Der "Herr Professor Karl" der Universität Wien im Jahr 1931: Richard Meisters Karriere war auch durch die drei Regimewechsel 1934, 1938 und 1945 nicht aufzuhalten. Sein Einfluss wirkt bis heute nach.

Foto: Archiv der Universität Wien

Wien - Es gibt wohl keinen Wissenschafter, dessen Einfluss auf Österreichs Schulen und Universitäten im 20. Jahrhundert größer gewesen wäre als der von Richard Meister. Mag sein Name heute bloß universitätshistorisch interessierten Zeitgenossen etwas sagen, so wirkt der Pädagoge und Altphilologe auch noch etwas mehr als 50 Jahre nach seinem Tod weiter: vor allem in der immer noch geltenden ÖVP-Ablehnung einer gemeinsamen Schule der Zehn- bis 14-Jährigen.

Das war längst nicht die einzige umstrittene Leistung Meisters, dessen Karriere durch drei Regimewechsel (1934, 1938 und 1945) nicht aufzuhalten war. Seine nur unvollständig aufgearbeiteten Machenschaften lassen nicht nur den Vater des ÖVP-Gesamtschul-Njets in einem trüben Licht erscheinen. Sie liefern auch Erklärungen dafür, warum der Niedergang der Universität Wien, die ihr 650-Jahr-Jubiläum feiert, nicht erst 1938 begann - und vor allem: sich nach 1945 weiter fortsetzte.

Wer war dieser Mann, dessen Todestag sich vor kurzem zum 50. Male jährte? Und was machte ihn zu einer so mächtigen und zugleich so ambivalenten Figur? Meisters universitäre Karriere begann vergleichsweise spät: 1881 in Znaim geboren, promovierte er 1904 in klassischer Philologie und war bis 1918 vor allem als Lateinlehrer in Gymnasien tätig. Ohne Habilitation erhielt er mit 37 Jahren eine außerordentliche Professur für Altphilologie zuerst in Graz und zwei Jahre später in Wien.

Meisters hauptsächliche Leistung bestand darin, dass er sich quasi als Vertreter der Lateinlehrer 1920 vehement für die Beibehaltung des achtklassigen humanistischen Gymnasiums aussprach - und damit zum wichtigsten Gegenspieler des sozialistischen Bildungspolitikers Otto Glöckel und dessen geplanter "Einheitsschule" der Zehn- bis 14-Jährigen wurde. Meisters wichtigstes Argument war konservativer Klassenkampf im doppelten Sinn des Wortes: Kinder verschiedener Gesellschaftsschichten würden einen "ungleichen Vorstellungskreis" in die Schule mitbringen, und für ärmere Kinder sei es schwierig, "den Vorsprung der wohlhabenderen nachzuholen".

Ein Ordinarius mit Vollmacht

Dieses Engagement gegen den fortschrittlichen Reformversuch machte sich bezahlt: Der christlich-soziale Unterrichtsminister Emil Schneider berief Meister 1923 gegen den Widerstand angesehener Professoren wie Karl Bühler oder Moritz Schlick zum Pädagogik-Ordinarius an die Uni Wien. Zudem erhielt Meister eine Sondervollmacht, die ihn zum wichtigsten bildungspolitischen Berater des Ministeriums machte - um fortan alle Schulreformversuche im Keim zu ersticken.

Meister entsprach einem Professorentypus, der in der Ersten Republik dominant wurde: Er war wissenschaftlich bestenfalls Mittelmaß, dafür aber katholischer Deutschnationaler, Antisemit und Antisozialist. Das manifestierte sich unter anderem in seiner Teilnahme an einem geheimen antisemitischen Professorenkartell an der Uni Wien, das ab 1922 unter dem Decknamen "Bärenhöhle" Karrieren jüdischer und linker Wissenschafter verhinderte.

Ab 1923 war Meister mehrfach an solchen Intrigen beteiligt: Eines seiner "Opfer" war 1924 der Philosoph Edgar Zilsel, ein anderes der jüdische Physiker Otto Halpern: Dessen Habilitationsverfahren endete nach sechs Jahren 1932 vor dem Verwaltungsgerichtshof. Dort setzte sich Meister als Vertreter der Universität mit dem Argument durch, dass Halpern als Dozent ungeeignet sei, weil er als 21-Jähriger den Institutsschlüssel verloren hatte. (Halpern war noch während des Verfahrens Mitarbeiter Werner Heisenbergs in Leipzig geworden und hatte dann in New York eine Professur angenommen, die man Heisenberg angeboten hatte.)

Mafiöse Cliquenbildung

Vor allem mischte sich Meister mafiöse Clique in zahlreiche Berufungsverfahren ein, die fast immer damit endeten, dass politisch Gleichgesinnte die Professur erhielten. Wissenschaftliche Qualität wurde zur Nebensache degradiert. Daneben gehörte Meister noch anderen braun-schwarzen Netzwerken an wie dem nationalsozialistisch unterwanderten "Deutschen Klub" in der Hofburg, wo sich die braune Intelligenz des Landes traf.

Nach dem "Anschluss" 1938 wurde ihm das ebenso positiv ausgelegt wie sein offiziell bestätigter Antisemitismus, seine Verhinderung der Gesamtschule und seine Mitgliedschaften bei etlichen nationalsozialistischen Vorfeldorganisationen wie der NS-Volkswohlfahrt oder dem Altherrenbund. Nur der NSDAP trat Meister nie bei, was wohl auch ein Grund war, warum es Meister nach 1938 vom Lehrstuhl für Pädagogik auf jenen für Altphilologie wechseln musste.

Aufgrund seiner guten, lange vor 1938 geknüpften Kontakte - etliche seiner Kollegen aus den Netzwerken machten als Nazis groß Karriere - hatte Meister aber auch im NS-Regime bald wieder wichtige Funktionen inne, hielt als repräsentativer Vertreter der Uni Wien und der Akademie öffentliche Vorträge. Zudem wurde er in der NS-Zeit mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 1942 von Adolf Hitler mit dem goldenen Treuedienstehrenzeichen.

Seine große Stunde schlug dann allerdings erst nach dem Krieg: Obwohl Meister weit mehr als ein bloßer Mitläufer war - aber eben kein Parteigenosse -, galt er nach 1945 als politisch unbelastet. Also brachte sich die akademische Version des Herrn Karl umgehend als Prorektor der Uni Wien und als Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften in Stellung. Dabei half, dass Meister nach mehr als zwei Jahrzehnten als unermüdlicher Hochschulbürokrat mit allen Wassern der Intrige gewaschen war.

"An der Wiener Universität ist seit dem Kriegsende der allmächtige Mann der Pädagoge Prof. Meister, der auch mich mit Beihilfe der übrigen Wegbereiter des Nazismus aus Wien weggeekelt hat", klagte der Musikhistoriker Rudolf Ficker 1946 in einem Brief an den nach England geflüchteten Egon Wellesz, der nicht nur Komponist, sondern auch habilitierter Musikhistoriker war.

Ficker seinerseits war Ende der 1920er-Jahre bei der Besetzung einer Professur von Meister und Co. "ausgebremst" worden und ahnte bereits ganz richtig, dass er auch nach 1945 in Wien unerwünscht war. Denn Meister musste sich nach 1945 natürlich um seine ehemaligen Cliquengenossen kümmern, die nun vielfach NS-belastet waren.

Dass die Entnazifizierung an der Uni Wien so kulant ausfiel und die zahlreichen Ex-Nazis aus der Akademie so gut wie gar nicht "hinausgesäubert wurden", sei "vor allem das zweifelhaftes Verdienst" Meisters, wie die linke Wochenzeitung Der Neue Vorwärts 1951 treffend schrieb. (Meister hatte wohl auch dafür 1948 sogar noch ein Ehrendoktorat seiner eigenen Universität erhalten.) Zudem hieß es in dem Artikel, dass "Österreichs schwarz-braune Eminenz hinter den Kulissen seit mehr als 20 Jahren auf den Hochschulen und wo sich sonst Gelegenheit bietet, gegen alles intrigiert, was nach Demokratie riecht".

Solche Kritik hinderte die nicht hinausgesäuberten Mitglieder der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) natürlich nicht daran, Meister 1951 zu ihrem Präsidenten zu wählen. Als sein Schüler Heinrich Drimmel (ÖVP) 1954 auch noch Unterrichtsminister wurde, war Meisters Allmacht für die nächsten Jahre endgültig abgesichert. Denn Drimmel entschied nichts, was Meister nicht abgesegnet hätte - wozu unter anderem auch die Berufungen etlicher Ex-Nazis wie Taras Borodajkewycz, Otto Höfler, Heinz Kindermann oder Richard Wolfram zählten.

Professor blieb Meister bis zu seinem 75. Lebensjahr und trat erst 1955 ab. Bis dahin mussten alle Gymnasiallehrer, die an der Universität Wien studierten, durch seine Hände.

Krönender Abschluss seiner Karriere war das umstrittene Hochschulorganisationsgesetz 1955, das vollends Meisters Handschrift trug: Es zementierte für die folgenden zwanzig Jahre die hierarchische Ordinarienuniversität und die Herrschaft der Professoren über die anderen Uni-Mitarbeiter. Das Gesetz führte auch dazu, dass Hausberufungen die Regel wurden und sich die ohnehin öffentlichkeitsscheuen Hochschulen noch weiter aus der Mitte der Gesellschaft entfernten.

Nicht zu unterschlagen sind schließlich aber auch noch Meisters zahlreiche Arbeiten über die Geschichte der Uni Wien und der Akademie der Wissenschaften. Dass darin die NS-Zeit ausgespart oder stark geschönt dargestellt wurde, versteht sich von selbst.

"Wer Ihre Biografie schreiben will, der muss es in drei Bänden tun", sagte sein Kollege, der glimpflich entnazifizierte Altphilologe Albin Lesky vor mehr als 60 Jahren anlässlich einer der zahllosen Ehrungen für Meister - und angesichts dessen zahlloser "Leistungen". Eine halbwegs umfassende und kritische Darstellung des Wirkens und Nachwirkens der "schwarz-braunen Eminenz" auch nur in einem Band fehlt bis heute. Und so manchem österreichischen Bildungspolitiker des Jahres 2015 ist das vermutlich ganz recht so. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 21.3.2015)