Es war einmal ein katalanischer Bauer aus Valls in der Region von Tarragona gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Dieser Bauer war gerade dabei, sich ein schönes Mittagessen vorzubereiten. Unter anderem legte er ein paar Zwiebeln auf den Grill und wartete. Leider wartete der Campesino zu lange, und die Knollen waren am Ende ganz verkohlt. Hungrig, wie er eben war, zog der Mann die verkohlte Haut ab und entdeckte, dass das Innere des Gemüses sehr weich, zart und schmackhaft war. So erzählt man sich hier die Geburtsstunde der Calçots.
Auf nach Salomó
Barcelona, Samstagmorgen, 21. Jahrhundert. Die Wolken ziehen zu. Wir steigen ins Auto und fahren eine Stunde Richtung Süden und somit Richtung Sonne. Salomó erwartet uns.
Salomó ist ein kleines Städtchen in der Nähe von Tarragona mit einem wunderschönen traditionellen katalanischen Bauernhof, einer Masía. Von Februar bis April veranstalten die Besitzer der Masía jedes Wochenende riesige Calçotadas für etwa 100 Personen. Fast so exklusiv wie Paris Hiltons Gästeliste, bekommt man hier nur eine Reservierung, wenn man mindestens 30 Personen einlädt und sich als Stammgast seinen Sitzplatz in der letzten Dekade hart erkämpft oder "ergessen" hat.
Und so kam ich zu der Ehre: Der Vater einer meiner katalanischen Freunde reserviert jedes Jahr an einem bestimmten Datum im März 60 Plätze für sich, seine Familie und Freunde. Um 13 Uhr traf sich also unser Kreis der Auserwählten zu einem Aperitif in einer Bar des Städtchens. Dort bereiteten wir uns mental auf die bevorstehende Veranstaltung vor.
Danach ging es los. Im Innenhof der Masía standen unsere Tische bereit. Keine Bänke. Denn Calçots isst man schließlich im Stehen. Die Wirte und Wirtinnen tischten schwarze und grüne Oliven aus den eigenen Hainen in kleinen Schalen auf und brachten Karaffen, genannt Porró oder Porron, gefüllt mit Rotwein und Weißwein. Auf Wunsch gab es auch Gläser – und leicht schiefe Blicke. Denn als echter Spanier oder Katalane – je nachdem, mit wem man spricht – trinkt man direkt aus der Karaffe. Dabei berührt man den Porró nie mit dem Mund.
Dann endlich kamen die ersten Calçots-Lieferungen an unseren Tisch. Schwarz vom Ruß wurde das Gemüse auf Dachziegeln präsentiert. Es lag an uns, den Zwiebelberg zu bewältigen, und wir kannten keine Scheu. Jeder nahm eine Calçot zwischen die Finger und zog mit der von mehreren Generationen Katalanen erprobten Technik die verkohlte Zwiebelhaut herunter. Den Rest tunkten wir in hausgemachte Romesco-Sauce und hielten anschließend die Zwiebel feierlich nach oben. Von dort aus landeten am Ende alle Calçots in unseren hungrigen Mäulern.
Zwischendurch warfen wir immer wieder in professioneller Manier den Kopf in den Nacken, hielten den Porró Richtung Mund und kippten die Karaffe nach vorne. Der Hauswein schoss sofort in dünnem Strahl heraus. Bei Ungeübten landete oftmals ein Teil im Gesicht.
Ab in den Weinkeller
Eine halbe Stunde später türmten sich die Zwiebelschalen auf den Tischen im Hof, und man schickte uns in den Weinkeller.
In dem Keller wurde höchstwahrscheinlich seit der Entdeckung der Calçots nicht abgestaubt – Allergiker und Asthmatiker werden hier mit aller Wahrscheinlichkeit nicht glücklich. Die Fenster waren mit riesigen Spinnweben behängt, und im Licht tanzte der Staub über den Tischen. Das mag zwar unschön klingen, doch hatte die Masía einen unglaublichen Charme.
In einem Raum standen alte Weinfässer an der Wand oder als Tisch mitten im Raum, hier und dort hingen oder standen alte landwirtschaftliche Gerätschaften und Objekte.
Wir mussten nicht lange warten, bis wieder Essen serviert wurde. Zuerst brachte die Wirtin weiße Bohnen mit Knoblauch, dann gleich mehrere Platten Lammkoteletts und Butifarras, dazu hausgemachtes Aioli. Auch Wein und Cava durfte dabei nicht fehlen. Wir aßen, tranken und sangen am Tisch. Zur Nachspeise gab es Kaffee, Cremetorte und natürlich einen Likör.
Zurück an die Oberfläche
Nach dem Mittagessen verließen wir den Tisch und gingen die Stiegen hinauf in den Hof. Zurück an die Oberfläche: Frischluft, Sonnenlicht und mehr Wein.
Anschließend drehten wir eine Runde durch die Kleinstadt. Der Spaziergang führte uns auch zu der Kirche von Salomó. Das barocke Gebäude wurde auf einer ursprünglich romanischen Kapelle gebaut. Ein Tor der Kirche stammt noch aus der romanischen Zeit. Im Inneren befand sich ein Altarbild Jesu Christu von Jaume Pons i Monravà aus dem 18. Jahrhundert. Dieses Gemälde wurde allerdings im Bürgerkrieg in den 1930er-Jahren großteils zerstört. Man sieht nur noch Teile davon. Viel mehr gibt es in Salomó selbst leider nicht zu sehen.
Dafür hat die Region einiges mehr zu bieten. Wer lieber Großstädte besucht, findet in Tarragona eine schöne Altstadt. Weinliebhaber können sich in der Weinregion Priorat nach Lust und Laune austoben. Die Gegend ist eine Autostunde von Barcelona entfernt – etwas länger mit dem Zug – und auf jeden Fall einen Besuch wert. Wer zwischen Februar und Ende April nach Barcelona reist, sollte sich eine Calçotada auf keinen Fall entgehen lassen.
Calçot-Tipps für Barcelona
Wenn der Urlaub kurz ist, dann gibt es auch in Barcelona einige gute Restaurants. Meine Empfehlungen sind die Braserías "Maur" im Stadtteil Raval, "Can Vador" im Eixample und "Quinabarra!" im Poblenou.
Ein Tipp für Hobbywanderer: der kleine Berg Collserola bei Barcelona. Dort findet man einige Kamine für die eigene Grillerei. Reservierung nicht nötig. Bei Schönwetter lässt es sich hier gut aushalten. (Johanna Hofbauer, derStandard.at, 24.3.2015)