Wenn man mit dem Auto kommt, sollte man den Platz des SC Wiener Viktoria von der richtigen Seite anfahren. Denn durch die Mitte der Oswaldgasse in Meidling fährt unüberwindbar die Eisenbahn. Wer das nicht bedenkt, muss vor den Gleisen parken und durch einen langen Tunnel gehen, um auf der anderen Seite beim Fußballplatz anzukommen.
Ehrlicher Fußball
Toni Polsters Auto parkt direkt vor dem Spielfeld. Als er im Jahr 2011 hier ankam, schien er aber vergessen zu haben, wo er gestartet war. Polster war durch den verwinkelten Tunnel der Austria unter Frank Stronach gegangen und durch Fernsehstudios sonder Zahl. Dabei wollte er einfach beim Fußball bleiben, damals, nach dem Ende seiner glanzvollen Karriere, die im Jahr 2000 bei Austria Salzburg ausklang.
Doch wie geht es Ihnen heute, Toni Polster? "Mir geht es fantastisch." Hier, bei der Wiener Viktoria, in der Wiener Stadtliga? "Auch wenn wir einen Kunstrasen haben, riecht es hier nach ehrlichem Fußball – nach Schnitzelsemmeln und Fleischlaberln." Aber wieso ausgerechnet hier, so weit unten? "Der Obmann hat mich damals gefragt, wie ich ihn beraten könnte, was er besser machen kann, um mehr sportlichen Erfolg zu haben. Ich hab ihm gesagt: ‚Ich kann dir ein paar Monate Geld wegnehmen, aber die Liga kennst du viel besser als ich.‘" Der Obmann blieb hartnäckig, Toni Polster schrieb ihm ein Konzept, und weil es niemand besser umsetzen konnte als Toni Polster, wurde Toni Polster Trainer bei der Viktoria. Geld nimmt er dem Obmann aber noch immer keines weg: "Ich bekomme kein Gehalt. Nur eine kleine Prämie, wenn wir Meister werden." Da macht es auch nichts, dass die Viktoria weiter weg ist vom Meistertitel als Polster vom Horr-Stadion: "Ich habe früher gutes Geld verdient. Alles andere wäre gelogen."
Einseitige Liebe
Bei Antworten wie dieser lässt sich Toni Polster lange Zeit. Er hält inne, wägt seine Worte ab, spricht behutsam und ist darum bemüht, keine vorschnellen Aussagen zu treffen. Es ist ein angenehmes Gespräch – untermalt vom Geschrei der Nachwuchskicker am Nebentisch, dem lauten Radio über der Budel, dem verrauchten Ambiente einer Unterligakantine. Wir werden ihn trotzdem nach seinem Verhältnis zur Wiener Austria fragen, die ihn 2005 nach einem halben Jahr vom Posten des General Managers fristlos entließ, nach der Beziehung zum Verein seines Lebens, zu dem er nach langen Jahren der Wanderschaft zurückkehrte. Toni Polster atmet tief ein und sagt: "Ich habe mit der Austria einen guten Kontakt." Und weiter: "Die Austria ruft mich eigentlich nur an, wenn sie etwas brauchen. Sonst nicht." Ist die Liebe erloschen? "Ich werde den Verein immer lieben." Aber vielleicht ist die Liebe einseitig? "Ja, vielleicht ist sie einseitig."
Zwei Seiten standen sich beim Amtsantritt von Toni Polster bei der Austria im Winter 2004 gegenüber, die sich niemals einig werden sollten. Toni Polster und sein Berater Skender Fani ("mein zweiter Vater"), der seit dessen pompöser Rückkehr nach Österreich gute Kontakte zu Austria-Mäzen Frank Stronach pflegte. Fani habe, so Polster, mit Stronach gebrochen, nachdem auch Polster mit dem Unternehmer brach: "Mit diesem Menschen kannst du einfach nicht zusammenarbeiten. Er ist derartig ahnungslos, das ist unglaublich. Ich wollte ihm viele Sachen erklären und habe geglaubt, dass ich es vielleicht schaffe. Aber bei Stronach ist Hopfen und Malz verloren. Es ist schlimm, wenn dir jemand erklären will, wie Fußball funktioniert, aber nicht einmal die Regeln kennt."
Hätte, hätte, Fahrradkette
Wir sehen ihn kurz aufblitzen im Schein der Kantinenbeleuchtung, den Groll über die vertane Chance, den gekränkten Stolz, die Zerrissenheit angesichts vergangener Entscheidungen. "Ich hätte in Gladbach bleiben sollen, das wäre gescheiter gewesen." Was hilft es, über verschüttete Milch zu klagen? "Man kann immer zurückschauen und etwas bereuen. Trotzdem bin ich glücklich, zu Hause zu sein, weil ich meine Eltern um mich habe, die auch nicht jünger werden. Ich habe eine Entscheidung fällen müssen, und ich habe sie gefällt."
Es ist ein weiter Weg von Mönchengladbach nach Meidling. Als Toni Polster mit dem Toreschießen aufhörte, wechselte er ins Marketing des deutschen Vereins, drei Jahre lang, von 2001 bis 2004. Diese Jahre, so steht es in seinen Biografien, und so sagt er es an diesem Abend selber, hätten ihn dazu befähigt, einen Klub zu führen. Wo wäre er jetzt, wenn er in Gladbach geblieben wäre? Hätte, hätte, Fahrradkette, würde der ehemalige Reporterliebling der deutschen Bundesliga sagen. Wenn meine Großmutter Radln hätte, wäre sie ein Autobus, sagt man in Meidling.
Als Trainer verkannt
Nein, nach Deutschland zurückkehren nach der Austria, das wollte er nicht, obwohl, so Polster, hier in Österreich alles gegen ihn spricht. "Hier habe ich nicht diese Wertschätzung, wie ich sie in Köln, in Gladbach, in Sevilla oder Madrid hatte", sagt er. Oder: "Wenn ich mir unseren Fußball anschaue, denke ich mir, dass man mich viel besser brauchen, viel besser nützen könnte." Etwas später lautet der Satz dann so: "Mich wundert’s, dass niemand auf die Idee kommt, Toni Polster zu verpflichten. Meine Bilanz als Trainer ist außerordentlich – auf meinem Niveau, anders hab ich es ja nicht beweisen können."
Bei der Admira dürfte man das anders sehen. Eineinhalb Jahre ist es her, dass die Wiener Vorstädter Polster als Trainer engagierten. Nach drei Niederlagen in ebenso vielen Spielen war der Bundesliga-Auftritt Polsters auch schon wieder vorbei. "Es ist gescheiter, dass ich nicht mehr dort bin", sagt Polster – denn mit Admira-Geldgeber Karl Cermak sei kein Fußball zu machen gewesen. "Er hat mir die ganze Zeit erklärt, wen ich aufstellen und mit welchem System ich spielen muss." Vieles erinnert an Polsters Verhältnis zu Stronach – auch die Wortwahl. "Es ist mühsam, wenn dir jemand etwas erklären will, der aus einem Meter kein Hochhaus trifft und der Fußball nicht studiert hat, wie ich es gemacht habe", sagt der ehemalige Goalgetter. "Das ist so, wie wenn ich Stronach erkläre, wie die Autoindustrie funktioniert – und das würde ich mir nie anmaßen." Auffassungsunterschiede mit Co-Trainer Oliver Lederer und dessen mangelnde Loyalität hätten die Arbeit zusätzlich erschwert, meint Polster. Vorwürfe, er habe die für einen Bundesliga-Trainer notwendige Professionalität vermissen lassen, wischt er vom Tisch. "Ich habe nie bei einem Training gefehlt. Es ist lächerlich, das zu behaupten. Jeder weiß, was drinnen ist, wen man Toni Polster verpflichtet." Nachsatz: "Wenn ich Austria-Trainer bin, kommen 3.000 Leute mehr zu den Matches."
Tanzen, entern und dinieren
Die Popularität Polsters hatten auch diverse Fernsehsender zu nutzen versucht. "Dancing Stars" hieß die Station nach der Austria, es folgten "Entern oder Kentern", "Extreme Activity" und das "Perfekte Promi-Dinner". Die Allgegenwärtigkeit fiel auf, die darauffolgende Abwesenheit am Bildschirm ebenso. "Seit sechs Jahren habe ich mich sehr rar gemacht. Weil ich das Ziel verfolge, als Trainer gesehen zu werden." Haben Sie sich medial verausgabt? "Vielleicht ja. Aber ich habe nach der Trennung von der Austria viel Zeit gehabt."
In der Vitrine der Viktoria-Kantine stehen drei CDs. Sie lauten auf die Titel "Toni Walk On 9", "12 Meistertitel" – die dritte heißt schlicht "Die Dritte". "Unheimlich stolz" ist Toni Polster auf sein musikalisches Schaffen, er erwähnt "Gold, Doppel-Gold und Platin". Und doch haben wir von seiner Musik viel weniger mitbekommen, als wir zeigen wollen. Das mag daran liegen, dass gewisse heimische Radiosender einen großen Bogen um den Sänger Toni Polster machen, wie er zu Protokoll gibt. Aber die hören wir ohnehin nicht.
Groß und unverstanden
Polster hat sich aber nicht nur musikalisch verwirklicht. Neben der Eingangstür der Viktoria-Kantine steht eine Schaufensterpuppe, die eines der von ihm designten Shirts trägt. Bestellen könnte man diese unter toni-shirts.at, doch der Hersteller hat gerade einen Konkursantrag gestellt, weshalb zurzeit nur die Restposten erhältlich sind. Man mag über die Farbgebung streiten, aber mit dem Verkauf der Leiberl habe er, so Polster, über 100 Trainern im Nachwuchs die erforderliche Prüfung finanziert.
Es ist noch immer ein angenehmes Gespräch. Und doch blitzt auch an diesem Punkt wieder diese Unzufriedenheit durch, in Österreich nicht verstanden zu werden – beim Musikmachen wie beim Fußballertrainieren. Eine Unzufriedenheit, die ihn verbindet mit dem anderen großen Unverstandenen, dem Krankl Hans von Rapid, mit dem er nur einige Minuten gemeinsam im Nationalteam gespielt hat und mit dem er nun jeden Mittwoch Matches im Freundeskreis austrägt. Wie Krankl ist Polster beim Herzensverein nicht gefragt, wie Krankl wollen ihn die großen Klubs des Landes nicht anrufen, wie Krankl hat sein Musizieren ebenso ein Ende wie die öffentliche Dauerpräsenz, wie Krankl schreibt er eine Kolumne für die Boulevardzeitung Österreich, was bei der medialen Konkurrenz die Aufmerksamkeit schwinden lässt: "Ein Leser der Kronen Zeitung muss in Wahrheit ja glauben, dass ich nicht mehr in Österreich lebe. Seit sechs Jahren schweigen sie mich tot."
Ein letzter Schmäh
Vielleicht ist das alles Schnee von gestern: das Tanzen, das Singen ("Ich hab kein Comeback geplant"), das Werbungmachen, die Polster-Imitatoren ("Wie geht’s dem Mini Bydlinski eigentlich?"), Köln und der Doppelpack. Und der SV Weiden, wo Toni Polster Präsident war, im Westen von Köln, wo sein Sohn Anton Jesus Polster, geboren 1992, zum Fußballer wurde. Der Sohn und der Vater, sie haben sich neu orientiert. Anton Jesus studiert lieber Betriebswirtschaft als zu kicken: "Mein Sohn hat einen kompletten Dreh gemacht. Der Name Polster war für ihn ein schwerer Rucksack, den er erst vor kurzem abgeworfen hat."
Es ist 18.45 Uhr, vor Toni Polster liegt das tägliche Training mit der Mannschaft. Sagenhaft junge Fußballer, die hier bei Graden knapp über dem Gefrierpunkt von ihm trainiert werden. Die Aufwärmübungen beginnen – und auch wenn es nach ehrlichem Fußball ausschaut, wollen wir schnell wieder in die warme Kantine. Nur noch ein paar Fotos vom Toni in Aktion. Arglos nähern wir uns dem Kreis der Spieler, da ermahnt uns Polster mit kräftiger Stimme, dass wir auf dem Feld nichts verloren hätten. "Sonst zahlt’s an Hunderter in die Mannschaftskassa." Es ist ein Schmäh, einer von vielen. Aber er zeigt: Toni Polster will als Trainer ernstgenommen werden. (Stefan Kraft & Reinhard Krennhuber, ballesterer, 19.3.2015)