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Überwachung der Schengen-Außengrenze zwischen Ungarn und Serbien im Jänner 2015. Eine Gruppe afghanischer Flüchtlinge soll in Serbien auf Schlepper gewartet haben.

Foto: EPA / Szilard Koszticsak
Grafik: Standard

In den letzten Märztagen 1995 gab es unter Reisenden zwischen den drei Beneluxstaaten einen reizvollen "Sport": Wie schnell traut man sich, mit dem Auto über die Staatsgrenze zu fahren? Die meisten taten "es" mit 30 oder 40 Kilometern pro Stunde. Ganz Verwegene riskierten den Grenzübertritt mit einem schwachen Hunderter.

Zwischen Belgien und Luxemburg war das auf einer zweispurigen Fahrbahn möglich, auch nach Norden hin Richtung Niederlande. An der luxemburgisch-französischen Autobahngrenze bei Dudelange hingegen hätte man das nicht gewagt. Dort blieb zwischen den Grenzhäuschen nur eine schmale Spur - und französischer Zoll und Polizisten hatten ein waches Auge auf den Verkehr.

Und das, obwohl am 26. März nach der Einführung des Binnenmarktes eines der ambitioniertesten EU-Projekte für Freiheit und Öffnung in Kraft getreten war: die Aufhebung der Grenzkontrollen zwischen sieben EU-Staaten, die dem sogenannten Schengen-Abkommen beigetreten waren - neben den Beneluxländern noch Frankreich, Deutschland, Spanien und Portugal. Benannt ist der Vertrag, welcher den freien Personenverkehr für Millionen EU-Bürger physisch nachvollziehbar machte, nach einem Dorf im Dreiländereck Luxemburg, Deutschland und Frankreich. Heute scheint es, als seien sie zusammengewachsen. Zigtausend Pendler fahren täglich hin und her.

Es gibt viele Zeugnisse der Maginot-Linie in der Gegend, jener militärischen Befestigung über hunderte Kilometer, die die Franzosen nach dem Ersten Weltkriegs zum Schutz gegen die Deutschen errichteten. Die Armee Hitlers ist sie über die Ardennen in Belgien umgangen. Die gewaltigen Bunkeranlagen sind Touristenattraktionen. Verständlich, dass der Wegfall der Grenzkontrollen 1995 gefeiert wurde, fast euphorisch, und zwar von Bürgern und Politik.

Die Sicherung der Staatsgebiete wollte man polizeilich gemeinsam erledigen, nicht auf Basis von EU-Recht, sondern auf zwischenstaatlicher Ebene. Das Schengen-Informationssystem (SIS) wurde eingerichtet (siehe Bericht unten). In den 20 Jahren des Bestehens wurde das Abkommen im EU-Vertrag verankert (2009). Nicht weniger als 22 von 28 EU-Staaten hoben Grenzkontrollen auf (Österreich 1997) - auch die Efta-Länder Schweiz, Liechtenstein, Norwegen und Island. Aber von der Begeisterung, dass neben den vier EU-Grundfreiheiten (für Waren, Personen, Kapital, Dienstleistungen) auch Reisen ohne Kontrollen möglich sind, ist wenig geblieben.

Neue Ängste vor Öffnung

Mit der EU-Erweiterung nach Osteuropa ab 2004, der Zunahme von Krise und Kriminalität, steigendem Migrationsdruck aus Syrien, Nordafrika oder Irak löst das Wort "Schengen" bei vielen Ängste aus. Radikale Parteien der Rechten, wie der Front National (FN) in Frankreich oder die FPÖ, stellen es infrage. FN-Chefin Marine Le Pen spricht sich für die Wiedereinführung von Grenzkontrollen aus. Bulgarien und Rumänien warten seit Jahren auf Zustimmung der EU-Innenminister zur Schengen-Teilnahme. Daneben gibt es Kritik daran, dass die EU-Staaten vermehrt darauf setzen, Unionsgrenzen nach außen zu befestigen.

Zuletzt wurde beim EU-Gipfel vereinbart, dass Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Italien oder Griechenland mithilfe der Behörden in den Fluchtländern verstärkt sofort zurückgeschickt werden: ohne Asylverfahren. NGOs, Linke und Grüne kritisieren eine Politik der "Festung Europa".

Stärkere Einreisekontrollen soll es bald aber auch auf Flughäfen geben - als Reaktion darauf, dass hunderte IS-Kämpfer in den vergangenen Monaten nach Nahost reisten. An solchen EU-Maßnahmen will sich sogar ein Land beteiligen, das der Schengen-Kooperation von jeher eher skeptisch gegenüberstand: Großbritannien. (Thomas Mayer aus Brüssel, DER STANDARD, 24.3.2015)