Zeigt, wie man ein Video manipuliert: Böhmermann ärgert in seiner Show "Neo Magazin Royale" ZDF und Jauch.

NEO MAGAZIN ROYALE

Jan Böhmermann hat mit seinem Video über den gestreckten Mittelfinger des griechischen Finanzministers alle an der Nase herum geführt. Soviel ist klar. Diese Aktion ist deswegen so genial, weil sie so viele Ebenen hat. Am schlechtesten sahen dabei die staatstragenden Medienstars aus, die für ein gutes Gehalt immer bereit sind, die nationale Ehre angesäuert zu verteidigen. Das sind die Günther Jauchs dieser Welt, die meinen, ein ausgestreckter Mittelfinger gegen Deutschland ist so schlimm, dass man im Hauptabendprogramm darüber reden muss. In dieser Welt ist der Mittelfinger schlimmer als die humanitäre Katastrophe, in die die Troika Griechenland geführt hat.

Seit Troika-Politik in Griechenland herrscht, hat sich die Säuglingssterblichkeit um 43 Prozent erhöht, die Suizidrate steigt erschreckend an und 3,5 Millionen Griechinnen und Griechen stehen ohne Krankenversicherung da. Aber deutsche Medien reden lieber über Griechen ohne Krawatte als über Griechinnen und Griechen ohne Krankenversicherung.

Reden über beleidigte Gefühle

Genau da fällt auch der absurde Mittelfinger-Diskurs hinein. Statt über Schuldenschnitt, Bedeutung eines Ausstiegs Griechenlands aus der Eurozone und verfehlte Krisenpolitik, wird über die kollektiv beleidigten Gefühle der Deutschen geredet. Das ist für sich schon absurd, aber um es auch für viele sichtbar zu machen, brauchte es Böhmermann, der ein Erklärungsmodell geschaffen hat, das genauso wahr sein könnte. Denn es gibt keine absoluten Wahrheiten, schon gar nicht im Mediengeschäft. Jauch hat vielleicht das richtige Stinkefinger-Video gezeigt, es aber so aus dem Kontext gerissen, dass es genauso (oder mehr) Fake ist wie jenes von Böhmermann. Und Böhmermann hat nichts anderes gemacht, als der deutschen Öffentlichkeit den Spiegel vorzuhalten, dass es bei dieser Diskussion wirklich nur um den Finger geht.

Fakten, Zahlen, Argumente

Es brauchte also ein Fake zum Fake, um die Situation zu erklären. Das ist das Geniale bei Böhmermann. Denn auf Basis von Fakten, Zahlen und Argumenten basiert ein Diskurs über (viel mehr gegen) die griechische Regierung schon lange nicht mehr. Jahrelang wurden Schreckensszenarien entworfen, für den Fall, dass Syriza an die Macht kommt. Es wurde in Wahlkämpfe interveniert und die griechischen Wählerinnen und Wähler schon einmal vorsorglich bedroht für den Fall, dass sie "falsch" wählen. Statt einer demokratischen Entscheidungsfindung schwang sich vor allem die konservative Regierung in Deutschland zur Gutsherrin der EU auf, die bestimmt, was geht und was nicht. Dementsprechend undemokratisch ist auch die Troika besetzt. Nicht gewählt, nicht kontrolliert und nicht demokratisch legitimiert, hat sie versucht, den griechischen Staat samt seines Sozialsystems auseinander zu nehmen. Wie katastrophal und schlichtweg menschenverachtend dies geschehen ist, kann man in der wunderbaren Dokumentation von Harald Schumann sehen: "Macht ohne Kontrolle - Die Troika" (ORF-TV-Thek).

Gemein zu Deutschland

All das dominiert nicht die Titelblätter, schon gar nicht die der "Bild"-Zeitung. Da wird darüber geredet, ob Varoufakis gemein zu Deutschland war. Im nationalistischen Ressentiment wird so der Hetze gegen "die faulen Griechen" der Weg bereitet. Solidarisierung wird unterbunden, denn arme Deutsche könnten ja draufkommen, dass sie mit armen Griechinnen und Griechen mehr gemeinsam haben. Böhmermann hat das erkannt. Die Konfusion, die Unklarheit und die Verwirrung, die er mit seinem #Varoufake-Video gestiftet hat, ist in einer Welt der schnell verfestigten Ressentiments und Vorurteile unbezahlbar. (Natascha Strobl, derStandard.at, 20.3.2015)