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Kinder wählen laut einer Studie Protagonisten aus den Medien als Helden, Heldinnen und stellvertretende Vorbilder wählen. Zum Beispiel: "Pokémon".

Foto: ap/Frank Franklin II

Salzburg – Kinder aus sozial benachteiligten Familien nutzen Medien vermehrt als Orientierungsvorlage und suchen sich stellvertretende Vorbilder in den Medieninhalten. Ihre Eltern sind oftmals überfordert mit dem Medienkonsum der Kinder und überlassen die Medienerziehung ihren Kindern selbst. Das zeigt eine qualitative Langzeitstudie der Salzburger Kommunikationswissenschafterin Ingrid Paus-Hasebrink.

Paus-Hasebrink hat die bisher längste Studie über das Medienverhalten sozial benachteiligter Familien durchgeführt. Seit zehn Jahren begleitet sie rund 20 Familien in Stadt und Land Salzburg und untersucht die Mediennutzung der Kinder und den Umgang der Eltern damit. Die Wissenschafterin und ihr Team gehen dazu in die Familien, erfassen die Beziehungskonstellation, die berufliche, finanzielle und emotionale Lage sowie die Wohnsituation und führen mit den ausgewählten Kindern und deren Eltern Gespräche. Zu Beginn der Studie gingen die untersuchten Kinder noch in den Kindergarten, nun befinden sie sich bereits in der Pubertät.

Hermann Maier und Pokémon als Vorbild

"Kinder aus sozial benachteiligten Familien sind meist stärker als andere Gleichaltrige auf Medien zurückgeworfen. Sie suchen vermehrt in Medienangeboten nach Kompensationsmöglichkeiten und Orientierungsvorlagen", lautet ein Fazit der Studie. Die Kinder würden sich Protagonisten aus den Medien als Helden, Heldinnen und stellvertretende Vorbilder wählen, von denen sie sich Handlungsanleitungen erhoffen. Als die Kinder jünger waren, hätten die Burschen etwa starke Figuren aus "Dragonball Z" oder "Pokémon" herangezogen, gibt Paus-Hasebrink ein Beispiel. Ein Mädchen habe sich Hermann Maier als Vorbild auserkoren.

Besonders Eltern, die sich in einer ökonomisch und emotional belastenden Lebenssituation befinden, könnten ihren Kindern nicht oder nicht in ausreichendem Maß einen notwendigen und verlässlichen Orientierungsrahmen bieten, zeigen die Studienergebnisse.

Selbsterziehung statt Medienerziehung

"Als zentrales Phänomen erwies sich die vielfältige Überforderung der Eltern", betont die Dekanin der Geistes- und Kulturwissenschaftlichen Fakultät. Auf die schwierigen persönlichen Beziehungskonstellationen und die problematische finanzielle Lage hätten viele Eltern mit Lethargie und Resignation reagiert und den Kindern den Umgang mit den Medien völlig selbst überlassen. Medienerziehung fand auf diese Weise kaum statt und wurde zur "Selbsterziehung" der Heranwachsenden.

Einige Eltern hätten zwar Vorstellungen zur Medienerziehung ihrer Kinder, eine Art Konzept, doch dieses wurde nur selten konsequent umgesetzt, heißt es in der Studie. "Insgesamt zeigt sich, dass die Eltern kaum die Kraft haben, ihre Kinder entsprechend zu begleiten", sagt Paus-Hasebrink. Einige Eltern würden mit der Nutzung und den Anforderungen neuer technischer Medienentwicklungen selbst nicht gut zurechtkommen. Sie würden die Verantwortung für die Medienbegleitung an Bildungseinrichtungen wie Kindergärten und Schulen abgeben. "Diese Eltern wissen oft gar nicht, was ihre Kinder im Internet alles tun", heißt es in der Studie. Sie seien kaum in der Lage, die Kinder über den Umgang mit potenziellen Risiken oder über die Chancen des Internets aufzuklären.

Es brauche niederschwellige Förderkonzepte für benachteiligte Familien, folgert Ingrid Paus-Hasebrink, bei denen die Eltern eingebunden und nicht gemaßregelt werden. Medienpädagogische Förderung reiche aber bei einigen nicht aus, sie würden sozialpädagogische Hilfe brauchen, weil die gesamte Lebenssituation ein Problem darstelle, erklärt die Forscherin.

Kein Pauschalurteil

Ein Pauschalurteil über sozial benachteiligte Familien lasse die Studie nicht zu, betont die Autorin in der Studie. Jedes Kind und jede Familie gehe auf ihre eigene Art und Weise mit einer sozialen Benachteiligung um, und sie präge auf ganz unterschiedliche Weise den Alltag der Familien. Zudem liefere eine qualitative Langzeitstudie keinen Überblick darüber, wie sich sozial benachteiligte Kinder durchschnittlich entwickeln und mit Medien umgehen. Doch einige Ergebnisse ließen sich im Vergleich mit anderen auch europaweiten Studien erhärten oder in einem größeren Kontext verorten.

Ingrid Paus-Hasebrink versteht ihre Arbeit explizit als "engagierte Sozialforschung", mit einem wissenschaftlichen und einem gesellschaftlichen Anliegen, das darin besteht, die Startbedingungen armutsgefährdeter Kinder zu verbessern. Unlängst wurde die Studie mit Fördermitteln aus dem Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank um drei Jahre verlängert. (Stefanie Ruep, derStandard.at, 12.03.2015)