Abberufung des Burgtheaterdirektors, Künstlersozialversicherung, zuletzt Restituierungsdebatte zu Klimts Beethovenfries, dazwischen immer wieder mal ein "Shitstorm" in der Kontroverse um die Festplattenabgabe - Josef Ostermayer konnte eine so bunte wie lange Liste von Themen vorweisen, als er unlängst im Kreisky-Forum sein erstes Jahr als oberster Kulturpolitiker des Landes bilanzierte.

Erstaunlich war indessen ein anderer Punkt: Ostermayer sprach unaufgefordert auch sein heikelstes Problem an - und aus dem Publikum von immerhin einer guten Hundertschaft aus Kunstschaffenden und Kulturfunktionären kam dazu keine einzige Nachfrage.

Seit mehr als einem Jahrzehnt werden die Kunst- und Kulturbudgets weitgehend fortgeschrieben, und zwar von den Zuweisungen zu den großen Kulturtankern des Bundes (also Bundestheater, Bundesmuseen etc.) ebenso wie an sehr viele der nachgereihten kleineren Einrichtungen, Vereine, Kulturbetriebe oder auch Einzelpersonen, die gefördert werden.

Dies hat zwei zentrale Folgen: Einerseits treiben die Großeinrichtungen langsam, aber unaufhaltsam ins Defizit, wenn es keine Inflationsabgeltung gibt, doch die Gehälter im öffentlichen Dienst steigen. Selbstdarsteller wie Matthias Hartmann oder Peter Noever trachten die schleichende Katastrophe über das eigene Ego zu verdecken, was in Skandalen eruptiert. Stillere Charaktere unter den Direktoren versuchen, unter dem Dilemma stillzuhalten.

Das aber trifft, zweitens, alle Jungen und Neuen. Denn wenn die bestehenden Budgets unter den alten Förderempfängern linear fortgeschrieben werden, bleibt kaum Spielraum für Innovation.

Ein Check der Kunstberichte des Bundes über die vergangenen zehn Jahre bis in die Zeit Franz Moraks als Kunststaatssekretär unter Kanzler Schüssel zeigt ein verblüffendes Ergebnis: Die Veränderungen sind marginal. Ein wenig mehr wurde in die Filmförderung investiert. Und im Literaturbudget kamen unter Claudia Schmidt Buchmesse und Lesefestival Buch Wien als größere Posten hinzu - allerdings über einen altgedienten Förderempfänger, den Hauptverband des Buchhandels. Aber insgesamt wurde fortgeschrieben, bis in ungezählte Details hinein, bei den mittelgroßen und selbst den Kleinempfängern der öffentlichen Unterstützungen.

Damit will ich nichts über die Ambitionen der geförderten Projekte aussagen. Aber seit 2004 hat sich im kulturellen Leben und beim Zielpublikum sehr, sehr viel verändert. In wenigen, zugespitzten Stichworten: die Ausweitung der Bedeutung des Internets (immer mehr Inhalte, Musik, Videos, nun auch Bücher, werden digital vertrieben), Social Media (die Kulturkonsumenten reden selbst mit), digi- tale Piraterie, Debatten um Privacy, neue Gestaltungsformen, ganz andere internationale Querverbindungen, gegenläufige "Local"-Bewegungen und natürlich iPod, iPhone, Tablets, Apple, Amazon als Schnittstellen zu einer sich gravierend wandelnden Welt - und da geht es nicht allein um Kommerz.

Schließlich die Demografie: In Österreich (nicht nur in Wien) ist eine vielfältige, auch kontroverse und zersplitterte Migrantenkultur entstanden, die in der Kulturpolitik nicht vorkommt. Sollen 19 Prozent der österreichischen Wohnbevölkerung nur über Religion, Volkskultur und Sport angesprochen und integriert werden?

Es ist Ostermayer zugutezuhalten, dass er um vieles pointierter, und auch mit Blick auf grundlegende Strukturen, seinen Auftrag als Kulturpolitiker definiert. Die Kluft zwischen denen, deren öffentliche Budgets nur noch fortgeschrieben werden, und den anderen, die außen vor bleiben, ist ihm deutlicher bewusst als seinen unmittelbaren Vorgängerinnen.

Unsinnig wäre es, die nationalen Kulturdenkmäler gegen die Jungen und die Ausgeschlossenen in Stellung zu bringen. Aber man könnte sich positive Ziele vorstellen. Zum Beispiel die Aufrechterhaltung der Vergünstigungen bei der Umsatzsteuer auf Theaterkarten und Bücher, wenn der entsprechende Betrag gezielt für kulturell Neues und junge Projekte zweckgebunden wird. Oder eine Abgeltung aus digitalen Erlösen, die gezielt für Inhalte und Vermittlung eben in kulturellen und künstlerischen Projekten in digitalen Netzen verwendet wird.

Wichtigstes Ziel von Kulturpolitik ist, eine glaubwürdige Klammer zu offerieren zwischen denen, die Kunst und Kultur gestalten, und jenen, an die sich deren Arbeiten wenden. Bei allem Respekt vor Engpässen nationaler Schwergewichte, hier braucht es dringend eine breite Erneuerung. (Rüdiger Wischenbart, DER STANDARD, 19.3.2015)