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Jetzt geht's los: Schon ducken sich die ersten Blumen, bodennah, aber schon blühend, ins vorjährige Laub.

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Wood Wide Web: Nicht von ungefähr übernimmt in "Alice im Wunderland" ein Pilz diskret, aber unübersehbar die Rolle des Spielmachers.

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Barbara Frischmuth, geb. 1941 in Altaussee, ist österreichische Schriftstellerin und Übersetzerin. Von ihr erschienen zahlreiche Bücher zum Garten.

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Zweite Märzwoche, das bedeutet in meiner Gegend (Altaussee in 800 Metern Seehöhe) bestenfalls halb und halb. Halb Winter mit zu Harsch gewordenem Schnee auf den Wiesen und im Schatten des Hauses und halb Frühling überall dort, wo die Sonne länger hinfindet, aber auch rund ums Haus, auf den Wegen und Straßen, die der Verkehr wärmt, an den Fluss- und Seeufern.

Während die Erdkröten, die sich im kleinen Teich paaren werden (diskret, wie sie sind, ohne viel Getöse, wenn auch mit hohem Wellengang), noch in Frostschutzstarre unter der Erde liegen, haben die anderen keine Geduld mehr mit dem Winter, Schnee weg - Schneeglöckchen und -rosen da. Je nach Sonneneinstrahlung bohren sich auch schon die Blattspitzen mancher Tulpen ans Licht, mit denen der kleinen Netzirisse im Gefolge und, und, und ...

Der Diskurs über den Anderen beschäftigt Philosophen, Soziologen, Anthropologen schon seit langem. Und trotz aller Beteuerungen, dass der Andere auch die Andere meint, fällt es mir meist schwer, eine weibliche Person vor Augen zu haben, wenn ich eine Abhandlung lese, in der über den Anderen nachgedacht wird. Und so bleibt auch der Andere, den wir in unserem Spiegelbild nicht erkennen wollen, obwohl er uns in so vielem gleicht, für mich männlich konnotiert. Vielleicht gerade, weil wir davon ausgehen, dass im Anderen immer noch mehr vom Gorilla lebt (wie der Gorillaforscher George B. Schaller es allen Menschen zuschreibt) als in uns selbst.

Die wirklich Anderen

Auch wenn es uns gelingt, den Anderen geschlechtsneutral zu sehen, ist erwiesen, dass Mensch und Tier mehr miteinander gemein haben, als uns gemeinhin lieb ist. Wenn wir also von den Tieren als den Anderen sprechen, geht es eher um verschiedene Entwicklungsstufen und Ausprägungen eines uralten Bauplans. Wenn wir aber vom Leben als solchem ausgehen, sind die Pflanzen die wirklich Anderen, unterscheidet sich doch ihr Bauplan in vielem radikal von dem der Tiere (uns eingeschlossen).

Pflanzen sind ebenso vielfältig, wahrnehmungsbegabt, entscheidungsmächtig und (das gilt für viele noch als umstrittene Erkenntnis) intelligent wie alle anderen Lebewesen, die es geschafft haben, auf dieser nicht immer wirtlichen Erde zu überleben. Nebenbei gesagt, ein paar hundert Millionen Jahre länger und wesentlich erfolgreicher als wir und die Tiere, machen sie doch je nach Hochrechnungsart 90 Prozent (Michael Pollan) bis 99,5 Prozent (Stefano Mancuso) der gesamten Biomasse aus. Um uns darunter etwas vorstellen zu können, erinnere man sich an all die Pflanzenreste, aus denen seit Jahrhunderten Kohle und Erdöl gewonnen werden.

Außerdem wären wir, der kümmerliche lungen-, kiemen-, tracheen- und hautatmende Rest, gar nicht in Erscheinung getreten, hätten die Pflanzen nicht den für uns unverzichtbaren Sauerstoff bereitgestellt.

Dennoch wäre bis vor kurzem niemand (außer den vormonotheistischen Religionen und deren Mythen) auf die Idee gekommen, Pflanzen für intelligent zu halten. Nur Charles Darwin hatte bereits den Verdacht, und sein Sohn Francis, ein Botaniker, behauptete es sogar. Als dann diese Idee zum ersten Mal einem breiten Publikum vermittelt werden sollte, geschah das 1973 in Form eines weltweiten Bestsellers namens Das geheime Leben der Pflanzen, das jedoch die wissenschaftliche Forschung auf diesem Gebiet jahrzehntelang blockierte. Erwiesen sich doch die darin beschriebenen Experimente als zum Großteil nicht nachvollziehbar, und manches, was spektakulär, ja sogar überzeugend klang, schien Wunschdenken und Fantasie geschuldet.

Also gaben die Sponsoren ihr Geld für seriösere Forschungsarbeit aus, und die Intelligenzforschung an Pflanzen wurde auf Eis gelegt.

Als dann Ende der Achtzigerjahre wissenschaftlich fundiertere Ergebnisse dessen, was man jetzt Pflanzenneurobiologie nennt, vorlagen, wurden sie von traditionellen Botanikern oft nur mit zu Berge stehenden Haaren zur Kenntnis genommen. Immerhin konnte man sich auf den Terminus intelligentes Verhalten einigen, solange man noch nicht von Intelligenz sprechen will.

Detail am Rande: Der Anthropologe Jeremy Narby zitierte dazu in seinem 1998 erschienenen Buch Intelligenz in der Natur den Semiotiker Yoshimi Kawade folgendermaßen: "Die westliche Mentalität zieht eine scharfe Grenze zwischen dem Menschen und der übrigen Natur (auch zwischen dem Menschen und Gott). Für den Japaner ist diese Grenze weniger scharf. Der westlichen Mentalität fällt es schwer, Intelligenz in der Natur vorauszusetzen, während es der japanischen schwerfällt, es nicht zu tun."

Dazu kommt mir Descartes in den Sinn, der selbst die Tiere noch für rein reflexbedingte Wesen gehalten und ihnen jede Art von Empfindung, selbst die des Schmerzes, abgesprochen hat. Wie es im Englischen heißt: "No brain, no pain."

Dieses Statement ist das Stichwort für die anhaltende Debatte über die Intelligenz der Pflanzen. Sie haben kein Gehirn. Daher tut man sich auch so schwer, ihnen Sinneswahrnehmungen zuzugestehen, wo ihnen doch die Organe dafür fehlen. Und doch hat sich gezeigt, dass sie auf Licht, Geräusche, Duft- und Geschmacksstoffe und vieles, was uns nur über Apparate zugänglich ist (Infrarot- und Ultraviolettlicht), wie Daniel Chamovitz in seinem Buch Was Pflanzen wissen berichtet, rea- gieren. Auch wenn das, was sie z. B. sehen, höchstwahrscheinlich nicht von einem Gehirn in die Form von Bildern übersetzt wird.

Der in Florenz forschende und lehrende Stefano Mancuso (Besprechung seines vor kurzem auf Deutsch erschienenen Buches Die Intelligenz der Pflanzen erfolgte am 12. 3. im Standard) erklärt am besten, was Pflanzen so anders macht.

Eine Pflanze als Kolonie

Im Gegensatz zu uns, die wir alles in bestimmten Organen konzentrieren, setzen sich Pflanzen aus jeweils einfacheren, repetitiven und eigenständigen Modulen zusammen. Das heißt, sie sind teilbar, im Gegensatz zu den tierisch-menschlichen Individuen (den Unteilbaren). Man kann Pflanzen beträchtliche Teile wegschneiden, ohne dass sie dabei zugrunde gehen, am besten erkennbar an Viehweiden, die immer wieder nachwachsen, oder an der Vermehrung durch Stecklinge.

Eine Pflanze stelle man sich besser als Kolonie vor, meint Mancuso, da ein Baum mehr Ähnlichkeit mit einem Bienen- oder Ameisenvolk habe als mit einem einzelnen Tier. Der neuerdings sehr populäre Begriff der Schwarmintelligenz fällt ebenfalls in diesem Zusammenhang.

Man nimmt an, dass die Trennung der Teilbaren von den Unteilbaren vor etwa fünfhundert Millionen Jahren stattgefunden hat, als die Pflanzen sich für eine sesshafte Lebensweise an Land entschieden. Während die nomadisierenden Tiere andere Lebewesen fraßen und noch immer fressen, um sich zu ernähren, mussten die sesshaften Pflanzen, die sich, bis auf ganz wenige Ausnahmen, alles, was sie zum Leben brauchen, aus der Erde, der Luft und von der Sonne holen, ausgeklügelte Strategien entwickeln, um sich vor den pflanzenfressenden Tieren zumindest so weit zu schützen, dass sie sich immer wieder regenerieren konnten.

So kam es wohl auch zu den sehr erfolgreichen gegenseitigen Manipulationen von Mensch und Pflanze, die den Menschen das Getreide bescherten und den Pflanzen Etappensiege über die Bäume.

Diese gegenseitigen Manipulationsversuche von Pflanzen, Tieren und Menschen nennt man einerseits Domestikation und andererseits Koevolution (siehe Haustiere, Nutzpflanzen, externe Bestäuber, Symbiosen, Zuchtprozesse usw.).

Wobei wir meistens davon ausgehen, dass wir die absoluten Macher in diesem Spiel seien, ohne zu bedenken, dass man es auch andersrum sehen könnte, wie Michael Pollan in seinem Buch Die Botanik der Begierde es tut, nämlich anzunehmen, dass die Gräser uns motivieren, Dinge für sie zu erledigen, zu denen sie selbst nicht imstande sind, wie zum Beispiel die Rodung von Wäldern, um Ackerland, sprich: Gräserland, zu schaffen.

Oder wie die Blütenpflanzen es hinkriegten, Insekten gegen Entgelt in Form von Nektar dazu zu bringen, ihren Pollen zu anderer Pflanzen Fruchtstände zu transportieren und damit eine möglichst inzuchtfreie Befruchtung zu bewirken, oder Vögel zu heuern, die ihre Samen in Form von Früchten fressen und diese dann andernorts ausscheiden, um sie weiterzuverbreiten, wobei die Sämlinge auch noch mit einem Düngerpaket aus dem Vogeldarm ausgestattet werden. Eine äußerst raffinierte Vorgehensweise, wie man zugeben muss.

Dass Pflanzen nicht sprechen können, es sei denn in der Literatur (siehe Alice im Wunderland), heißt nicht, dass sie kein elaboriertes Verständigungssystem entwickelt hätten. Ihre Sprache heißt "Chemisch" und wird in Form von Duft- und Geschmacksstoffen ins kommunikative Netz eingespeist und ermöglicht ihnen nicht nur die Abwehr von Fressfeinden via Vergällung, sondern auch das Absetzen von Hilferufen bei Schädlingsbefall, gerichtet an den Feind des Feindes, der dann entweder gleich zubeißt oder seine Eier im Körper des jeweiligen Pflanzenfeinds ablegt, die ihn dann, zu Larven geworden, von innen her auffressen.

Aber all diese spektakulären Hilfestellungen zur Erhaltung der Art sind nichts oder nur wenig im Vergleich zu dem, was sich mithilfe von Pilzen unter der Erde abspielt. Da wird über kilometerlange Baumwurzeln und noch längere Pilzfädenleitungen Information ausgetauscht, Handel mit Nährstoffen getrieben, Wasser verteilt, sodass es nicht wundernimmt, wenn man in den Forschungslaboren längst von einem Wood Wide Web spricht. Womit sich zumindest im Hinblick auf Kommunikationstechnik, Volks- und Betriebswirtschaft sowie auf die Strategien, sich gelegentlich gegenseitig auszutricksen, der Kreis zwischen uns und den Teilbaren wieder zu schließen scheint.

Was aber macht diese neue, von Wissenschaftern erarbeitete Sichtweise mit uns, die wir Pflanzen lange für reine Biomasse gehalten haben, entstanden, um für uns von Nutzen zu sein als Nahrung oder zu Dekorationszwecken? Wahrscheinlich nicht viel, es sei denn, die Landwirtschaft macht sich die pflanzenimmanente Schädlingsbekämpfung zunutze und verzichtet auf die genetische Manipulation bei Pflanzen, denen man beim Prozess ihrer Veränderung meist ebenso wichtige Eigenschaften nimmt, die man ihnen genetisch eingepflanzt hat.

Laut den Statistiken, die Florianne Koechlin und Denise Battaglia in ihrem Buch Mozart und die List der Hirse. Natur neu denken veröffentlichten, hat die gesamte gentechnische Veränderung zwar enorme Summen verschlungen, aber weniger geleistet als traditionelle Zuchtmethoden, die nicht direkt ins Erbgut der Pflanzen eingreifen.

Solange das Interesse am Anderssein der Pflanzen, an ihren großartigen Errungenschaften (z. B. leben zu können, ohne andere Lebewesen fressen zu müssen), an ihrer enorm erfolgreichen Besiedelung des Planeten, ihren Hightech-Methoden der Verständigung und der Komplexität ihrer Strategien, wenn es um Kooperationen, ökologische Kreisläufe und ökonomische Symbiosen geht, nicht zunimmt, werden wir weiter auf derselben Erde leben, aber nicht in derselben Welt.

Die Übermacht der Teilbaren

Ich als Gärtnerin kann gar nicht anders, als mich für die Macht, um nicht zu sagen die Übermacht der Teilbaren aus allen möglichen Blickwinkeln zu interessieren. Und sei es, um das Bewusstsein von uns Menschen und der Rolle, die wir im Verbund mit all diesen nichtmenschlichen Lebewesen spielen, besser orten zu können. Wie ich vor allem als Schriftstellerin gelernt habe, unterscheiden sich Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung meist stark voneinander. Auch auf die Gefahr hin, dabei einiges von unserer Wichtigkeit im Lebenszusammenhang dieses Planeten einzubüßen, erscheint mir dieses Sich-kundig-Machen als spannender als das meiste, was uns als Krimi oder Science-Fiction angeboten wird.

Dass wir dabei auch auf die höchst einflussreiche Rolle der Pilze stoßen, eröffnet einen beinah noch faszinierenderen Plot. Sie waren es nämlich, die die Pflanzen dabei unterstützten, an Land zu gehen. Ohne ihre Hilfe würde das Leben möglicherweise im Wasser verblieben sein. Nicht von ungefähr übernimmt in Alice im Wunderland ein Pilz diskret, aber unübersehbar, die Rolle des Spielmachers. Er ist es, der Alices Größe ständig verändert und die Wörter in den auswendig gelernten Gedichten vertauscht, während die Tigerlilie Alice darüber aufklärt, dass Pflanzen sehr wohl sprechen könnten, wenn sich jemand fände, mit dem zu sprechen sich lohnt.

Auch in der neueren bildenden Kunst spielen die Anderen, die Teilbaren, eine angemessene Rolle, wie z. B. bei Lois Weinberger, der mit den robustesten unter ihnen, den Ruderalpflanzen, Migrationsverläufe nachzeichnet, Kletten oder Holzschwämme zu Skulpturen formt und mit Gedanken, die bereits Schamanen aus früherer Zeit gedacht haben, in Richtung Zukunft unterwegs ist.

"Es wird in nächster Zeit sicher Parameter geben", meinte er 2010 in einem Interview, "die das Sein und Leben der Pflanze erweitern und ausdehnen werden - zudem könnte es günstig für unsere Mitweltsituation (Koevolution?) sein, würden wir den Pflanzen eine Seele zusprechen."

Das Wichtigste in Sätzen wie diesen ist nicht die Seele, die immer wieder neu definiert werden muss, sondern dass Weinberger in den Pflanzen ein echtes Gegenüber sieht, dessen unbezähmbare Lebenskraft ihm immerhin so viel Respekt abnötigt, dass er mit ihm die großen Wanderungen der Menschen auf dieser Erde nachbildet. Dabei zeigt er große Einsicht in die Prozesse des Lebens, die wir meist unter dem Sammelbegriff Natur zur Sprache bringen, und setzt sie auf illusionslose Weise mit uns in Beziehung, indem er auf die Frage einer Interviewerin, ob er die Natur als metaphorischen Wert sehen würde, antwortet: "Solange uns die Natur sterben lässt, kann sie nicht nur als metaphorisch angesehen werden." Zu Sätzen wie diesen hätte wohl auch die Tigerlilie etwas zu sagen gehabt.

Es hat keine zwei Tage gedauert, und schon ducken sich die ersten Schlüsselblumen, bodennah, aber schon blühend, ins vorjährige Laub, und Gänseblümchen, die ihre Blütenkugeln vor dem scharfen Föhn geschlossen halten, blinken in schimmerndem Weiß zwischen den Stoppeln der abgeschnittenen Phloxe hervor und nützen den freien Raum, den die empfindlicheren Pflanzen noch nicht wieder besetzt haben. Nächste Woche soll das Wetter so richtig frühlingshaft werden. (Barbara Frischmuth, Album, DER STANDARD, 21./22.3.2015)