Knapp vier Jahre ist es her, da hat das GNOME-Projekt den großen Sprung vollzogen: Mit GNOME 3.0 präsentierte man eine neue Desktopgeneration, für die man kaum einen Stein auf dem anderen ließ. Eine Entscheidung, die nicht bei allen Nutzer gut ankam, so manch langjähriger GNOME-User verabschiedete sich in Richtung anderer freier Desktops.

Kurs gesetzt

Beim GNOME-Projekt selbst reagiert man zwar auf den einen oder anderen Kritikpunkt, den grundlegenden Kurs hielt man aber bei. Im gewohnten halbjährlichen Rhythmus wurden seitdem zahlreiche neue Features und Verbesserungen in den Desktop gepackt. Mit GNOME 3.16 ist es nun wieder so weit - Zeit wieder einmal einen etwas genaueren Blick auf die aktuellen Neuerungen und den aktuellen Stand des Desktops zu werfen.

Erkenntnis

Eines der fraglos ambitioniertesten Konzepte von GNOME3 war ein vollständig neu gestalteter Benachrichtigungsbereich. Von Haus aus versteckt, konnte er mit etwas Mauszeiger-Nachdruck am unteren Bildschirmrand aufgerufen werden. An sich keine schlechte Idee - und doch eine, die bei den Nutzern durchfiel. Zu gut versteckt und umständlich zu nutzen war dieser Ort.

Mit GNOME 3.16 landen nicht bearbeitet Notifications nun neben dem Mini-Kalender.
Screenshot: Andreas Proschofsky / derStandard.at

Mit GNOME 3.16 zieht man nun die Konsequenzen, und verpasst den Benachrichtigungen ein weiteres Redesign - und dieses fällt etwas konservativer aus als die bisherige Lösung. So werden eingehende Nachrichten nun mittig am oberen Bildschirmrand dargestellt, also direkt unter Datum und Uhrzeit. Ein Klick auf diese Stelle im Panel offenbart zudem nicht länger nur einen Mini-Kalender, auch die verpassten Benachrichtigungen werden hier gesammelt. Die grundlegende Interaktion mit Benachrichtigungen hat sich hingegen nicht verändert, es kann also beispielsweise weiterhin direkt in den Notifications mit anderen gechattet werden.

Nachrichtenzentrale

Doch zurück zum Kalender-Popup: Neben den Benachrichtigungen werden dort auch Event Reminder und die Zeit in anderen per GNOME Clocks konfigurierten Zeitzonen angezeigt. Mit der kommenden Release sollen hier außerdem noch das Wetter sowie Geburtstagserinnerungen hinzukommen. Es entsteht also nach und nach so etwas wie eine Desktop-Nachrichtenzentrale.

Behelfslösungen

Weniger gefällt der Behelf, der für jene Programm gefunden wurde, die noch immer meinen, ein Icon in den klassischen Systray platzieren zu müssen, wie etwa der Browser Chrome in den Default-Einstellungen. Solche Icons werden nun nämlich in ein Overlay gepackt, das bei Bedarf links unten angezeigt wird. Dieses wird zwar von Haus aus nur dezent angedeutet, wenn darunter Schrift liegt, kann das trotzdem ziemlich störend wirken. Gerade Terminal-Nutzer werden schnell herausfinden, was damit gemeint ist.

Der Look der GNOME Shell wurde optisch leicht angepasst. Der Schwarz-Dominanz wurde so mancher Grauton hinzugefügt.
Screenshot: Andreas Proschofsky / derStandard.at

Was ebenfalls gleich auffällt: Für GNOME 3.16 wurde das Theme der GNOME Shell aufgelockert, vor allem in den Menüs aber auch in der Anwendungsübersicht gesellen sich zur bisherigen Schwarz/Weiß-Dominanz einige Grautöne. Zudem werden im Top-Panel nun symbolische Icons für die Anzeige des gerade aktiven Programms verwendet, die noch dazu etwas kleiner sind. Zumindest theoretisch. Leider liefern nämlich viele Programme noch keine solchen Icons, darunter selbst so manch fixer GNOME-Bestandteil. Die Folge ist eine gewisse optische Inkonsistenz.

Die fortschreitende GNOME3ifizierung

Zum GNOME3-Konzept gehört aber nicht nur Kerndesktop, gerade mit den letzten Releases hat man sich zunehmend auf den Umbau der einzelnen Anwendungen konzentriert. Mit GNOME 3.16 verpasst man nun einer der letzten Desktop-Komponenten ein entsprechendes Redesign: Der Bilderanzeiger EOG präsentiert sich nun also ebenfalls im GNOME3-Design, samt Header-Bar und Knöpfen statt einer klassischen Menüzeile. Nicht zuletzt bedeutet dies, dass das UI von EOG nun deutlich weniger Platz braucht, und so mehr Raum für die Bilder selbst bleibt.

Das User Interface des Bilderanzeiger EOG wurde deutlich reduziert.
Screenshot: Andreas Proschofsky / derStandard.at

Bei anderen Anwendungen ist man da schon weiter, und konzentriert sich entsprechend in der aktuellen Release vor allem auf den Feinschliff. So bekommt der File Manager in GNOME 3.16 eine Generalüberholung der Dateiansicht. Icons werden nun größer aber gleichzeitig etwas enger positioniert, auch die Listenansicht präsentiert sich deutlich aufgeräumter. Dazu passend gibt es ein neues Menü über das all die Darstellungsoptionen flott geändert werden können. Und bei gewissen Tätigkeiten wird nun eine Undo-Funktion als Overlay über der Dateiansicht eingeblendet, etwa beim Löschen von Dateien. Dazu passt auch, dass das Entfernen nun endlich wieder direkt mit der Delete/Entfernen-Taste funktioniert.

Von Karten...

Die Kartenanwendungen Maps hat eine optionale Foursquare-Anbindung spendiert bekommen. Zudem können lokale Kontakte, bei denen eine Adresse angegeben wurde, nun über Maps aufgespürt werden. Umgekehrt zeigt die Contacts-Anwendung nun bei Adressen eine Mini-Karte an. Der Taschenrechner merkt sich jetzt einen Verlauf, der GNOME-Webbrowser unterstützt wiederum HTML5-Benachrichtigungen und verspricht Privacy-Verbesserungen im Incognito-Modus.

Das offizielle Release-Video zu GNOME 3.16.
GNOMEDesktop

Deutliche Performance-Fortschritte haben mit der aktuellen Version GNOME Photos wie auch Music gemacht, was gerade ersteres auch dringend nötig hatte. Bei der Musikverwaltung gibt es zudem zusätzlich die Möglichkeit Smart Playlists zu erstellen. GNOME Software kümmert sich mit der neuen Version direkt um die Installation von etwaig benötigten Audio/Video-Codecs. Und der GNOME Terminal komprimiert und verschlüsselt mittlerweile von Haus aus seinen Puffer. Eine sicherheitsrelevante Verbesserung da der Puffer üblicherweise in einer Temp-Datei auf dem lokalen Datenträger landet - und so unter Umständen nachträglich wiederhergestellt werden könnte.

Virtuell

Bei der Virtualisierungslösung Boxes wurde einmal mehr am User Interface gefeilt, so werden nun etwa Einstellungen in einem eigenen Fenster angezeigt. Sehr nett ist die Möglichkeit gezielt bestimmte Keyboard-Shortcuts an eine virtuelle Maschine zu senden, die sonst mit einer Virtualisierung nicht funktionieren, da sie vom Host-System abgegriffen werden. Dazu gehören Ctrl+Alt+F1 und Ctrl+Alt+Backspace.

Bei der Virtualisierungslösung GNOME Boxes wurden die VM-Einstellung überarbeitet und in ein eigenes Fenster ausgelagert.
Screenshot: Andreas Proschofsky / derStandard.at

Mit GNOME 3.16 hält aber auch gleich eine Handvoll neuer Programme Einzug in den Desktop, die bis auf das Spiel Taquin alle eines gemeinsam haben: Sie werden aktuell noch als Preview bezeichnet. So gibt es nun eine einfache Kalenderanwendung im GNOME3-Stil, die wohl auf Sicht die entsprechende Komponente des Mail-Clients Evolution beerben soll.

Noch einiges zu tun

Derzeit ist dem GNOME Calendar der frühe Entwicklungsstand allerdings noch deutlich anzumerken. Die Monats- und Jahresansicht funktionieren zwar schon recht gut, andere Darstellungsarten gibt es bislang aber nicht. Vor allem aber gibt es bei der Einbindung externer Quellen noch so manche Beschränkung. So werden von Google- oder Exchange-Accounts nur die primären Kalender übernommen, andere lassen sich auch manuell nicht eintragen.

Eine der neuen Desktop-Anwendungen ist GNOME Books. Gut zu sehen ist im Screenshot auch der Overlay Scrollbar am rechten Rand des Fensters. Dieser verschwindet bei Inaktivität, umgekehrt wird er breiter, wenn die Maus darüber gezogen wird.
Screenshot: Andreas Proschofsky / derStandard.at

Ebenfalls neu ist GNOME Books, das sich sich als zentrale Anlaufstelle für Bücher aller Art positioniert - oder besser positionieren will. Derzeit klappt dies nämlich nur mit Comic-Buch-Archiven, epub-Support soll erst mit der nächsten Release folgen. Aber wie gesagt: Auch dies ist ein Preview.

Crowdfunding funktioniert

Worauf sich Entwickler besonders freuen dürfen: Mit Builder wird eine Vorschau der kommenden, offiziellen GNOME-Entwicklungsumgebung geliefert. Diese ist übrigens über eine Crowdfunding-Kampagne finanziert worden. Zu guter Letzt gibt es mit GNOME Characters ein neues Tool, um Sonderzeichen darzustellen.

GNOME 3.16 bringt eine erste Preview der per Crowdfunding finanzierten Entwicklungsumgebung GNOME Builder.
Screenshot: GNOME

Wie immer finden sich auch bei GNOME 3.16 einige der wichtigsten Verbesserungen "unter der Haube". Allen voran ein deutlich verbesserter Support für Wayland, und damit jenes Protokoll, dass den X.org-Server ablösen soll. Dabei wagt man erstmals den Schritt, den Login-Screen vollständig unter Wayland laufen zu lassen. Möglich wird dies, da an dieser Stelle ein fix umfasstes Set an Programmen läuft.

GDM goes Wayland

Der normale Desktop nutzt hingegen weiter von Haus aus X.org, eine Wayland-Session steht alternativ zur Wahl. Auch bei dieser gibt es eine wichtige Änderung zu vermelden: Verwenden GNOME-Programme doch nun automatisch in so einem Umfeld auch das Wayland-Backend des grafischen Toolkits GTK+. Dieses ist natürlich weniger stabil als das alte X11-Backend, aber genau darum geht es hier auch. Experimentierfreudige Nutzer sollen dabei helfen, möglichst viele Bugs aufzuspüren, damit man möglichst bald auf Wayland als Default umstellen kann - eventuell sogar schon mit der nächsten Release.

Rein äußerlich ist kein Unterschied zu erkennen, aber der Login-Manager GDM läuft nun von Haus aus unter Wayland. Bei den User-Sessions wagt man diesen Schritt - zurecht - noch nicht.
Screenshot: Andreas Proschofsky / derStandard.at

Bis es soweit ist, gibt es allerdings noch einiges zu tun. Auch wenn der Kern-Desktop unter Wayland mittlerweile praktisch uneingeschränkt so funktioniert wie mit X11, so zeigen sich im Test doch noch viele Fehler. Sei es beim Umgang mit mehreren externen Monitoren oder beim Abspielen von Videos, deren Wiedergabe irgendwo jenseits des eigentlichen Fensters stattfindet. Einzelne Programme stürzen zudem im Betrieb unter Wayland ab, auch die Performance hat noch nicht ganz das angestrebte Ziel erreicht.

Toolkit

Zu jedem GNOME-Update gehört auch eine neue GTK+-Version. Über diese wurde bereits an anderer Stelle berichtet, insofern nur ein im neuen GNOME sehr sichtbares Highlight: Der ganze Bereich Scrolling wurde umgestaltet. So gibt es nun Overlay-Scrollbars, die nur bei Bedarf angezeigt werden. Ob eine Anzeige oben oder unten weitergeht, wird zudem über gestrichelte Linien angedeutet - was zumindest anfänglich etwas gewöhnungsbedürftig ist. Ebenfalls erwähnenswert sind der nun - endlich - fix aufgenommene OpenGL-Support sowie das neue Backend für Canonicals Wayland-Alternative Mir.

Ein Update, das lohnt

Vor allem der neue Benachrichtigungsbereich aber auch das eine oder andere Redesign machen GNOME 3.16 zu einem durchaus signifikanten Update für den freien Desktop. Wer sich von den Meriten der neuen Version selbst überzeugen will, kann dies über ein Live-Image, das auf der GNOME-Webseite zum Download steht. Ansonsten wird GNOME 3.16 natürlich wie gewohnt in die Entwicklungsversionen zahlreicher Linux-Distributionen einfließen. (Andreas Proschofsky, 25.3.2015)