Grafik der Atlantic Meridional Overturning Circulation (AMOC).

Illu: Stefan Rahmstorf/PIK

Lineare Trends der Oberflächentemperatur 1901-2014 auf Basis von NASA-Daten (weiß = Datenlage ungenügend).

Illu: Rahmstorf et al (2015)

Potsdam - Die Meeresströmung im Atlantik, die warmes Wasser an die Küsten Europas transportiert, hat sich einer Studie zufolge im Laufe des 20. Jahrhunderts so stark verlangsamt wie seit annähernd tausend Jahren nicht. Besonders für die vergangenen Jahrzehnte sei eine deutliche Abschwächung feststellbar, berichtet ein internationales Forscherteam um Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) im Fachjournal "Nature Climate Change".

Mögliche Ursache der Verlangsamung sei der Klimawandel, vermuten die Wissenschafter. Andere Experten bewertet diese Einschätzung allerdings skeptisch.

Indirekte Temperaturermittlung

Die Wissenschafter um Rahmstorf untersuchten die Temperaturen an der Wasseroberfläche des Nordatlantik. Da diese entscheidend von den Meeresströmungen abhängen, erlauben sie Rückschlüsse auf deren Stärke. Die Temperaturen vergangener Jahrhunderte ermittelten die Forscher indirekt, etwa aus der Analyse von Ablagerungen am Meeresboden, Korallen, Baumringen oder Eisbohrkernen.

"Verblüffenderweise hat sich trotz fortschreitender globaler Erwärmung ein Teil des nördlichen Atlantiks in den letzten hundert Jahren abgekühlt", so Rahmstorf. Diese Abkühlung sei stärker, als von den meisten Computermodellen errechnet.

Der Rückgang der Meerestemperatur südlich von Grönland liege offenbar daran, dass sich die große Umwälzströmung im Atlantik, die sogenannte Atlantic Meridional Overturning Circulation (AMOC), im 20. Jahrhundert deutlich abgeschwächt habe. Seit 1990 habe sie allerdings wieder ein wenig an Kraft gewonnen. Der Golfstrom ist Teil dieser Umwälzströmung.

"Belege gefunden"

Schon frühere Studien ließen vermuten, dass sich die AMOC abschwächt und dadurch der nördliche Atlantik abkühlt. "Jetzt haben wir starke Belege dafür gefunden, dass dieses atlantische Förderband sich in den vergangenen hundert Jahren tatsächlich verlangsamt hat, besonders seit 1970", so Rahmstorf.

Als Ursache der Abschwächung haben die Forscher den Klimawandel im Verdacht. Durch die Erwärmung schmelze immer mehr Eis auf Grönland, das als Süßwasser ins Meer fließe. Das verändere die Dichte des Meerwassers und dadurch auch das Strömungsverhalten. Der Golfstrom und damit auch der Nordatlantikstrom würden langsamer. "Dieser Effekt könnte noch zunehmen, wenn die weltweiten Temperaturen weiter ansteigen", sagte Mitautor Jason Box von der Geologischen Forschungsanstalt für Dänemark und Grönland.

"Kein starker Hinweis"

Der Golfstrom sorgt für verhältnismäßig mildes Klima in Nordeuropa, eine Verlangsamung der Meeresströmung beträfe auch das europäische Klima insgesamt. "Das relativ kalte Wasser im Nordatlantik kann bis nach Europa hinein leicht kühlend wirken, am stärksten in Küstennähe", sagte Rahmstorf. "Einige Studien deuten auch auf einen Zusammenhang zwischen den Wassertemperaturen im Nordatlantik und den Wintertemperaturen in Nordeuropa hin." Die anhaltende Erwärmung der Landmassen werde durch die Abkühlung über dem Nordatlantik aber wohl kaum verringert.

Der Klimaforscher Martin Visbeck vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel sieht Rahmstorfs Deutung der Ergebnisse kritisch: "Die Konzentration der Studie auf den subpolaren Teil des Atlantiks und die spektrale Analyse sind interessant", sagt er. Aber es gebe auch andere Schätzungen der AMOC, die auf einen ganz anderen Verlauf hindeuteten. Die Arbeit biete keine starken Hinweise auf die Entwicklung der AMOC während der letzen 50 Jahre. (APA/red, derStandard.at, 23.3.2015)