Wenn Fouad Badengki über sein Leben spricht, verwendet er regelmäßig die Wortkombination "fucked up". So waren die letzten Jahre des heute 26-Jährigen in Syrien genauso "fucked up" wie seine Ankunft in der Türkei und sein jetziges Leben als syrischer Flüchtling in Istanbul. Wie oft er an Selbsttötung gedacht hat, weiß Badengki nicht mehr. Was er aber weiß, ist, wie er dem Familienleben in Aleppo entkommen, erwachsen und unabhängig werden wollte und deshalb einen "dummen Fehler" beging, der sein Leben veränderte.

Ein Jahr vor Beginn der syrischen Revolution im Jahr 2010 meldete sich Badengki bei der syrischen Armee. Körperliche Torturen, Schlafentzug und Misshandlung durch Vorgesetzte standen an der Tagesordnung. "Sie zwangen uns, nackt zu sein, oder tauchten uns in Wasser", erinnert sich der Syrer. Als die Menschen begannen, gegen das Regime Assads im März 2011 auf die Straße zu gehen, musste er Regierungskritiker verhaften. Geschossen hat er aber nie. Im Jahr 2012 verließ Badengki schließlich das Militär und schloss sich einer Gruppe an, die an Bedürftige Mahlzeiten in einer Schule ausgab und Hilfe anbot.

Fouad Badengki lebt seit Jänner 2013 in Istanbul. Er lebt für seine Familie und Freunde.
Foto: ZVG/ Naumov-Eryurek Dmitry

Flucht im Jahr 2013

"Ich war nie ein Revolutionär. Trotzdem stand ich irgendwann auf einer Liste der Polizei", erzählt er. Die Beamten standen regelmäßig vor der Tür, überprüften seine Personalien. Als schließlich sogar der Heimweg wegen explodierender Bomben zu gefährlich wurde, beschloss Badengki im Jänner 2013, Syrien zu verlassen. Mit dem Taxi in die Grenzstadt Hatai, mit dem Bus weiter nach Istanbul. Die Einreise war für den gelernten Grafikdesigner kein Problem. Er hatte seinen Reisepass bei sich.

Eigentlich ist die Situation der syrischen Flüchtlinge in der Türkei seit einem Parlamentsbeschluss vom Oktober 2014 in der "Direktive zum temporären Schutz" geregelt. Darin festgehalten ist, dass Syrer in der Türkei bleiben dürfen, freien Zugang zum Gesundheits- und staatlichen Schulsystem haben und um Arbeitserlaubnis ansuchen dürfen. Umgesetzt wurde der Beschluss allerdings noch nicht.

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Vor allem für syrische Flüchtlinge außerhalb der offiziellen Lager ist die Lage in der Türkei prekär.
Foto: AP Photo/Vadim Ghirda

Schüsse an der Grenze

Für viele der 1,6 Millionen Syrer, die bislang in die Türkei geflohen waren, war bereits die Grenzüberschreitung nicht einfach. Laut einem Bericht von Amnesty International ließen die türkischen Grenzbeamten Flüchtlinge ohne Dokumente nicht einreisen, in Extremfällen schossen sie sogar auf die unbewaffneten Menschen. "Wir haben einige solcher Vorfälle dokumentiert", sagt Andrew Gardner, Türkei-Experte von Amnesty: "In keinem einzigen Fall hatte das Konsequenzen für die Grenzbeamten." Besorgniserregend ist für Gardner auch die Lage der Flüchtlinge, die nicht in einem der 22 Lager im Grenzgebiet leben: "Die etwa 220.000 Syrer, die in den Camps leben, erhalten die grundlegenden Dinge, die sie zum Leben brauchen. Die anderen Flüchtlinge erhalten nicht so viel Unterstützung." In Istanbul sind das laut Schätzungen etwa 300.000 Menschen.

Badengki ist einer von ihnen, und er spürte am eigenen Leib, was es bedeutet, nicht als "Flüchtling", sondern laut offizieller Regierungsdiktion als "Gast" angesehen zu werden. Bereits die Registrierung bei den türkischen Behörden wurde ihm schwergemacht. Obwohl er als Syrer mit Pass Anspruch auf einen Aufenthaltstitel für ein Jahr hatte, wurde er auf dem Amt immer wieder vertröstet. Das Dokument sei noch nicht fertig, hieß es, er solle doch in einer Woche, schließlich in zwei Wochen oder doch erst in drei Wochen zurückkommen.

"Ich sitze in einem riesigen Gefängnis"

All diese Dinge erzählt Badengki mit einem Lachen, so als könnte er dadurch den Problemen ihren Schrecken nehmen. Das Lächeln verschwindet aber und seine Stimme wird leise, als er von dem Tag erzählt, an dem er von der Krebsdiagnose seines Vaters erfuhr. Genau wegen dieses Schocks ging der Syrer erst nach zwei weiteren Wochen wieder zur Behörde. Dort sagte man ihm, dass sein Dokument vernichtet worden sei. Er habe es nicht abgeholt. Ein weiteres Mal könne er nicht darum ansuchen. Stattdessen stellte man ihm eine Flüchtlingskarte aus, mit der er das Land zumindest ohne Strafe verlassen könnte. "Das ist zynisch. Wo soll ich denn hin? Griechenland lässt mich nicht einreisen, und in Bulgarien ist die Situation genauso wie in der Türkei", sagt Badengki. "Ich sitze in einem riesigen Gefängnis."

Offiziell hat er keine Arbeitserlaubnis. Mit verschiedenen Jobs versuchte Badengki sich seit seiner Ankunft in Istanbul über Wasser zu halten. Dabei wurde er von seinen Arbeitgebern immer wieder ausgebeutet, bekam seinen Lohn nicht ausgezahlt oder musste ohne freien Tag wochenlang durcharbeiten. So auch bei seinem aktuellen Job, bei dem er Reisen für Schönheitsoperations-Patienten nach Istanbul organisiert. Seit Februar arbeitet er durch. Zwar verdient er mit umgerechnet 700 Euro mehr als den Mindestlohn von etwa 400 Euro, doch ist es noch immer nicht genug, um seiner Familie in Syrien unter die Arme zu greifen. Schon allein weil die Miete für sein kleines Zimmer etwa 200 Euro ausmacht, manchmal muss er sein Zimmer untervermieten, um über die Runden zu kommen. "Mein älterer Bruder hat zwar seinen Job noch, doch wer weiß, wie lange das so bleibt", erzählt Badengki von seinen Sorgen. Sein jüngerer Bruder musste seine Schulausbildung wegen des Kriegs abbrechen, und sein Vater kann wegen seiner Krebserkrankung nicht arbeiten. Zudem neigen sich die Ersparnisse dem Ende zu – die Familie musste vor der Gewalt bereits dreimal innerhalb des Landes fliehen.

"Meine Freunde haben mir das Leben gerettet"

Gardner kennt die Probleme der syrischen Flüchtlinge: "Es braucht ein Gesetz in der Türkei, das den Zugang zum Arbeitsmarkt für die Syrer regelt, denn im Moment sind sie Opfer von Ausbeutung." Viele von ihnen verdienen weit weniger als den zuvor genannten Mindestlohn. Zudem trauen die Flüchtlinge den Behörden nicht und wissen oft gar nicht, dass sie sich im Falle von einbehaltenem Lohn beschweren können. Für den Amnesty-Experten würde sich das Problem aber nicht allein durch den Zugang zum Arbeitsmarkt lösen lassen. "Viele Flüchtlinge sind traumatisiert oder chronisch krank und können nicht arbeiten", sagt Gardner. Vielmehr müssten die Staatengemeinschaft und auch die Türkei den Syrern eine Basisversorgung wie Wohnraum, Nahrung und Bildung anbieten.

Auch Badengki traut den Behörden nicht mehr: "Ich rechne jeden Moment damit, dass uns die Türkei wieder rausschmeißt." Was sein Ziel für die kommenden Wochen, Monate, Jahre ist, weiß der junge Syrer: "Überleben. So wie alle anderen Flüchtlinge in der Türkei." Was ihn weitermachen lässt: "Meine Familie und meine Freunde. Die haben mir das Leben gerettet." (Bianca Blei, derStandard.at, 18.3.2015)