Wie immer, wenn die Lage unübersichtlich ist, gibt es heutzutage eine sehr große Sehnsucht nach Orientierung, Einfachheit und schnellen Lösungen für komplexe Probleme. Das gilt für alle möglichen Lebensbereiche - auch für Wirtschaftspolitik, Steuerreformen und Nach-haltigkeit.

Dass es diese Sehnsucht nach simplen Orientierungen von "rechts" bis "links" gibt, konnte man an den Kommentaren zur Wachstumsfrage an dieser Stelle ablesen (der STANDARD vom 14./15. März). Auf der einen Seite die Wachstumseuphoriker von Agenda Austria, auf der anderen Seite die Vertreter einer radikalen Abkehr vom Wachstumsparadigma. Bei der Lektüre der Beiträge kann man den Eindruck haben, dass diese Debatte zwischen Wachstumsmanie und Wachstumsphobie schwankt.

Agenda Austria findet Wachstum einfach super. Von einer selbsternannten "Denkfabrik" sollte man - nun - mehr Denken erwarten. Und Gedanken, die empirische Entwicklungen zumindest zur Kenntnis nehmen. Frei nach dem Motto "Ich lasse mir meine Story von den Fakten nicht kaputtmachen" wird hier altbekannte Lobhudelei auf das Wachstum angestimmt. Hanno Lorenz' und Cornelia Mayrbäurls Ausführungen sind vom Glauben beseelt, die Dienstleistungsgesellschaft bringe qualitatives Wachstum und Quantität werde immer unwichtiger.

Klingt gut, hat aber einen großen Nachteil: Es ist schlicht falsch. Natürlich ist der Dienstleistungsanteil am Bruttoinlandsprodukt heute höher als in der Vergangenheit. Dummerweise hat das nicht dazu geführt, dass der Umweltverbrauch gesunken ist. Denn: Wir konsumieren Dienstleistungen nicht anstatt, sondern zusätzlich zu anderen Produkten. Eine tatsächliche Reduktion unseres Ressourcenverbrauchs, also eine "absolute Entkopplung" ist aber unerlässlich, wenn eine nachhaltige Entwicklung angestrebt wird. Das wahrlich nicht sehr originelle Gerede vom qualitativen Wachstum hilft uns nicht weiter.

Dass die Position der Agenda Austria an dieser Stelle von keinerlei Sachkenntnis getrübt scheint, ist umso bedauerlicher, als ihr Beitrag auch einen wichtigen Punkt berührt, der im Diskurs über nachhaltiges Wirtschaften regelmäßig unterbelichtet bleibt: die Freiheit. Bei den Ideen für eine schrumpfende Wirtschaft, die Giorgos Kallis einbringt, kommen wohl nicht nur gläubige Neoliberale ins Grübeln. Dass die unterschiedlichen Vorschläge für eine Postwachstumsgesellschaft laut Kallis "in ihrer Gesamtheit umgesetzt werden [müssen]", macht die Sache nicht verdaulicher.

Auch das ist bedauerlich, denn auch Herr Kallis hat einen guten Punkt, der in den Büros von Agenda Austria sicher Angst und Schrecken verbreitet, der aber trotzdem dringend auf die gesellschaftspolitische Agenda (nicht nur in Austria) gehört: die Befreiung unserer Vorstellungskraft von dem fantasiebeschränkenden Glauben, eine gedeihliche gesellschaftliche Entwicklung sei nur in einer wachsenden Wirt- schaft möglich. Bewegungen wie "Degrowth" und "Postwachstum" leisten wichtige Beiträge, diese Diskussion voranzubringen. Man muss Kallis' ganzes "Programm" nicht teilen, um zu sehen: Wenn wir nachhaltig wirtschaften wollen, müssen grundlegen- de Selbstverständlichkeiten des (wirtschafts-)politischen Diskurses hinterfragt werden.

Dumm nur, wenn sich hier sozusagen Ökonomie- und Ökologie-Populismus gegenüberstehen. Ein nicht selten gehörter Slogan wie "Eure Krise ist nicht unser Degrowth" ist bei weitem zu simpel. Eine Position, die sich gutes Wirtschaften ohne Wachstum nicht vorstellen kann, allerdings auch. Wie groß die Not ist, zeigt ein Blick auf die aktuelle Steuerreform. Dass dabei keine ökologischen Akzente gesetzt werden, ist schlicht skandalös (STANDARD vom 16. März). Wer den Bundeskanzler hierzu gehört hat, kennt die Ursache für den Schlamassel: der Glaube, dass es ohne Wachstum nicht geht und Umweltprobleme warten müssen.

Es ist gut, wenn das Wachstumsthema endlich nicht nur in der Ökoszene, sondern auch in konservativen "Denkfabriken" diskutiert wird. Noch besser wäre es, wenn auch die Politik diesen Diskurs auf sich wirken ließe. (Fred Luks, DER STANDARD, 19.3.2015)