"Wer ist derjenige, der die Frechheit besitzt, ein Papier zu schicken, in dem es heißt, tausende Menschen in Griechenland müssen frieren", rief Alexis Tsipras am Mittwoch im Parlament in Athen den Abgeordneten zu. Großer Applaus war dem griechischen Ministerpräsidenten sicher. Denn er "outete" dabei gleich selbst, wer sich diese seiner Meinung nach unzulässige "Anmaßung" erlaubt habe: Declan Costello, ein Vertreter der EU-Kommission.

Dieser hatte – gemeinsam mit seinen Expertenkollegen vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB), der alten "Troika" also – im Auftrag der Finanzminister der Eurogruppe seit Tagen die griechische Budget- und Reformlage und die Kosten von neuen Sozialgesetzen der Regierung geprüft. In diesem Zusammenhang wies er in einem Brief darauf hin, dass neue Ausgaben nicht im Einklang mit den Vereinbarungen der Eurogruppe am 20. Februar stünden.

Costello bat daher um Aufschiebung der Gesetze, die Gratisstrom für Bedürftige ebenso vorsehen wie die Ausgabe von Essensmarken. Zudem sollen Leute, die dem Staat Steuer- und Abgabenzahlungen schuldig sind, Zahlungsaufschub von bis zu zehn Jahren erhalten. Kosten: 200 Millionen Euro.

Athen will Zwischenkredit

Solche Maßnahmen waren von Finanzminister Yiannis Varoufakis vor drei Wochen in der Eurogruppe angekündigt worden. Da es aber bis jetzt aus Sicht der Eurominister keine belastbaren Zahlen zur Haushaltslage in Athen gibt, von einer bald bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit die Rede ist, läuft der Streit darüber, welche Maßnahmen getroffen werden dürfen oder nicht, bevor das zweite Hilfsprogramm abgeschlossen ist. Daran hängt die Auszahlung von offenen Krediten im Volumen von 7,2 Milliarden Euro.

Mit seinen direkten Angriffen auf den "kleinen" EU-Beamten Costello, dessen Brief von der Regierung zuvor geleakt wurde, griff Tsipras einen "alten" Streit auf, den er bereits bei seiner Amtsübernahme begonnen hatte. Er will verhindern, dass die Geldgeber ihm beim Regieren Vorschriften machen, in die Kompetenz seiner Regierung via "Troika" eingreifen, die nach seinem Wunsch "die Institutionen" genannt werden. Nicht zufällig wiederholte er auch sein Diktum, dass "gewählte Politiker" sich von "Technokraten" gar nichts sagen ließen.

Der Angriff auf die Kommission war insofern bemerkenswert, als der Premier beim am Donnerstag beginnenden EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs mit neuen Finanzwünschen vorstellig werden will. Es soll ein Spitzengespräch mit Ratschef Donald Tusk, Kommissionschef Jean-Claude Juncker, EZB-Chef Mario Draghi, Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande geben. Dabei will Tsipras auf eine Zwischenfinanzierung drängen.

Die Zeit wird knapp

In Regierungskreisen in Berlin hieß es, Merkel sei zu einem Gespräch gerne bereit, aber das Problem Griechenland sei zuerst auf Ebene der Finanzminister zu lösen. Zugleich sprach Wolfgang Schäuble von einem "Trauerspiel" bei der Zusammenarbeit der Regierung in Athen mit Kommission, EZB und IWF. "Die Zeit für Griechenland wird knapp", sagte der deutsche Finanzminister, es werde immer schwieriger, eine Lösung zu finden. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) wies darauf hin, dass Athen nicht ein Problem mit Deutschland, sondern mit allen Europartnern habe.

(Thomas Mayer aus Brüssel, DER STANDARD, 19.3.2015)