Seouls Bewohner wandern gerne auf den grünen Hügeln, die hier hinter der Statue von König Sejong zu sehen sind.

Foto: DER STANDARD/Fabian Kretschmer

Wie überdimensionale Dominosteine schlängeln sich die Apartmentklötze durch die koreanische Hauptstadt. Keine Frage, Seoul ist das Mekka der Bauindustrie, ein Betondschungel. Und doch ist alles nur eine Frage der Perspektive.

Über den Hochhäusern, auf einem der mehr als 36 Berge innerhalb des Stadtgebiets, endet der 360-Grad-Blick unweigerlich in einem wild wuchernden Grüngürtel. Wenig Vorstellungskraft braucht es, um die sibirischen Tiger durch die Pinienwälder streifen zu sehen. Noch vor 100 Jahren beheimatete die Koreanische Halbinsel die majestätischen Wildkatzen. Dann kamen die japanischen Kolonialherren.

Sie rodeten mehr als 30 Prozent der Waldflächen. In einem beispiellosen Kahlschlag schifften sie das Nutzholz tonnenweise aus dem Land. Mit dem Koreakrieg und den ewig kalten Wintern auf der koreanischen Halbinsel, in denen brennende Holzscheite als einziges Schutzmittel den Frost fernhielten, verschärfte sich die Situation weiter. Noch in den 50er-Jahren hatte Südkorea eine der höchsten Abholzungsraten der Welt. Der Wind fegte über das dürre Brachland, nichts hielt Fluten und Erdrutsche auf.

Diktator holte Wald zurück

"In dieser Hinsicht sind die Südkoreaner Park Chung-hee zu Dank verpflichtet", sagt Victor Teplyakov von der Seoul National University. Wenn der russische Forstwissenschafter von der Aufforstung Südkoreas spricht, spart er nicht mit Superlativen. Der Diktator Park Chung-hee, Vater der amtierenden Präsidentin Park Geun-hye, hat das Land nicht nur mit militärischem Drill zur florierenden Volkswirtschaft angetrieben. Er legte auch in den 70er-Jahren den Grundstein für die erfolgreichste Aufforstung der Menschheitsgeschichte. "Den Wald zurück nach Südkorea zu holen, machte Park zur nationalen Idee.

Die Leute waren enthusiastisch", sagt Teplyakov. In den ersten sechs Jahren des Aufforstungsplans pflanzte die Regierung mithilfe der Bevölkerung drei Milliarden Bäume auf einer Fläche von mehr als einer Million Hektar an. Die Setzlinge der Robinie, eines rasant wachsenden Laubbaums, stabilisierten schnell die heruntergewirtschaftete Erde. Später wurden zusätzlich Pinienbäume und Eichen angepflanzt.

Zwangsarbeit bei Aufforstung

Wenn der patriotische Eifer nicht ausreichte, wurde auch mit Zwangsarbeit nachgeholfen. Die meisten wurden jedoch von den staatlichen Subventionen angelockt, die die erfolgreichsten Kommunen beim Aufforsten zugesichert bekamen. Längst hat Südkorea das Plateau seiner Aufforstung erreicht. "Es gibt kaum mehr freie Flächen, um weitere Bäume anzupflanzen. Ein Paradigmenwechsel hat eingesetzt, hin zur nachhaltigen Waldbewirtschaftung", sagt Teplyakov.

Nur wenige Kilometer nördlich zeigt sich ein entgegengesetztes Bild. Ein Blick über die demilitarisierte Zone offenbart kahlgeschorene Berghänge und ockerfarbene, ausgeblichene Äcker. Nach Indonesien und Nigeria leidet Nordkorea unter der dritthöchsten Abholzungsrate der Welt.

Mit dem Kollaps der Sowjetunion blieben auch deren Öllieferungen aus. Ohne Energieressourcen wurde verstärkt Heizholz benötigt, zumal das Gros der Bevölkerung in ländlichen Gegenden wohnt. Ohne genug Geld für ausreichend Dünger waren die Ackerflächen schon bald heruntergewirtschaftet. Zusätzliche Waldflächen müssen abgeholzt werden, um sie für den landwirtschaftlichen Anbau nutzen zu können - ein Teufelskreis.

Laut Berechnungen der Initiative Global Forest Watch hat Nordkorea allein von 2000 bis 2013 Waldflächen, 18-mal so groß wie Manhattan, abgerodet. Durch die hohe Abholzungsrate wird das Land immer wieder von tragischen Fluten heimgesucht.

Mögliche Projekte mit Nordkorea

Fast fünf Milliarden Bäume würden den nordkoreanischen Waldflächen zur nachhaltigen Aufforstung fehlen, hat die südliche Regierungsbehörde Korea Forest Service berechnet. Rund 29 Milliarden Dollar würde die Wiederherstellung der Wälder kosten. Forscher wie Tepylakov versuchen gemeinsame Aufforstungsprojekte mit dem Norden auf die Beine zu stellen, doch der akademische Brückenschlag scheitert an der Geopolitik.

Gleichzeitig exportiert Südkorea sein Know-how längst an andere Länder weiter. Die Seouler Regierung investiert in dutzende Projekte zwischen Südost- und Zentralasien. Auch China orientiert sich bei seinen Aufforstungsplänen an Südkorea. Mit einem Baumgürtel möchte sich das Reich der Mitte den gelben Sand aus der mongolischen Wüste vom Leib halten. (Fabian Kretschmer aus Seoul, DER STANDARD, 21.3.2015)