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Frauen haben es bei den Strengreligiösen nicht leicht. Ruth Colian (rechts) hat nun eine Partei gegründet, die deren Rechte stärken will.

Foto: REUTERS/Ronen Zvulun

"Wir sind die Underdogs der Underdogs: Man kümmert sich nicht um unsere Gesundheit, nicht um unseren Lebensunterhalt, nicht um unsere Ausbildung. Wir müssen uns jetzt selbst um uns kümmern!" Ruth Colian hat es einfach satt und wagt etwas, das in ihrem Umfeld unerhört und skandalös ist: Sie führt eine Partei strengreligiöser Frauen in die Israel-Wahl. Mit ihren verschiedenen Parteien mischen die strengreligiösen Charedim (Gottesfürchtige) von jeher eifrig in der Politik mit, aber Frauen wird man unter ihren Abgeordneten und Funktionären vergeblich suchen. Frauen im modernen, öffentlichen Leben – das wäre "unzüchtig". Die politische Willensäußerung der charedischen Frauen hat sich bisher darauf beschränkt, so zu stimmen, wie es der Rabbiner anordnet.

Alle Versuche, Kandidatinnen aufzustellen, sind von den etablierten charedischen Parteien ignoriert worden. Deshalb hat Ruth Colian die Partei Uves'chutan gegründet – der Name ist einem Talmudzitat entnommen und bedeutet frei übersetzt "durch diese Frauen". "Im Parlament gibt es eine Vertretung für Frauen, Männer, Araber, Nichtreligiöse, Religiöse. Nur die strengreligiösen Frauen sind nicht vertreten", sagt die 33-jährige Mutter von vier Kindern. Sie will nicht die Welt der Strengreligiösen reformieren oder aus ihr ausbrechen, aber "wir fordern unsere Selbstdefinition als Frauen; denn ein Mann als Abgeordneter ist nicht wie eine Frau. Männer haben andere Prioritäten."

Strenge Rollenverteilung

Jene, die politisch weggesperrt werden, tragen aber die Hauptlast der charedischen Gesellschaft. Die strengreligiösen Männer widmen sich dem Studium der heiligen Schriften, während ihre Frauen im Durchschnitt sieben Kinder bekommen, den Haushalt führen und das Geld verdienen.

"Die Revolution fängt an, und es ist überraschend, dass das nicht früher passiert ist", meint die Religions- und Genderforscherin Rivka Neriya-Ben Shahar. Sie entstammt selbst einer charedischen Familie und befolgt gewissenhaft die Religionsgesetze, unterrichtet aber an einer säkularen Hochschule und bezeichnet sich als Feministin. Der Zustand sei langfristig nicht haltbar, weil die Frauen "dreimal so viel wie ihre Männer verdienen und ihr Bildungsgrad steigt - also der Abstand wird größer", so Neriya-Ben Shahar. "Diese Frauen sehen von außen unterwürfig aus, aber bei einem großen Teil brodelt es innerlich. Wenn eine Frau alle eineinhalb Jahre ein Kind kriegt, kein Geld fürs Essen hat, in eineinhalb Jobs arbeiten muss, dann versteht sie, dass hier etwas nicht fair ist. Viele beginnen zu verstehen, dass es nicht die israelische Gesellschaft ist, die sie schädigt: Es sind ihre eigenen Führer."

"Verrückte" Mütter

Der Reaktionsdruck auf den "weiblichen Frühling" ist unangenehm: "Es gibt viele Drohungen", sagt Colian, "in der Synagoge schauen sie uns schief an". Die schlimmste Sanktion sei, dass die Kinder wegen ihrer "verrückten" Mütter der Schule verwiesen werden. Heiratsfähige Töchter und Söhne (bei den Charedim geht man schon in sehr jungen Jahren arrangierte Ehen ein) werden es schwer haben, einen Partner zu finden.

Den Sprung ins Parlament wird die neue Frauenpartei beim ersten Anlauf noch nicht schaffen, aber sie könnte die alten charedischen Parteien schwächen und dadurch aufrütteln. Und ihren Enthusiasmus lässt sich Colian durch die Umfragen nicht nehmen: "Wenn wir nicht mit euch im Parlament sein dürfen, werden wir statt euch dort sein", lautet ihre Botschaft an die Männer. (Ben Segenreich aus Tel Aviv, DER STANDARD, 17.3.2015)