In der Mode, in einem Blog und in einem gewissen Alter ist das wichtigste Thema man selbst: "Wer bin ich? Von außen nach innen, vom Nächstliegenden zum Allernächsten: Gummistiefel mit Blumenmuster. Jeans. Ja, ich trage Jeans. Und dieses unglaubliche Hemd, dessen Karomuster die Blumenfarbe aufgreift. Karo vs. Blumen. Innen drin im Allerinnersten: die, die diesen Blog schreibt, die mit den komischen Hüten und den seltsamen Einfällen."

Die da in Olga Flors neuem Roman Ich in Gelb so ungehemmt vor sich hin schwadroniert, nennt sich nextGirl und ist Modebloggerin, mit dreizehn Jahren die jüngste der Szene, wie sie stolz behauptet. Während sie Fotos ihrer aktuellen Lieblingstasche, gutgekleideter Passanten oder der selbsterfundenen Rollrasenhose postet, erfährt man auch allerhand aus ihrem Privatleben, von der Trennung ihrer Eltern etwa ("Schwul ist er auf einmal, dein Herr Vater, da kommt er jetzt drauf!"), vom Besuch bei der Schulpsychologin und so fort. Ein recht exhibitionistisches Unterfangen; indes stehen in ihrem Blog Selbstdarstellung und ihr Zweifel daran, dass das überhaupt ein "Selbst" ist, was sie da zeigt, freundlich nebeneinander.

Altersentsprechend wechselt nextGirl zwischen peinlicher Berührtheit und biblischem Zorn, philosophischer Gewitztheit und Selbstironie. "Mode ist ein einziges Ändern der Meinung, das sage ich mal einfach so, und für Meinungen gilt ja: Was interessiert mich mein dummes Geschwätz von gestern? Von wem war das noch?" Dafür hat Flor eine glaubwürdige Sprache gefunden, die nirgendwo in die Falle der Anbiederung an den Jargon tappt.

Hastige Gegenwart

Der Roman gibt sich, als wäre der Blog so, wie er ist, ausgedruckt und zwischen zwei Buchdeckel gebracht worden, inklusive auch der Kommentare. Unter anderem meldet sich da Bianca zu Wort: ein erfolgreiches Modell, das zu den Streifzügen der Bloggerin die Backstage-Seite liefert. Nüchtern spricht Bianca von Existenzangst, Ausgesetztheit, körperlicher Versehrtheit; dem immer nächsten Bild, das man zu liefern habe, wolle man nicht im "Sumpf des Posthypes" landen.

Außerordentlich ist, wie die Autorin das Potenzial des Formats "Blogs" ihrer (gedruckten) Literatur einverleibt: Blog-konform wird auch hier rückwärts erzählt, jeder Eintrag ist chronologisch jünger als der darauf folgende. In der Lektüre wird man so mit Miniaturen ohne Vergangenheit konfrontiert - eine adäquate Inszenierung der hastigen Gegenwart des Netzes (und der Mode). Jedes Nachbeben wird dabei zur Ankündigung, der Roman zu einem Meisterstück der Informationsvergabe. Der aus literarischen und filmischen Experimenten (etwa Nolans Memento) bekannte Krebsgang ist hier noch einmal im Medium begründet.

Parallel dazu läuft die Erzählung Biancas: Sie liest den Blog und ergänzt ihn ihrer Lektüre folgend - also für uns chronologisch - um ihre eigene Geschichte. Erzählung und Gegenerzählung werden so gekonnt und ihrem Medium entsprechend ineinander verzahnt, um erst am Ende - mit einer erzählerischen Volte - zu kollidieren.

Weder der nüchterne Ton Biancas noch das unbekümmerte Gerede der kleinen Selbstsucherin können darüber hinwegtäuschen, dass Flor ihren Roman (den es übrigens auch - in Auszügen - als Blog im Netz gibt) am Ort eines sozialen Kollapses ansiedelt: dort, wo das Private und das Öffentliche, zunehmend von körperlosen Bildern beherrscht, längst und weitgehend unbemerkt zusammengewachsen sind; wo, was man früher "Leben" genannt hat, zum Teil des Images wird, und wo es nicht weiter auffällt, dass da eine Dreizehnjährige schon mitmacht. Hinter der Bühne ist nicht backstage, sondern die Bühne. Freude an der Selbstdarstellung und Zwang zur Selbstauslieferung lassen sich nur unscharf trennen.

Das Hantieren an der flüchtigen Erscheinung, wie es Flor vorführt, braucht gleichzeitig den realen Körper - und dessen Zurichtung; Mode ist grundsätzlich sadistisch: "Nur eine Pose, die schmerzt, ist eine gute Pose." An die Spitze getrieben wird das in dem Bandwurm, der aus gesundheitlichen Gründen in Biancas Darm gepflanzt wird (eine Radikalkur gegen Lebensmittelallergien), der dann allerdings nicht aufhört zu wachsen. Die wuchernde Deformation entpuppt sich, der nun notwendigen Schmerzmittel zum Trotz, als Kapital - umso mehr, als der Bandwurm in ihrem Körper zu wandern beginnt und an immer neuen Stellen monströse Auswüchse verursacht, sehr zur Begeisterung des Fotografen: "Er behauptete, dass das Hässlichste und das Schönste sich auf der dunklen Seite wieder träfen."

All das klingt über weite Strecken keineswegs dystopisch, sondern kommt als pragmatische Selbstverständlichkeit daher. Und gegen Bilder wehrt man sich am besten mit Bildern: Das Repertoire, das hier als Selbstverteidigung gegen den (männlichen) Blick aufgerufen wird, reicht von Medusa bis zu Judith und Holofernes. "Die Kritiker der Mode" sind, der Kulturphilosophin Hannelore Schlaffer zufolge, "eine kleine Schar, und eine papierene dazu. Die Schrift, die sich nur der Druckerschwärze bedienen darf, ist zum Neid gegen die bunte Welt der Kleider wie geschaffen. Die Schöpfer der Bücher sind daher die Feinde aller großen und kleinen Modeschöpfer."

Diese Feindschaft fortzuführen, ist Olga Flors Roman viel zu klug; zu klug aber auch, um zu übersehen, dass hinter den scheinbar bezuglosen Pirouetten der Mode und der digitalen Selbstdarstellung nicht irgendwo auch eine - gravierend beschädigte - Physis liegt.

Darüber hinaus allerdings gibt es in Ich in Gelb längst keinen festen Boden mehr, alles - die Bilder, die Sprache, das "Selbst" - ist hier längst Déjà-vu, digitale Maskerade, Diebstahl. Ein schwindelerregendes, sehr empfehlenswertes Buch. (Bernhard Oberreither, Album, DER STANDARD, 21./22.3.2015)