strengen Publishing-Richtlinien für Spielhersteller auf, damit mehr Indies auch den Weg auf die Xbox One finden.

Activision, bekannt von Megaseller "Call of Duty", zog wiederum fast unbemerkt im Schatten der viel beachteten Konsolenhersteller-Initiativen, die in den kommenden Jahren hunderte Games auf die PS4, XBO und Wii U bringen sollen, unter anderem die Vertriebsrechte des neuen Grusel-Adventures "White Night" des französische Osome Studio an Land. Ubisoft wiederum probiert es mit Indie-Flair aus eigener Hand und stellt mal so über Nacht das experimentelle "Grow Home" in die virtuellen Regale. Es ist ganz einfach: Die Großen wollen ein Stück vom explodierenden Indie-Markt haben und strecken dafür ihre Fühler nach den vermeintlich lukrativsten Projekten und größten Talenten aus.

Keine Schande

Fortsetzungen, Publishing-Deals, Marketinggeld - wo bleibt da noch der Große Indie-Geist, könnte man fragen. Doch ganz ehrlich: Wer könnte es Entwicklern nach jahrelanger Arbeit missgönnen, mit ihren Schöpfungen kommerziell erfolgreich sein zu wollen. Die Umsetzung von Games kostet viel Zeit, Schweiß und ja, Geld, und von Luft allein kann niemand leben. Es ist nichts falsch daran, wenn Spiele wie "Hotline Miami 2" zu einem großen Teil aus kommerziellen Beweggründen in Arbeit gehen. Selbst wenn das bedeutet, dass die Grenze zwischen Indieideologie und Konzernkultur zunehmend aufweicht. Die Palette zwischen Garagenprojekt und Blockbuster-Produktion wird dadurch nicht verwässert, sondern nur um viele Farbtöne reicher.

Darauf reagiert haben unterdessen auch die "Werkzeughersteller" der Branche: Kostete Spielentwicklungssoftware wie die Unreal Engine oder die CryEngine vor wenigen Jahren noch hunderttausende Dollar, wird sie heute gegen Gewinnbeteiligung kostenfrei zur Verfügung gestellt. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die einst zahlungswilligen großen Studios mittlerweile hauptsächlich auf hauseigene Tools setzen und die vielen heranwachsenden Kleinhersteller versprechen, in der Masse die weggebrochenen Geschäfte aufzufangen.

Perfekte Symbiose

Für Spieler entwickelt sich diese Popularisierung einstiger Nischenkreationen zu waschechten Bestsellern bislang äußerst positiv. Denn egal, ob auf dem PC oder der Konsole wird der Nachschub an AAA-Titeln wie "Grand Theft Auto", "The Last of Us", "The Legend of Zelda" oder "Halo" aufgrund steigender Kosten und einhergehender Risikominimierung langsam aber sicher überschaubarer. Ein paar jährliche Fortsetzungen dominieren, anspruchsvollere Schöpfungen erscheinen vielfach verspätet. In diesem Segment, wo mit zwei und manchmal auch dreistelligen Millionenbeträgen jongliert wird, darf sich keiner einen Flop erlauben.

Diese aufklaffenden Löcher in den quartalsgerechten Release-Fenstern stopfen nun zunehmend die Kleinen der Branche. Und wenn dies bedeutet, dass man Nächte lang kreischend und lachend in "Helldivers" Alienplaneten mit drei Freunden "befriedet", sich bei "OlliOlli2" die Finger an den Joysticks wund reibt, um den perfekten Lauf hinzulegen oder sich in die lebendige Märchenwelt von "Ori and the Blind Forest" verliebt, dann kann das nicht als etwas Schlechtes gesehen werden. Eine Branche, die im Top-Segment fast nur noch vom konzentrierten Franchising lebt, entdeckt wieder die Vorzüge der kreativen Vielfalt. Ist doch gut, solange alle Seiten davon profitieren. Es lebe der Indie-Game-Kommerz! (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 18.3.2015)

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